Kardinal Jean-Claude Hollerich ist zu einer Schlüsselfigur an der Seite des Papstes avanciert. Ludwig Ring-Eifel, Chefreporter der KNA in Rom, ist über die enge Zusammenarbeit zwischen Kardinal Hollerich und Papst Franziskus nicht überrascht. Beide würden ganz „ähnlich ticken”. Als Jesuiten bevorzugen sie einen „Entscheidungsweg ganz eigener Art, der mit Beratung, mit Beten, mit Meditieren” zu tun habe. Aber auch „damit, die Dinge auch mal stehen zu lassen” und Entscheidungen nicht überstürzt zu treffen. Zudem hätten beide ein Faible für Asien. „Der Papst hat immer davon geträumt, einmal als Missionar nach Japan zu gehen oder nach China. Hollerich ist für ihn ein bisschen der, der das gemacht hat, was er sich selber gewünscht hat”, so Ring-Eifel im Wort zu Beginn dieses Jahres. Hollerich sei nun „schon bei mehreren kniffligen Fragen immer derjenige, den der Papst gerufen hat”.
Anfang 2023 hat Papst Franziskus den Luxemburger Erzbischof in den Kardinalsrat berufen und seit 2021 ist er als Generalrelator mit der Organisation der Weltsynode befasst. Diese Mammutkonferenz, die die Themen „Gemeinschaft, Teilhabe und Mission“ zum Ggegenstand hat, verabschiedete Ende Oktober nach einer ersten Hauptversammlung einen Synthese-Bericht. 2024 soll die Weltsynode zu ihrem Abschluss kommen. Für die hiesige Presse ist der Kardinal diese Woche – wie so oft – nicht erreichbar: „De Kardinol ass de Moment zu Roum an enger Kardinols-Versammlung”, heißt es aus dem Bistum. Dennoch wurde im Wort über das von ihm mitverfasste Schreiben geurteilt (konkret haben sie zu viert während 36 Stunden an der Synthese gearbeitet). Mathias Schiltz, der bis 2011 Generalvikar des Erzbistums war, nennt den Bericht „blass und zaghaft“. So sei kein klarer Vorschlag zu vernehmen, ob das Zölibat für den priesterlichen Dienst verpflichtend bleibt. Der Papst kommentierte zwar Anfang November: „Es handelt sich um eine Disziplin, welche die lateinische Kirche im Mittelalter auferlegt hat, und die man ändern könnte.“ Allerdings bezweifelt er, dass «das von Nutzen wäre.” Darüber hinaus kritisiert Mathias Schiltz, dass die kirchliche Sexualethik nur mangelhaft angerissen wurde. Wie der Theologe Martin Lintner fordert er eine Rundumerneuerung der katholischen Sexualmoral und Ehelehre unter Berücksichtigung der natur- und humanwissenschaftlichen Erkenntnisse.
Ebenfalls enttäuscht zeigt sich Lucien Schumacher aus Mondorf in seinem Leserbrief. Von den 365 stimmberechtigten Teilnehmern an der Synode waren nur 54 Frauen. „Die volle und uneingeschränkte Akzeptanz der Frau in der Kirche bleibt letztlich der unlösbare Streitknoten, der die Kirche daran hindert, sich zu befreien und in die Resonanz wahrer christlicher Freude einzutreten“, beklagt der Lesebrief-Schreiber den Machismo der römisch-katholischen Kirche. Angesichts der Wortkargheit des Bischofs in der nationalen Arena überrascht es umso mehr, dass er Mitte November direkt hinter die Grenze, nach Arlon, reiste, um dort an der Notre-Dame-Schule eine Konferenz abzuhalten. Vor allem die Europäer hätten das Diakonat für Frauen gefordert. Aus Afrika sei eher zu hören gewesen, die Kirche solle Frauen in ihren gesellschaftspolitischen Anliegen unterstützten, führt er in Belgien aus. Dass es „klar“ sei, dass „einige Thesen auf Widerstand stoßen“ und Konsense schwer zu vereinbaren seien, meinte er zuvor bereits in der Süddeutschen Zeitung. Auch der britische Theologe Timothy Radcliffe, geistlicher Assistent der Synode, meinte, man solle nicht auf baldige durchgreifende Änderungen hoffen. Im Himmelklar-Podcast erklärte Hollerich vor den Aushandlungen, es sei auch keine Synode über die Diakonweihe der Frauen, Homosexualität oder die Priesterweihe. Es sei „eine Synode über Synodalität“, bekräftigte er abermals in Arlon. Womit er die Kirche gegen die Kritik der mangelnden Entscheidungsfreude immunisierte: In erster Linie gehe es nicht darum Reformen umzusetzen, sondern darum die Art und Weise zu verändern, wie Entscheidungen getroffen werden. Er ist sich aber sicher, dass in den kommenden zehn Jahren Veränderungen auf die Kirche zukommen werden.
