Kunst ist nicht nur zum Anschauen schön. „Es ist so ein herrlich unregulierter Markt“, schwärmte vor Jahren der Schweizer Kunsthändler Iwan Wirth: „Preisabsprachen, Kartelle - das ganze System arbeitet mit Methoden, die in jedem anderen Markt illegal wären“. Er genieße das sehr, da könne man noch „ein richtiger Unternehmer“ sein. Mittlerweile stören zwar allerhand Vorschriften, und seit Wirth von Gstaad bis Hong Kong mehr als 20 Galerien dirigiert, fallen seine Interviews mit der Financial Times weniger offenherzig aus. Das Geschäft mit Gemälden, Skulpturen und anderen Preziosen ist aber immer noch ein schillerndes Metier. In Zürich hat das Schweizer Finanzmuseum gerade eine Ausstellung zur finanziellen Seite des Kunstmarkts eröffnet: Texte, Infografiken und Videos zur Entwicklung des Kunsthandels, seinen Akteuren und Geschäftspraktiken sind ausgestellt. Dazu werden erlesene Aktien und Anleihen aus der weltgrößten Sammlung historischer Wertpapiere präsentiert. In vordigitalen Zeiten bekamen Investoren ihre Anteilscheine schon mal als Kupferstiche auf Kalbpergament. Münzen und Banknoten, traditionell ebenfalls von Künstlern gestaltet, werden dagegen nicht gezeigt. Vielleicht will die Six-Group, die über eine Stiftung das Museum trägt, keine Werbung für die Bargeld-Konkurrenz machen? SIX betreibt die Börsen in der Schweiz und Spanien und ist im elektronischen Zahlungsverkehr aktiv. Die Kunstmesse Art Basel und die Großbank UBS geben einen Report zum globalen Kunstmarkt heraus, soweit sich diese undurchsichtige Branche anhand von Auktionsergebnissen und Angaben von Händlern schätzen lässt.
Laut der neusten Ausgabe wurden im Jahr 2023 mit Kunstwerken rund 65 Milliarden US-Dollar umgesetzt, 4 Prozent weniger als im Jahr 2022, aber wieder mehr als vor Corona. Der gesamte Weltmarkt für Kunst ist demnach drei Mal kleiner als der Weltmarkt für Tomaten und ungefähr gleich groß wie der Jahresumsatz von ArcelorMittal. Diese wirtschaftliche Bedeutung von Kunst sollte nicht unterschätzt werden, findet Andrea Weidemann, die Leiterin des Schweizer Finanzmuseums. Sie verweist darauf, dass in der Schweiz die „Kulturwirtschaft“, inklusive Architektur und Werbung, rund 4,3 Prozent aller Arbeitskräfte beschäftigt und 2,04 Prozent des Bruttoinlandprodukts erwirtschaftet - mehr als die Landwirtschaft, die 0,6 Prozent der Wirtschaftsleistung erbringt. Dazu kommen indirekte Effekte, etwa Ausgaben von Messe-Besuchern. Viele klammer Kommunen hoffen daraufhin auf Museen-Wunder nach dem Vorbild von Bilbao in Spanien: Die ehemalige Industriestadt lockt nun mit einem spektakulären Museumsbau Millionen Touristen an. Geld und Kunstwerke finden leicht zusammen. Die italienische Bank Monte dei Paschi kaufte schon in der Renaissance erste Gemälde an. Nicht mehr Kirchen, sondern Konzerne haben heute die größten Sammlungen: Die Deutsche Bank besitzt rund 55.000 Kunstwerke, die UBS über 30.000, der Schrauben-Händler Würth mehr als 20.000. Von den immer abstruseren Rekordpreisen für Kunst profitieren jedoch nur wenige Produzenten: Trotz großzügiger Stipendien und anderer Förderungen verdienen selbst in der reichen Schweiz fast zwei Drittel der Kunstschaffenden mit ihrer Hauptberufung weniger als 10.000 Euro pro Jahr.
Was als „Blue Chip“-Kunst für Millionenbeträge gehandelt wird, bestimmen vor allem die beiden Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s, in Kooperation und Wettbewerb mit ein paar Dutzend Großsammlern, Großgalerien, Großkritikern, Großmuseen und Großkünstlern. Ein Filz, wie gemacht für Insiderhandel, Geldwäsche und andere Betrügereien? Das Finanzmuseum spricht freundlicher von „Schattenseiten“ und „mangelnder Transparenz“. Wenn zum Beispiel Museumskuratoren gleichzeitig als Gutachter und Händler auftreten, könne es zu „Interessenkonflikten“ kommen. Hilfreich sind jedenfalls Zollfreilager, in denen Wertgegenstände anonym gehandelt und abgabenfrei gelagert werden können, gerne auch länger als Verjährungsfristen für Diebstahl oder Steuerhinterziehung.
Zu den Gemeinsamkeiten von Finanz- und Kunstmarkt gehört die zunehmende Beschleunigung: Laut Umfragen von Art Basel und UBS behält mehr als ein Drittel der privaten Sammler ihre Kunstwerke weniger als drei Jahre, 44 Prozent geben sie nach drei bis fünf Jahren ab - nur 2 Prozent halten die „dauerhaften Sachwerte“ länger als zehn Jahre. Anders als bei Aktien gibt es mit Gemälden wohl noch keinen sekundenschnellen Hochfrequenzhandel. An der „Investierbarkeit“ von Kunst wird aber gearbeitet: Leasing, Tokenisierung, Fraktionierung. Die neue Liechtensteiner Börse Artex hat in diesem Frühjahr aus einem dreiteiligen Gemälde von Francis Bacon eine mit 55 Millionen US-Dollar bewertete Aktiengesellschaft gemacht. Dass das Triptychon derzeit als Leihgabe im Luxemburger Nationalmuseum ausgestellt wird, ist nicht nur schön, sondern vermutlich auch wertsteigernd.