Kino

Kunst und Künstler

d'Lëtzebuerger Land vom 27.01.2023

Ist die Kunst vom Künstler zu trennen? Eine Frage, die in gegenwärtigen Debatten rund um Metoo und Cancel Culture von besonderer Brisanz ist. Nach seinem Durchbruch mit In The Bedroom (2001) und nach Little Children (2006) präsentiert Regisseur Todd Field mit Tár nun seine dritte Spielfilmarbeit – ein Film, der in seinem thematischen Kern so eindringlich wie präzise aufzeigt, wie unmöglich das Postulat einer Trennung dieser Begriffspaare doch scheint. Bevor Field aber zu seinem Anliegen vordringen kann, braucht es zunächst eine glanzvolle Exposition: Die titelgebende Dirigentin Lydia Tár (Cate Blanchett) hat im Grunde alles erreicht. Sie ist am Gipfel ihres Ruhmes angelangt. Die begnadete Musikerin gilt als ein Protegé von Leonard Bernstein und kann unzählige Preise für sich verzeichnen, Emmys, Grammys, Oscars und Tony Awards. Zurzeit lebt sie in Deutschland und ist als Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker engagiert; privat hat sie ein Verhältnis mit der Konzertmeisterin des Orchesters Sharon (Nina Hoss) und lebt mit ihr und ihrer Tochter zusammen. Doch diese allzu perfekte Harmonie aus privatem und öffentlichem Glück droht auseinanderzubrechen, als plötzlich Vorwürfe des missbräuchlichen und übergriffigen Verhaltens lautstark werden, die Tár sogar der Mitschuld am Selbstmord einer ihrer ehemaligen Studentinnen bezichtigen ...

Alles in Todd Fields neuem Film ist auf seine Hauptdarstellerin ausgerichtet: Vom Filmtitel bis in die unmittelbare Einstellungsauflösungen hinein, die ungemein oft Gebrauch von Cate Blanchetts markanten Gesichtszügen in Großaufnahmen machen, zielt dieser Film in seiner dramaturgischen Konzentration auf das Potenzial seiner Hauptdarstellerin. Die Rolle einer fiktiven klassischen Dirigentin, die sich in ihr eigenes Verderben stürzt, wurde von Regisseur Todd Field nach eigenen Angaben ausschließlich für die australische Schauspielerin geschrieben. Dabei ist es an und für sich gleichgültig, ob man mit der titeltragenden Heldin sympathisiert oder nicht. Field beobachtet den Verlust der sozialen und familiären Geborgenheit, der mit dem Bruch der Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem einhergeht, sehr genau. Die immer größer werdende Entfremdung zwischen der Heldin und ihrem Umfeld, aus dem subtil und langsam Feindschaften erwachsen, kommt da aber nicht ganz unvermittelt. Die beklemmende Wirkung des Films liegt auch darin, dass die scheinbare Idylle ihre Risse schon am Anfang offenbart – das stilisierte und äußerst kühle Design prägen diesen Eindruck maßgeblich – es gibt hier nicht mehr das definitiv und eindeutig bestimmbare Fremde. Nach den Mustern eines klassischen Biopics geformt, das Fragen nach Perfektionsdrang oder der zwangsläufigen Isolation des Künstlers aufwirft – unterläuft Field aber bewusst emotionale Strategien zum Affektieren des Publikums, die etwa auf Sympathie und Nähe einerseits, auf Verfremdung und Distanz andererseits zielen würden. Nie ist Lydia Tár ganz zu greifen. Vielmehr geht es Todd um das sorgfältige Austarieren dieses Zwischenraums, den Cate Blanchett wunderbar ausfüllt. In ebendiesem Zwischenraum, der auch sein Zentrum ist, steht die Frage danach, wie Kunst und Künstler, Autor und Werk, Text und Kontext sich in der heutigen Gesellschaft zueinander zu verhalten haben. Sind sie letztendlich den Anforderungen der politischen Korrektheit unterworfen und so zu einem radikal-toxischen Gegensatzpaar geworden, das sich mithin selbst auflöst? Und darin zeigt dieses Künstlerdrama, das gegen Ende freilich auch immer stärker die Wesenszüge des psychologischen Thrillers in sich einschließt – ein Genre, das scheinbar auf eine private Psychose verweist – seine politische Dimension: Das sich so heftig und blutig zersetzende Privatleben kann immer nur als ein Bild der Gesellschaft verstanden werden, das es produziert.

Marc Trappendreher
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