An der belgisch-luxemburgischen Grenze verkündete er zudem, was er als sein Betriebsgeheimnis interpretiert. Er gehe auf die japanische Art vor, falls Meinungsverschiedenheiten auftreten: Man bespricht das Konfliktpotenzial mit beiden Parteien unter vier Augen und sucht diskret nach Kompromissen. Gegenüber dem Trierischen Volksfreund dozierte er vor Beginn der Synode, das „Kirchentreffen soll nicht nach deutscher Art ablaufen“. Diese sei zu konfrontativ und wirke auf Angehörige anderer Kulturkreise als zu „grob“. Er sieht sich als Vermittler – ein Jean-Claude Juncker der Kirche. Schon an früheren Synoden habe er als Bindeglied zwischen verschiedenen Sprachgruppen gewirkt. Man beauftragte ihn damit vom Französischen, Englischen und Italienischen ins Deutsche zu übersetzen. Der Sprachwissenschaftler, der viel Zeit im Elfenbeinturm an der Sophia Universität in Tokio verbrachte, setzt auf Diplomatie und Unauffälligkeit. Als Jean-Claude Hollerich in Brüssel die Kommission der Bischofskonferenzen präsidierte, war aus dem Brüssler Journalisten Kreis zu vernehmen, er vermeide die Presse, versuche, dass interne Konflikte dieses EU-Organs nicht öffentlich werden. Diese Strategie fährt er in Rom weiter.
Jean-Claude Hollerich sieht in der Synode ein Bild: „Das Bild einer Gemeinschaft, die sich auf dem Weg befindet.“ Überhaupt sind Bilder für ihn zentral. Und manchmal müsse sich das Bild, das wir uns von der Realität machen, verändern, sagt er in Arlon. „Das heißt nicht, dass sich zugleich die Essenz einer Realität verändert hat.“ Aber Bilder müsse man im Lichte ihrer Zeit wahrnehmen. Manche Bilder lerne man erst im historischen Verlauf besser zu deuten und verstehen, so Hollerich im Himmelklar-Podcast. Religion als Bildmanipulationskunst – das Sich-Hineinleben und Hineindenken in Bilder als Intensivierung des Welterlebens. Wer aber in starren Bildern lebt, tendiere zu theokratischen Strukturen. Unverhandelbar seien aber im Katholizismus der Glaube an die Auferstehung von Jesus-Christus und die heilige Dreifaltigkeit.
Gottes-Wort könne man nicht ohne Weiteres auf eine äußere Realität beziehen – so deutete bereits der Direktor der Luxembourg School of Religion & Society, Jean Ehret, im April im Land die christliche Religion. „Die religiöse Sprache ist nicht so eindeutig wie andere Formen des Sprachgebrauchs, sie ist deutungsoffener.“ Und es gehe nicht immer um das Was, den Inhalt, sondern ebenfalls um das Wie, die Form. Begriffe, Bilder und Beziehungen sind für ihn nicht unerheblich: ein negatives Gottesbild führt zu anderen Lebenseinstellungen als ein positives. Das religiöse Leben wendet sich unter dieser Perspektive verstärkt affektiv-ästhetischen Angelegenheiten sowie Beziehungen zu und rückt ab vom dogmatisch Korrekten.
Um die Form ging es vor allem auch Kardinal Ratzinger. Er unterstrich die Bedeutung von Gesang und Musik, er erlaubte die tridentinische Messe ohne Sondergenehmigung (dieser Entschied machte Papst Franziskus wieder rückgängig) und legte Wert auf Paramente, d.h. künstlerisch aufwendig gestaltete Textilien. Letzteres brachte ihm in der LA-Times den Titel „the best-dressed pontiff ever!“ ein. Seinen Sinn für Versinnbildlichung, seinen Fokus auf die unmittelbare Wirkung von Ästhetik mischte Benedikt der XVI allerdings mit äußerst konservativen Ansichten. Während der Synode wurde ebenfalls über die Magie der Form gestritten. So wollte Papst Franziskus durch die Sitzordnung an der Synode den Geist des Miteinanders herstellen und veranschaulichen, indem er runde Tische wählte, an denen Laien und Kleriker gemeinsam saßen – das Ganze ohne kirchliche Festkleidung. „Eine Synode ist eine gottesdienstlichte Feier und nicht zu verwechseln mit einer Aktionärsversammlung“, es sei nicht angebracht, dass Bischöfe „Sport- und Straßenkleidung“ tragen, zeigte sich der deutsche Kurienkardinal Gerhard Müller deshalb empört.
