Dank der Luxemburger Holding Compagnie de Développement de l’Eau kann Heckler & Koch weiter die Welt mit Handfeuerwaffen versorgen

Schießgeräte aus dem Schwarzwald

d'Lëtzebuerger Land vom 07.08.2020

Oberndorf am Neckar ist ein schwäbisches Städtle wie viele. Rund 14 000 Einwohner. Unten im Tal ein versiffter Bahnhof. Darüber in der Altstadt viel Leerstand, aber alles proper renoviert und gefegt. Rund herum viel Grün, adrette Einfamilienhäuser mit Solardächern, dazwischen Fabriken. Ungewöhnlich ist nur, dass immer wieder Journalisten und Filmemacher herumstiefeln, in den verschlafenen Straßen nichts Besonderes finden, und dann Titel formulieren wie „Vom Töten leben“, „Meister des Todes“ oder „Der Tod, die Waffen, das Schweigen“. Neuerdings gerne in Kombination mit „Steueroase“, „Briefkasten-Firma“ und „Luxemburg“.

Am Rande des Schwarzwalds sind sonst Autoteile, Uhren und Dentalgeräte üblich. Die Oberndorfer aber tüfteln an besonderer Präzisionstechnik: In den ehemaligen Mauser-Werken fertigt die Rheinmetall Waffen Munition GmbH unter anderem Bordkanonen für den Eurofighter. Vergleichsweise harmlos ist die Feinwerkbau (FWB): Sportwaffen und Nostalgie-Revolver. Junghans Microtec im benachbarten Seedorf will Marktführer für Zünder aller Art sein. Weltweit bekannt ist vor allem der größte Arbeitgeber, mit Hauptquartier in einem Neubaugebiet oberhalb der Stadt: Heckler & Koch (H&K) liefert Pistolen, Gewehre und Granatwerfer.

Für Aufsehen sorgten in der fleißigen Idylle lange nur Pazifisten, meist Auswärtige: Mal blockierten Musikgruppen die Zufahrt von H&K, mal lief ein Nikolaus mit Gewehr und Patronengurt über den Weihnachtsmarkt, dann wieder schleppten sie Ärzte aus Kenia oder Flüchtlinge aus Bosnien an, die bei den „Kleinwaffen“ im Heimat- und Waffenmuseum unappetitliche Erinnerungen auspackten. Unvergessen auch ein Spendenaufruf auf Youtube, die Oberndorfer „Todeszone“ mit einem Sarkophag à la Tschernobyl einzubetonieren: H&K sei „das tödlichste Unternehmen Europas“, jede Viertelstunde werde irgendwo auf der Welt ein Mensch mit einer H&K-Waffe umgebracht.

Vor den Absperrungen bemühen sich immer wieder Demonstranten um Randale. In letzter Zeit aber stehlen ihnen H&K-Leitung und Eigentümer, Waffenkäufer und Justiz die Schau. Früher waren sie eine verschworene Gemeinschaft: Es kam schon mal vor, dass ein Landgerichtspräsident nach der Pensionierung als Geschäftsführer bei H&K anheuerte und sich diskreter Lobby-Arbeit widmete. Heute aber erreichen die Kämpfe um H&K „ein Niveau, wie man es sonst fast nur aus Hollywood-Filmen kennt“, staunt die Lokalzeitung Schwarzwälder Bote.

