Dieser Teil der Serie befasst sich mit einem der früheren überseeischen Migranten in Luxemburg: Comte de Nau, wie er sich damals unter anderem nannte. Er war in Haiti geboren und betrog mehr als drei Jahrzehnte lang die High Society Europas. Die fiktiven Geständnisse des angeblichen Comte entspringen der Tatsache, dass Hochstapler oft ein Bedürfnis haben, ihre Geniestreiche mitzuteilen. In den Quellen lassen sich solche Geständnisse nicht finden, wohl aber einige Briefe, deren Wortlaut und Themen sich hier wiederfinden.
Geständnisse eines Schwindlers, Comte de Nau (geb. 1834 Haiti): Luxemburg, 20.02.1885. Ich gestehe für die Nachwelt, denn mir ist, als ob man mir bald auf die Schliche kommt. Es ist wahr, dass ich Menschen hinters Licht geführt habe. Aber stimmt es nicht auch, dass manche von ihnen auf ihre eigene Gier und nicht auf mich, den haitianischen Comte, den reichen Gutsbesitzer aus Nordamerika, und den persischen Priester, hineingefallen sind? Und anderen habe ich so viele Hinweise gegeben, solch fantastische Geschichten erzählt… Ich sei in Haiti Sklavenhalter, und sie glaubten mir; ein bisschen Weltgewandtheit kann doch erwartet werden. Und obwohl sie noch nie von der Haitianischen Revolution hörten, glauben sie besser als ich zu sein, der ich fast die gesamte europäische Literatur gelesen habe, nur weil sie in Europa geboren sind. Und weil ich anders aussehe, glauben sie mir jede Herkunft, ob Haiti, die Staaten oder Persien.
Es stimmt aber auch, und das liegt mir schwer am Gewissen, dass auch gutmütige Menschen zu meinen Opfern wurden. Ist jedoch Opfer das richtige Wort? Haben sie es etwa nicht genossen, mit dem exotischen Grafen Zeit zu verbringen? Sind sie mir nicht an den Lippen gehangen, als ich die spannendsten Geschichten erzählte? Und durften sie nicht Teil meines Abenteuers sein und einem armen Comte aus Übersee z. B. dabei helfen, seine junge Braut heiraten zu können? Gab ihnen das etwa kein gutes Gefühl?
Weil die Welt ungerecht ist, wollte ich mir das nehmen, was mir zusteht. In Haiti unter Soulouque war ich zu weiß und mein Vater wollte mich nicht anerkennen. Darum hat Soulouque, der so viele Adelstitel verteilte, mir in Wahrheit keinen verliehen.
Hier in Europa bin ich zu dunkel. Es fiel vielen schwer, mir meinen Titel zu glauben, obwohl er nicht einmal unrealistisch ist. In den Augen vieler kann ein Haitianer nicht adelig sein. Doch nach welchem Recht will man mir einen Titel meines Landes anfechten? Aus dem Völkerrecht, nachdem die Staaten ihre Gesetze und politischen Systeme selbst bestimmen dürfen, ist Haiti wohl ausgeschlossen. Und obwohl ich die besten Manieren habe und hochintelligent bin, bleibe ich in den Augen der Europäer ein Wilder in edlem Gewand. Von den Wilden sind sie fasziniert. Sie holen sie sich als Schausteller und sagen ihnen, wie sie sich benehmen sollen. Die eine sei eine Amazone, der andere ein Nubier. Und auch ich biete ihnen ein Spektakel, nur mache ich es anders: Ich trete ihnen auf Augenhöhe gegenüber, bin mein eigener Regisseur und auch den Gewinn an meinem Schauspiel nehme ich mir selbst. Und ich gebe zu, es gefällt mir. Manchmal gehe ich so in meiner Fantasie auf, dass ich sie fast selbst glaube.
Die guten Leute, denen ich unrecht tat, bitte ich um Verzeihung. Ich kann darauf schwören, dass meine Zuneigung echt war, nur die Schale, mein Äußeres, war gespielt. All die anderen feinen und weniger feinen Menschen, die mit Comte de Nau oder einem anderen in Berührung kamen, ermahne ich, mich zu richten, denn das, was sie an mir verletzt, ist lediglich der Spiegel, den ich ihnen vorgehalte und sie sollten daran denken, dass auch sie eines Tages gerichtet werden.
Drei Jahrzehnte eines haitianischen Lügenbarons
Nau wurde wahrscheinlich als uneheliches Kind einer Haushälterin und eines Barons auf Haiti geboren. Als Jugendlicher erlebte er die Herrschaft des selbstgekrönten Kaiser Soulouque. In Luxemburg, wie auch im Rest Europas, wurde sich vor allem über den großen Pomp und die vielen Adelstitel, die dieser Kaiser verteilte, lustig gemacht. Das, obwohl er ein ernsthafter Politiker war und die Adelstitel als wichtiges Symbol gewertet werden können, denn der neue haitianische Adel bestand hauptsächlich aus ehemaligen Sklav/innen.1
Nau verließ Haiti vermutlich 1857 und ging nach Nordamerika und dann nach Europa. Eine der Gründe war möglicherweise das Regime, da der Kaiser gegen die vormaligen Herrscher Haitis, vor allem Mulatten, mit harschen Mitteln vorging.2 Nach seiner Überseefahrt begann seine Hochstaplerkarriere, die mindestens drei Jahrzehnte anhalten sollte. Unter verschiedensten Namen gab sich Nau in ganz Europa als politischer Vertreter, als Geistlicher, als Gutsbesitzer und vieles mehr aus. Er verkehrte mit der High Society und fand meist einen möglicherweise unwissenden Komplizen. Dieser war öffentlich gut angesehen und stellte ihm die besten Zeugnisse aus. Nau konnte nun auf Kredit im Luxus leben. Zu seinem Geld würde er später kommen und bei seiner Abreise hinterließ er überall Schulden. So das Grundbetrugsschema, doch hatte Nau auch noch andere auf Lager: Er verkaufte z.B. organisierte Auswanderungen, die nie stattfanden oder heiratete unter anderen Namen verschiedene Töchter aus reichen Familien.