Jean-Claude Hollerich begrüßte die Tischordnung an der Synode. Überhaupt spart er nicht mit Lob gegenüber dem Papst: „Il est admirable, il a beaucoup d’humour“, sagt er in Arlon. Die beiden Jesuiten gehören dem liberalen Flügel der Kirche an, was ihnen Kritik von rechten Katholiken einbringt. So behauptet der in Oklahoma lebende Politikwissenschaftler und katholischer Konvertit, Anthony Stine, die Jesuiten würden „dämonische Veränderungen“ in der Kirche vorantreiben. Zweifelsfrei sei ein „top Mann“ des Vatikans Kardinal Jean-Claude Hollerich, der unerhörterweise in Interviews dazu aufrufe, die Position der Kirche im Hinblick auf Homosexualität zu überdenken. Er sei ein besonders gefährlicher Häretiker, da er als Nachfolger von Papst Franziskus gehandelt wird. Ein zentraler Bezugspunkt für einen Traditionalisten wie Stine bildet die römisch-katholische Tradition vor dem zweiten Vatikanischen Konzil und keineswegs die Urkirche und Bibel, wie es hingegen für evangelikale Fundamentalisten typisch ist. In Frankreich sind diese katholischen Strömungen durchaus verbreitet, in denen man auf eine rechtskatholische französische Oberschicht (nicht selten mit adligem Hintergrund) trifft. Auch hierzulande kann man auf dieses Submilieu stoßen, beispielsweise unter den Europa Scouten Lëtzebuerg, einem traditionalistischen Pfadfinderverein, der im Bischofshaus seinen Sitz hat.
Kardinal Hollerich weiß, dass er neben den Rechtskatholiken noch viele weitere Adressaten hat: unter anderem ein globales christlich aufgeklärtes Bürgertum, Befreiungstheologie-Anhänger und das globale Proletariat – alles wiederum inhomogene Gruppen. Arme ins Zentrum zu stellen, empfindet insbesondere Papst Franziskus als ethisch geboten. Um die Einheit zu bewahren, mäandert Jean-Claude Hollerich gelegentlich herum. In Arlon spielte der luxemburgische Bischof mit dem Bild einer Kirche als Gemeinschaft, die Jesus zum Zentrum hat. Sie bringe zwangsläufig unterschiedliche Menschen zusammen: Einige laufen vorne, andere hinken hinterher, manche befänden sich links von Jesus, andere rechts. Er hoffe, dass die mit geschlossenen Herzen, die Zeichen des heiligen Geistes erkennen. Womit er zwischen den Zeilen den Reformbedarf anspricht.
Der Soziologieprofessor, Sozialdemokrat und Katholik Heinz Bude rät der katholischen Kirche im Hinblick auf Reformen, sich aus Fragen von Sitte und Moral stärker zurückziehen und sich auf eine Rückkehr zum magischen Kerngeschäft zu besinnen. „Der Kern des Katholischen ist und bleibt magisch, das können Sie bei Max Weber nachlesen. Und wenn das Wort zu missverständlich ist, bleiben Sie beim Begriff Mystik oder beim Wort Sakramente oder nennen Sie es performative Akte“, sagt er in einem Interview mit der Zeitschrift Herder Korrespondenz. Im Kultischen liege das Wesen des Katholischen – insofern sieht er die Ästhetik als Aísthēsis (Altgriechisch für „Wahrnehmung, Empfindung“) als Hauptanliegen des Katholizismus: Liturgische Farben, Gewänder und Körperhaltungen besitzen ihre eigne unmittelbare Magie. Fast durchgehend sei allerdings während der Synode geäußert worden, die Eucharistie sei „schwer verständlich“, erläuterte Jean-Claude Hollerich Mitte November in Belgien. Sein Bericht hingegen deutet an, es gebe hier weniger etwas zu verstehen und eher „kraftvolle Schönheit“ zu erleben.
Die Indifferenz gegenüber der Kirche ist in Westeuropa groß. Mit Blick auf die unerträglichen Missbräuche und dem damit gravierend schlechten Umgang innerhalb der Kirche, ist auch Wut auf die Kirche verständlich. Vielleicht aber gibt uns Weihnachten ein Bild zur Hand, das es wert ist zu meditieren: In der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember wird Gott als Säugetier in einem Stall zwischen Esel und Kuh geboren. Ist das ein Bild, das er zu verstehen oder zu erleben gilt, und wenn ja wie?