Erst stritten sich Bundesregierung und H&K öffentlich über die Treffsicherheit des Gewehrs G36. Dann wurde ein neuer Geschäftsführer, der Transparenz und Verantwortung versprach, umgehend wieder gefeuert. Sein Vorgänger wiederum, mit Change-of-Control-Klausel im Arbeitsvertrag, klagte um eine Abfindung, weil der Eigentümer von H&K gewechselt habe. Den im Register mit einer Schweizer Adresse eingetragenen Hauptaktionär Andreas Heeschen konnte aber das Landgericht Rottweil nicht ausfindig machen. Dafür wurde das Landgericht Stuttgart ungewöhnlich aktiv: Fast zehn Jahre nachdem der Pazifist Jürgen Grässlin Anzeige erstattet hatte, verurteilte es erstmals H&K-Mitarbeiter wegen illegaler Waffenexporte nach Mexiko zu Bewährungsstrafen und ordnete gar die Einziehung von 3,7 Millionen Euro Verkaufserlösen an. (Die Verurteilten, H&K und die Staatsanwaltschaft ziehen dieses Verfahren jetzt vor den Bundesgerichtshof.)

Das Geschäftsjahr 2018 lief für H&K nicht so gut: 382 Millionen Euro Schulden bei 221 Millionen Einnahmen, acht Millionen Euro Verlust. Die Buchprüfer von KPMG merkten an, fehlende Liquidität gefährde den Fortbestand der Firma. Ratingagenturen, die H&K auf Ramschniveau abstuften, wurden von H&K gekündigt, weil man in nächster Zeit keine Anleihen benötige. Darauf wildes Rätselraten in den Medien: Wem gehört der Hauslieferant der Bundeswehr eigentlich? Woher kommen 80 Millionen Euro Überbrückungskredite? Das Magazin Focus argwöhnte Attacken „dubioser russischer Investoren“.

Ein Showdown von Anwälten brachte im Dezember 2019 mehr Klarheit: Bei einer außerordentlichen Aktionärsversammlung ließ Andreas Heeschen, deutscher Investor mit Wohnsitz London, mit eigenen Stimmen sich selbst in den Aufsichtsrat von H&K wählen und Harald Kujat als Aufsichtsratsvorsitzenden bestätigen. Vergeblich versuchte die Compagnie de Développement de l’Eau (CDE) aus Luxemburg das zu verhindern: Kujat, ehemals einer der ranghöchsten deutschen Militärs, habe keine Wirtschaftserfahrung, er solle bei H&K nur Berater werden. Mit süffisanten Fragen kritisierten die Vertreter der CDE frühere Entscheidungen Heeschens, besonders die Aufnahme eines hochverzinsten Kredits über 100 Millionen Euro für missglückte Diversifikationsversuche in Gartengeräte, Flugzeuge und Schiffe.

Die CDE, die sich als H&K-Kreditgeberin outete, verwaltet das Privatvermögen von Nicolas Walewski, einem französischen Investor mit Wohnsitz London. Der Gründer der Alken Asset Management, früher besonders mit Wirecard-Aktien erfolgreich, war an H&K seit 2015 mit 5,1 Prozent beteiligt. Weitere zehn Millionen der insgesamt 27 Millionen H&K-Aktien hatte Heeschen an Walewski für ein Darlehen verpfändet, die Stimmrechte aber vorerst behalten. Möglicherweise hat sich die Partnerschaft der Investmentbanker verflüchtigt. Jedenfalls wollte die CDE nun die Mehrheit an H&K übernehmen. Das musste aber erst nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigt werden.

Mitte Juli gab die deutsche Regierung dafür grünes Licht. Die Formalitäten werden wohl bei der nächsten, rein virtuellen und von Demos kaum zu störenden Hauptversammlung am
27. August erledigt. Jens Bodo Koch, der Vorstandsvorsitzende von H&K, begrüßt den neuen „finanzstarken, langfristig orientierten Mehrheitseigner“ aus Luxemburg: „Mit dem Engagement von CDE sind gut 900 zukunftsfeste und innovative Arbeitsplätze in Oberndorf gesichert.“ Die CDE stehe hinter der „Grüne-Länder-Strategie“ von H&K, „nur noch demokratische Staaten“ mit Waffen zu beliefern.

