Einst war sie die ganze Pracht des deutschen Bankenwesens: das Kreditinstitut, das den Namen des Landes stolz im Titel führte. Es galt als eines der größten, feinsten, besten und irgendwie auch unantastbaren Geldhäusern der Welt. Einst. Heute steht die Deutsche Bank vor großen Schwierigkeiten, vielleicht den umfassendsten Problemen in der knapp 150-jährigen Geschichte der Bank. In den vergangenen drei Jahren machte sie unentwegt Verluste, der Aktienkurs büßte extrem an Wert ein, es gab zu viele Rechtsstreitigkeiten und Skandale, sie erwirtschaftete zu geringe Erträge, vor allem aber fehlt es an einer unternehmenspolitischen Strategie, wie der Konkurrenz US-amerikanischer und britischer Banken begegnet werden kann.
Das soll nun Christian Sewing richten, der am vergangenen Wochenende zum Vorstandsvorsitzenden des Frankfurter Hauses gemacht wurde. Sewing, der Deutsche Bank-Lehrling aus Bielefeld, hat 27 seiner 29 Berufsjahre bei der Bank verbracht – auf allen Sprossen der Karriereleiter und mit Stationen in Frankfurt am Main, Hamburg, London, Singapur und Tokio. Er ist der jüngste Chef, den das Kreditinstitut je berief, wohl aber auch einer derjenigen, der das Haus am besten kennt. All das ist Fluch und Segen zugleich. Denn als bisherige Vize-Chef hat Sewing die Strategie seines Vorgängers John Cryan mitgetragen und einen nicht unerheblichen Teil davon sogar selbst umgesetzt.
Kaum war Sewing im Amt, wurde ihm ein weiterer Makel angehägt: Er sei nicht die erste Wahl von Deutsche Bank-Aufsichtsratschef Paul Achleitner gewesen. Dieser habe wochenlang in ganz Europa nach einem geeigneten Nachfolger des Briten Cryan gesucht, bei Goldman Sachs, UBS und Unicredit angeklopft und überall sich nur Körbe eingehandelt. Zu groß war die Furcht an der Aufgabe zu scheitern, das Institut wieder zu dem zu machen, das es einst war. Wer auch sollte sich diese Herkulesaufgabe zutrauen, wenn selbst John Cryan daran gescheitert war. Er wollte eigentlich bleiben. Nach drei Jahren im Job habe dieser gerade erst angefangen Spaß zu machen, sagte er. Doch das wollten die Investoren nicht mehr. Auch wenn sie nicht alle Sewing wollten.
Doch Achleitner wurde am vergangenen Wochenende nicht müde, eine neue Ära einzuläuten. Mit dazugehörendem Kulturwandel. In den sozialen Medien gibt sich das Bankhaus hipp und modern, denkt unter anderem über die Entwicklung Europas nach und entwirft Szenarien für die Europäische Union jenseits des Nationalstaats. So viel Denkfreiheit hat indes die konservativen Wertehüter aufgeschreckt, die bereits befürchten, dass die Deutsche Bank künftig gemeinsame Sache mit der politischen Linken machen werde. Doch so weit wird der Kulturwandel nicht gehen. Denn hier ist der Lackmustest, inwieweit er überhaupt sich dem Investment Banking annehmen wird. Das ist eben jener Bereich, der lange Zeit das meiste Geld für die Bank abgeworfen hat – und die Bank in die tiefste ihrer Miseren schickte. Beim Handel mit Aktien, Anleihen und Rohstoffen im großen Stil, bei Fusionen und Übernahmen lässt sich schnell viel Geld verdienen – für die Bank und vor allem auch für den Banker über entsprechende Boni-Zahlungen. Im vergangenen Jahr haben die 50 Investmentbanker mehr Boni eingestrichen als Bankchef Cryan. Heute verteidigt sich die Deutsche Bank vor Gericht, es geht um manipulierte Zinssätze und dubiose Hypothekengeschäfte. Auch Geldwäsche wirft die Bankenaufsicht dem Institut vor. Nach der Finanzkrise war Sewing als Chef-Revisor und späterer Rechtsvorstand dafür zuständig, diese Hinterlassenschaften der Investmentbanker aufzuräumen.
Dennoch: Alles auf Anfang. Mal wieder. In einer Bank, die eine IT-Chefin bei einer Führungskräftetagung als das „dysfunktionalste Unternehmen“ bezeichnet hatte, bei dem sie je gearbeitet habe. Immerhin sei es in ihrer Zeit bei der Deutschen Bank gelungen, die Zahl der Betriebssysteme von 45 auf 32 zu reduzieren. Irgendwann, so der Plan, sollen es nur noch vier Systeme sein, die die IT des Hauses am Laufen halten. Wohin die Reise geht, ließ Sewing seine Mitarbeiter am Montagmorgen wissen – mit einer E-Mail zum Neuanfang und Wochenstart. Die Angestellten müssten ihre „Jägermentalität zurückgewinnen“, zitierte die Presse aus der Belegschaftsemail. Niemand werde ihnen etwas schenken, „wir werden kämpfen müssen“, so Sewing. Dass einzelne Bereiche ihre Ziele nicht erreichen, wolle er nicht mehr hinnehmen. „Das wird das Führungsteam nicht mehr akzeptieren.“ Und er werde „harte Entscheidungen treffen und umsetzen.“ Das hat er schon getan: Als Vize-Chef und zuständig für das Privatkundengeschäft schloss er in Deutschland rund 200 Filialen und baute 2 500 Stellen ab. Das geschah ohne große Proteste seitens der Arbeitnehmervertreter und Kunden. Auf der Sollseite ist noch das Projekt Postbank und damit jenes Instituts, das die Deutsche Bank gerne verkauft hätte, hätte sich denn ein Investor gefunden. Deshalb Planänderung: Bis Mitte des Jahres sollen Deutsche Bank und Postbank rechtlich wieder ein Institut sein, was dem Konzern weitere 1 000 Stellen einsparen soll.
Für die Deutsche Bank geht es um viel, vor allen Dingen darum, systemrelevant zu bleiben, um bei einer kommenden weiteren Finanzkrise eventuell staatliche Hilfe einfordern zu können. Dass sich mit einem neuen Vorstandsvorsitzenden nicht unbedingt die Historie eines Konzerns umschreiben lässt, erlebt dieser Tage auch Volkswagen. Hier musste Chef Matthias Müller seinen Hut nehmen. Auch weil er es nicht schaffte, den Diesel-Skandal für den Konzern auf- und abzuarbeiten.