1860 wurde er in Paris das erste Mal für Betrug verurteilt, ein Missgeschick, das auch in späteren Jahren immer wieder vorkam. Vielen Festnahmen konnte er sich jedoch durch seine Redegewandtheit entziehen. Ab 1872, besuchte Nau Luxemburg mehrmals. Zuerst gab er sich als persischer Bischof aus und sammelte Geld für den Petersdom. Seine Rolle als haitianischer Graf nahm er wahrscheinlich bereits in den späten 1870ern an, vermutlich um sein übliches Betrugsschema anzuwenden. Jedenfalls verkehrte er mit wichtigen luxemburgischen Staatsmännern und wurde angeblich sogar in die Freimaurerloge eingeladen. Auch hier lebte er auf großem Fuß: Er wohnte im eleganten Hôtel de l’Europe, verteilte Geld und Geschenke an Kinder und hätte sich allgemein extravagant verhalten, was den Luxemburger/innen verdächtig erschien. Als dann seine Identität angezweifelt wurde, setzte sich der haitianische Konsul in Lissabon für ihn ein. Trotzdem wurde er für die Verwendung falscher Namen und die Aneignung eines unrechtmäßigen Adelstitels belangt, wogegen er sich vehement wehrte. Seine Festnahme sei willkürlich gewesen und widerspräche dem Völkerrecht. Sein Adelstitel sei ihm von Kaiser Soulouque verliehen worden, und die Gesetze der jeweiligen Staaten müssten überall anerkannt werden.3 In seinen Briefen an die luxemburgische Regierung beschwor er diese, ihn als haitianischen Staatsbürger ernst zu nehmen und dass auch Haiti als Teil der christlichen Staatengemeinschaft anerkannt werde.
In den luxemburgischen Zeitungen wurde bereits in den 1860er Jahren über seine Betrügereien in Europa berichtet. Er sei einer der gefährlichsten Hochstapler und gefährde die öffentliche Ordnung. Doch handelten die Artikel nicht nur von ihm, sondern auch von seinen Opfern. L’Independance luxembourgeoise machte sich 1872 z.B. darüber lustig, dass diese ihm geglaubt hatten, in Haiti Sklaven zu besitzen. Denn in den 1860er-1880er Jahren wurde zwar überall in den Amerikas die Sklaverei abgeschafft, jedoch hatte Haiti mit seiner Sklavenrevolution bereits um 1800 den Anfang gemacht. Eine Revolution die weltweit für Aufregung gesorgt hatte und in der Debatte um die Abolition eine große Rolle spielte, was den Autor des Artikels dazu veranlasste zu urteilen, dass man „[...] wirklich ungewöhnlich dumm und unwissend sein [muss], um solche Fehler zu verkraften!” Gleichzeitig beschrieben dieser und andere Artikel Nau immer wieder mit Bewunderung. Er sei „kein vulgärer Gauner“, sondern „ein Macher mit unvergleichlicher Souveränität […].“ Er sei höchst intelligent, belesen und habe eine unerschöpfliche Ausdrucksfähigkeit.4 L’Union beschrieb 1864 sein elegantes Auftreten: „Der Schwindler, ein schöner Mann, tritt in den Gerichtssaal wie in einen Salon, mit Glanzstiefeln und Glacéhandschuhen […].“5 Schließlich passen sich Hochstapler durch Statussymbole und Habitus den Rollen, die sie annehmen, perfekt an.6
Und Nau schien nicht nur mit der Adelsrolle zu spielen, sondern auch mit seiner exotischen Herkunft. Dabei wurde er immer wieder mit Rassismus konfrontiert. Der bereits erwähnte Artikel von 1872 beschrieb die rassistischen Aussagen des Richters während der Verhandlung: Er bezeichnete Naus aufgeregte Worte als „haitianischen Geschrei“ und meinte, dass „Angeklagte seiner Art in einem Käfig vor Gericht gebracht werden sollten“.7 In einem anderem Artikel wurde der hochkultivierte Nau in höchst unspezifischer Weise als Naturmensch dar- und dem Kulturmenschen gegenübergestellt: „Obwohl von der Zivilisation geprägt, kehrte die Natürlichkeit des Wilden zurück, und manchmal könnte man meinen, er hätte Federn auf dem Kopf und einen kleinen gelben Lendenschurz.“8 Sicherlich lässt sich eine Verbindung zwischen Naus Rassismuserlebnissen und seiner Hochstaplerkarriere finden. Schließlich legt die Geschichte des Haitianers und vorgetäuschtem Grafen einige Aspekte des Rassismus des 19. Jahrhunderts und seinen Zusammenhang zu internationalen und zwischenmenschlichen Machtverhältnissen auch für Luxemburg offen.