Überhaupt sei „der Gesamtausblick für die nächsten Jahre positiv“, beruhigt der H&K-Chef: Die Auftragsbücher seien voll, zum Beispiel mit „Mitteldistanzwaffen“ für die hessische Polizei und Präzisionsgewehren für die US-Armee. „Konsequent weiterverfolgt“ werde auch der Klimaschutz: trotz deutlich größeren Produktionsumfangs weniger Kohlendioxid-Emission. Zumindest in Oberndorf am Neckar kommt die Welt so wieder in Ordnung.

Tödliche Feinmechanik mit 200 Jahren Tradition

1811 wird in Oberndorf am Neckar im ehemaligen Augustinerkloster die Königlich Württembergische Gewehrfabrik eingerichtet. Ihre Angestellten Wilhelm und Paul Mauser gründen 1872 eine eigene Firma: Mauser liefert Gewehre für Preußen, aber auch für Kriegsgegner wie Belgien oder Serbien, Karabiner für die deutsche Wehrmacht, aber auch Pistolen für die Sowjetunion. Nach dem Boom im Zweiten Weltkrieg wird Mauser von den Franzosen demontiert.

Die ehemaligen Mauser-Ingenieure Edmund Heckler und Theodor Koch machen sich 1949 selbstständig. Zunächst fertigt Heckler & Koch Teile für Nähmaschinen und Fahrräder. Die ersten Waffen liefert H&K an die Franco-Diktatur in Spanien, bald auch an die deutsche Bundeswehr, weitere Armeen und „Ordnungskräfte“ in mehr als 90 Ländern. Von H&K kommen zum Beispiel die Dienstpistolen der Luxemburger Polizei. Terroristen und Kriminelle können nicht direkt bei H&K einkaufen.

Die deutsche Bundesregierung finanziert in den 1950er Jahren die Entwicklung des Sturmgewehrs G3 von H&K (Fotos links und rechts). Die Lizenzgebühren fließen in den Bundeshaushalt; Deutschland vergibt großzügig Nachbaugenehmigungen an den Iran, die Türkei, Saudi-Arabien und ein Dutzend weiterer Länder. Vom G3 werden mindestens 15 Millionen Stück gebaut – nach der Kalaschnikow das weltweit verbreitetste Gewehr. Überhaupt laufen während des Kalten Kriegs die Geschäfte wie geschmiert. 1985 hat H&K mehr als 2 500 Beschäftigte. Auch die DDR kauft Waffen von H&K, was aber weder in Ost noch West an die große Glocke gehängt wird.

Nach dem Fall der Berliner Mauer droht kurzzeitig der Weltfriede: Die deutsche Bundesregierung hatte in die Entwicklung des Gewehrs G11 bereits mehr als 40 Millionen Euro investiert, storniert dann aber die Aufträge. H&K ist hochverschuldet, steht 1991 vor dem Konkurs – und wird vom britischen Rüstungskonzern BAE Systems übernommen.

2002 wird H&K an den Investor Andreas Heeschen verkauft. H&K kommt in die Schlagzeilen: Reklamationen von Kunden, Entlassungen, Gerichtsverfahren, Verluste. Bei einer Aktionärsversammlung am 19. Dezember 2019 wird Heeschen von der Luxemburger Holding CDE des Investors Nicolas Walewski öffentlich angegriffen, kann sich aber zunächst behaupten. Am 15. Juli 2020 erlaubt das deutsche Bundeswirtschaftsministerium der CDE, die Mehrheit an H&K zu übernehmen. 2020 wird spannend: Die Bundeswehr soll ein neues Standard-Gewehr bekommen, als Ersatz für das bisherige G36 von H&K – ein Auftrag von rund 250 Millionen Euro. me

Um das Image von H&K zu verbessern, wurde Marco Seliger als Pressesprecher engagiert, ein ehemaliger Kriegsreporter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung: www.heckler-koch.com

Pazifisten führen eine Kritische Chronik Heckler & Koch und haben sich auch sonst auf H&K eingeschossen: www.juergengraesslin.com

Martin Ebner
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