Was einen hier erwartet, ist schräg. Davon warnen nicht nur Ankündigung und Programmheft, in dem sich das absurde Stück in Bildern, Kommentaren und Quizzen abfeiert (mit Fragebogen: Welches Pferd bist Du?) und satirisch dokumentiert. Mit Mendy, das Wusical, dem Theaterstück des Mülheimer Unterhaltungskünstlers Helge Schneider, einst als Auftragsarbeit für das Schauspielhaus Bochum entstanden (Premiere: 17. April 2003), wagt sich das Regieteam um Jacques Schiltz, Tom Dockhal (Land-Autor) und Claire Wagener in andere Sphären des Humors. Selbst bei nicht eingefleischten Helge-Schneider-Fans sollte in der fast zweistündigen Inszenierung im Kapuzinertheater kaum ein Auge trocken bleiben.
Die Geschichte des Komiker-Stars, der in Deutschland eher ältere Generationen begeistert: Als Helge ein kleiner Junge war, wollte er ein Pferd haben... Er hatte alle Bücher von Karl May gelesen, aus Geldmangel bekam er kein Pferd, sondern das Pferd des kleinen Mannes, einen Hamster. Und: Hamster und Pferde kotzen nicht! Daher der Ausspruch: „Man hat schon (vor der Apotheke) Pferde kotzen sehen!“ Doch selbst sein dritter Hamster starb ihm unter den Händen weg, als Helge fünf war. Sein dringlichster Wunsch: Raus aus den bürgerlichen Zwängen! Die Zeitschrift Wendy hatte Helge abonniert, weil er kein Pferd haben durfte. Irgendwann wollte er die Idee von seinem Musical verwirklichen ...
Helge Schneiders Humor ist nicht hintersinnig, sondern grobschlächtig wie mit dem Hammer. Schon zum Auftakt dieser aufwändigen Produktion wird klar, dass das Regie-Team den absurden Humor Schneiders verinnerlicht hat und offenbar Spaß daran, die Satire selbstironisch auf die Spitze zu treiben. Die Verbindung von Jazzmusik und Klamauk lässt zudem Helge Schneiders ureigenen Satirestil aufleben.
Das Bühnenbild: ein glitzernder silberner Vorhang. Die Zuschauer/innen erhalten Einblick in eine (ranzige) Küchenstube, in Leuchtschrift überschrieben „My sweet home“. Ein Schauspieler baut ungelenk das Mikro zusammen und bläst einen Wurstballon auf. Dann geht’s los. Auf dem Reiterhof weht ein rauer Wind. Mutter Gudrun (Rosalie Maes) thront matronenhaft in der Küche und weist ihre Tochter Wendy (Anne Klein) zurecht: „Sieh Dein Zimmer an, Du Scheiße Du!“, um sogleich singend hinzuzufügen: „Es ist ein Saustall – räum auf, räum auf!“ Anne Klein gibt hervorragend das naive 15-jährige Pferdemädchen Wendy in Reiterhose, Ringelpulli und Stiefeln; sie lamentiert: „Ach, ich arme Wendy!“
Alsbald werden Mutter und Tochter sich darum streiten, wer das Pferd Mocca (Dominik Raneburger) ohne Sattel reiten darf. Der geile Knecht (Konstantin Rommelfangen) rückt wie ein Pornodarsteller mit nacktem Oberkörper und Hosenträgern an, die Mistgabel im Anschlag.
Wendy klagt: „Der Rodeo-Unfall nahm Vater das Lebensglück“, was Mutter und Tochter nicht daran hindert, auf der Behinderung des Vaters herumzureiten. Die politisch inkorrekten Dissungen des Vaters laufen quasi in der Endlosschleife ...
Alle Rollen sind überdrehtes Klischee und perfekt gecastet. Al Ginter gibt grandios grotesk den Säbel schleifenden Fleischer; Rosalie Maes spielt wunderbar vulgär. Nickel Bösenberg mimt prollig den Porsche-versessenen Rolli, verbittert gegen die Welt. Die musikalische Untermalung (Jitz Jeitz: Saxofon und Klarinette, Misch Feinen am Schlagzeug, Georges Urwald am Klavier) inszeniert den schräg-grotesken Humor.
Die Dialoge sind abgedreht, manchmal flach. So röhrt die Mutter monoton: „Wie war’s in der Schule?“ Wendy patzig: „Gut!“ – „Was sagt der Lehrer?“ Wendy: „Nichts!“, während Nickel Bösenberg wütend auf den Teller schlägt und der geile Knecht die Mutter betatscht. Das Chef-Pferd (Pitt Simon) mutiert vom Balletlehrer mal eben zum Kegel Jean Quillaume: „Du hast Deinen Auftritt verpasst“, näselt er in einer Kegelverkleidung, einem hautengen Teletubbie-ähnlichen Aufzug. Überhaupt beeindrucken die schrägen Outfits (Michèle Tonteling; Maßanfertigung: Laurie Lamborelle). Die allesamt glänzenden luxemburgischen Darsteller und die Verlagerung des Geschehens nach Luxemburg verleihen der Inszenierung Lokalkolorit.
Recht schnell werden Mutter und Knecht triebgesteuert übereinander herfallen und dabei singen: „Wir ficken“, der Chor wiederholt: „Sie ficken!“ Der Vater erwischt sie auf frischer Tat und stellt gegenüber seiner Tochter Wendy fest: „Ich werd’ nicht mehr gebraucht! Ich kann nicht mal mehr meinen Stall ausmisten.“
Doch Vater Heinz nimmt Rache: Der Knecht wird kurzerhand zerfleischt, seine blutigen Knochen in einem Müllsack entsorgt. „Warum?“, jault der Knecht noch mit der Axt im Rücken. Dann rückt auch schon der Schwarze Vogel (Philipp Alfons Heitmann) als Sichelmann an, um ihm die Seele herauszuziehen. Die Fleischreste... landen in der Mesa Verde!
Die Pause füllt ein Live-Konzert. Die Luft ist ein wenig raus, die Inszenierung hat zuweilen Längen. Doch nimmt das Stück noch einmal Fahrt auf und die verrückten Wendungen der trivialen Pferdegeschichte machen wieder Spaß, auch in Erwartung der nächsten Kapriole. Das triefend kitschige „Happy End“ wird zum Soundtrack von „We Are the World“ eingeläutet. „Ich bin ein Mensch – komm mach mit, diesen langen Ritt! Ich bin ein Mensch, ich darf es sein!“, singen alle Darsteller zu fliegendem silbernen Konfetti.
Helge Schneider ist halt Helge Schneider, wer’s nicht mag, geht nicht hin. Die detailreiche Inszenierung überzeugt durch den konsequenten Mut zur Peinlichkeit und hat in ihrer Schrägheit, der exzellenten Besetzung und dem launigen Schauspiel Kultpotenzial.