Deutschland – Spanien

Plötzlich mittendrin

d'Lëtzebuerger Land vom 30.03.2018

Die finnischen Ermittlungsbehörden hatten dem spanischen Ersuchen nach Verhaftung von Carles Puigdemont, katalonischer Politiker, entsprochen. Doch dann entwischte Puigdemont den Finnen, setzte sich ins Auto und machte sich auf den Weg nach Belgien. Er kam recht weit. Erst nachdem er wenige Kilometer von Dänemark kommend in Deutschland eingereist war, setzte ihn die deutsche Polizei fest. Spanische Ermittler hatten den Katalanen wohl beschattet und seinen Aufenthaltsort an die deutsche Polizei weitergegeben. Nun sitzt Puigdemont in einem schleswig-holsteinischen Gefängnis. Grundlage seiner Verhaftung war ein Europäischer Haftbefehl. Spaniens Oberster Gerichtshof ermittelt seit Monaten gegen ihn wegen Rebellion und weil er in Katalonien einen mutmaßlich illegalen Abspaltungsprozess in Gang gesetzt haben soll. Das Ende eines Ausflugs.

Das Amtsgericht Neumünster sprach Anfang der Woche eine so genannte Festhalteanordnung aus, so der Leitende Oberstaatsanwalt Georg Güntge. Demnach muss der Katalane vorerst in Haft bleiben, denn das Gericht sah unter anderem Fluchtgefahr. Auf einen Asylantrag in Deutschland möchte Puigdemont verzichten. So bleibt es beim Auslieferungsverfahren, das durch den Europäischen Haftbefehl verkürzt und vereinfacht wird. Denn im Vertrauen darauf, dass in allen Ländern der Europäischen Union Rechtsstaatlichkeit herrscht, werden die Vorwürfe vom Auslieferungsstaat nicht näher geprüft. Es genügt, dass es sich um ein Vergehen aufgrund eines feststehenden Katalogs an Straftaten handelt, zum Beispiel Menschenhandel, Kinderpornografie, Mord oder Korruption, oder dass davon ausgegangen werden kann, dass die vorgeworfenen Taten auch im Auslieferungsstaat strafbar wären. Für den Tatbestand der „Rebellion“, der dem spanischen Haftbefehl zugrunde liegt, gibt es im deutschen Strafrecht keine direkte Entsprechung. Artikel 472 des spanischen Strafgesetzbuches sieht als Anstifter einer Rebellion, wer einen „gewaltsamen und öffentlichen“ Aufstand anzettelt, „um die Unabhängigkeit eines Teils des nationalen Territoriums“ durchzusetzen. Der Rebellion machen sich auch diejenigen schuldig, die „ganz oder teilweise die Verfassung außer Kraft setzen“. Aufrührern droht – nach Artikel 473 – eine „Gefängnisstrafe zwischen 15 und 25 Jahren“ und ein ähnlich langes Verbot, öffentliche Ämter zu bekleiden.

Der Oberste Gerichtshof Spaniens veröffentlichte inzwischen auch die Anklageschrift gegen Carles Puigdemont, die den Richtern in Neumünster inzwischen in deutscher Übersetzung zugegangen ist. Unter dem Aktenzeichen 20907/2017 fasst der zuständige Untersuchungsrichter Pablo Llarena die Ermittlungsergebnisse zusammen. Demnach wird Puigdemont – und anderen katalanischen Separatistenführern – neben der Rebellion auch die Veruntreuung von Steuergeldern vorgeworfen, die zu illegalen Zwecken – eben die mutmaßliche Vorantreibung der Separation von Spanien ­ ausgegeben worden sein sollen. Puigdemont ist dabei für die spanischen Ermittlungsbehörden zweifelsohne der Rädelsführer, der mit seiner bis Ende Oktober vergangenen Jahres amtierende Separatistenregierung den Plan verfolgt haben soll, „die Unabhängigkeit Kataloniens außerhalb der Legalität zu erklären“. Dabei habe er sich wiederholt über die Anordnungen und Urteile des spanischen Verfassungsgerichts hinweggesetzt, was Llarena unter anderem auch als einen „Angriff auf den konstitutionellen Staat“ wertet, „wie es ihn in keiner Demokratie unserer Umgebung gegeben hat.“ Auch das Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober vergangenen Jahres, das trotz richterlichen Verbots abgehalten wurde, sei ein Gesetzesverstoß. Puigdemont und andere Separatistenführer hätten ihre Anhänger dazu aufgerufen, so die Anklage, sich staatlichen Sicherheitskräften entgegenzustellen, die den Auftrag hatten, das gerichtliche Abstimmungsverbot durchzusetzen. In der Tat kam es am Tag des Referendums zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern der Unabhängigkeit und der spanischen Polizei. Damit sei, so Untersuchungsrichter Llarena, der Tatbestand der Rebellion, des Aufrufs zum „gewaltsamen und öffentlichen“ Aufstand erfüllt.

Puigdemont kann nun bereits vor dem deutschen Amtsgericht Einwendungen gegen den Auslieferungsantrag erheben. Über diese wird dann später vor dem schleswig-holsteinischen Oberlandesgericht verhandelt, bevor es überhaupt zu einer Auslieferung kommt. Das politische Berlin verweist auf die Unabhängigkeit der Justiz und überlässt die Richter in Neumünster entscheiden, wie es in Spanien weitergeht. Lediglich Vertreter der politischen Linken sehen in Puigdemont einen politischen Gefangenen und fordern die Bundesregierung auf, dem Katalanen beizustehen. Doch der Konflikt um Katalonien muss zwischen Madrid und Barcelona gelöst werden – in einem europäischen Rahmen, der die Zukunft von Regionen regelt, die nach Selbstbestimmung streben.

Martin Theobald, Berlin
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