Das Votum fiel deutlicher aus als befürchtet: Als Dietmar Nietan, Schatzmeister der SPD, am vergangenen Sonntag das Ergebnis der so genannten GroKo-Abstimmung verkündete, blieb es dennoch still im Berliner Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale. Rund zwei Drittel der SPD-Mitglieder sprachen sich dafür aus, dass ihre Partei wieder in eine Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eintritt. Jubel war untersagt. Still und stoisch nahmen die Genossen das Ergebnis der Entscheidung an, über die sie in den vergangenen vier Wochen so hart gerungen, gestritten und gekämpft hatte. Allen voran die Jusos, die Jugendorganisation der SPD, die sich sogar eine Aktion einfallen ließ, indem sie Menschen, die zum Parteieintritt bereit seien, um dann gegen die Große Koalition zu stimmen, zehn Euro versprach. Juso-Chef Kevin Kühnert distanzierte sich zwar von der Aktion, war aber der von den Medien aufs Schild der No-GroKo-Bewegung gehievte Vorzeige-Sozi. In seiner Niederlage versuchte er sich staatsmännisch. Seine arrogante Ankündigung nach der GroKo-Niederlage, er werde nun der Bundesregierung auf die Finger schauen, sollte schon von knapp 82 Millionen Menschen in Deutschland erledigt werden. Kühnert steuert in eine wohl versorgte Zukunft. Er werde eine wichtige Rolle in der Partei spielen, sagte die designierte Partei-Chefin Andrea Nahles. Damit zeigt sich deutlich, dass auch Kühnert in gleicher Weise zu einer politischen Kaste angehört, die sich immer wieder selbst reproduziert.
Den SPD-Mitgliedern wurde zur Meinungsbildung der Koalitionsvertrag mitgeschickt. Rein sprachlich stand in ihm Deutschland im Mittelpunkt. Positiv die Wortwahl: Man will „fördern“, „unterstützen“, „weiterentwickeln“ oder einfach nur „schaffen“. Besondere Kernworte sind „Digitalisierung“, „Unternehmen“ und „Europa“. Alles Weitere versinkt in einer Sprachsoße aus Fremdwörtern,
Fachwörtern, Nominalisierungen und Denglisch-Wortschöpfungen. Besonders schön: „Interoperabilitätsverpflichtung“. Hinzu kommen Monstersätze mit bis zu 80 Wörtern Länge: „Wo dies gesetzgeberisches Handeln erfordert, werden wir noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur nachhaltigen Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr mit dem Ziel vorlegen, die Gehalts- und Besoldungsstrukturen wettbewerbsgerecht zu gestalten, das Dienstrecht zu flexibilisieren, die mit den Mobilitätsanforderungen verbundenen hohen Belastungen besser auszugleichen und eine bessere soziale Absicherung von Bundeswehrangehörigen, insbesondere auch beim Zugang zur Gesetzlichen Krankenversicherung nach Ende der Dienstzeit von Soldatinnen und Soldaten auf Zeit zu erreichen und dadurch Versorgungslücken zu schließen und die Berufsförderung zu stärken.“
Am Mittwoch soll Angela Merkel zum vierten Mal zur Kanzlerin gewählt werden. Während CDU und CSU bereits ihre Ministerposten vergeben haben, bitten sich die Sozialdemokraten noch Bedenkzeit aus. Denn die Vergabe der Ämter kann für weitere Verstimmung bei der Basis sorgen. Bereits in den letzten Wochen haben die Politikerinnen und Politiker aus Ostdeutschland angemerkt, dass die neuen Bundesländer im künftigen Kabinett unterrepräsentiert seien. Wie auch Menschen mit Behinderung oder buddhistischen Glaubens. Doch gerade die Ressortverteilung – ebenso wie der Zuschnitt der einzelnen Ministerien – zeigt, dass es um Befriedung der einzelnen Parteien und Etablierung von Machtgefügen geht, denn um zukunftsorientiertes Handeln für Land und Leute. oder Entsprechung des Koalitionsvertrags etwa hinsichtlich Digitalisierung.
Europa kommt im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD immerhin auf sieben Seiten vor. Zusammengefasst: Der Euro-Raum soll insgesamt stärker und einheitlicher werden, Deutschland ist zu höheren Zahlungen in den EU-Haushalt bereit – auch um die Lücke von 13 Milliarden Euro zu schließen, die durch den Brexit entstehen wird. Allerdings schweigt sich der Koalitionsvertrag hier über die genaue Summe aus. Berlin will sich für einen neuen Investivhaushalt für die Euro-Zone einsetzen, für den schon der französische Präsident Emmanuel Macron geworben hat. Es wird auch auf dessen Zustimmung treffen, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus in einen Europäischen Währungsfonds umgewandelt werden soll, mit dem Mitgliedsstaaten in finanzieller Notlage unterstützt werden sollen – kontrolliert vom Parlament der Europäischen Union. Die Rechte der nationalen Parlamente sollen davon aber unberührt bleiben, heißt es in dem Koalitionsvertrag.
Vorschusslorbeeren gab es in Brüssel wie in Paris zu diesen Plänen. „Die europäische Einigung ist eine der letzten Visionen, die wir in der Politik noch haben“, merkte etwa der SPD-Europa-Abgeordnete Jo Leinen an. Es sei ein großartiges Projekt, das vorangetrieben werden müsse. Und weiter: „Das Europa-Kapitel des Koalitionsvertrag ist eine Botschaft nach innen, aber auch an die Partner, dass man im positiven Sinne mit Deutschland rechnen müsse.“ Reinhard Bütikofer, EU-Parlamentarier von den Grünen, kritisierte hingegen: „Europa first, Inhalt second. Da ist viel Tam-Tam, das sind viele Versprechungen und viel heiße Luft. Aber der große Aufbruch hinkt von vornherein.“ Die künftige Bundesregierung sei gefordert, Taten folgen zu lassen. Doch in welchem Zeitraum und ob überhaupt diese umgesetzt werden, ist noch unklar.