Als rein bürokratisches Gebilde wurde die Grenzregion schon oft belächelt – auf die innere Sicherheit und Verbrechensbekämpfung trifft das sicher nicht zu. Am Freitag vor einer Woche unterzeichneten die Justiz- und Innenminister aus Belgien, Deutschland, Frankreich und Luxemburg einen Vertrag zur verstärkten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Polizei und Zoll – und schufen damit die Rechtsgrundlage für etwas, das seit 2003 Realität in Luxemburg ist: ein Vier-Länder-Einsatzzentrum, in dem belgische, deutsche, französische und luxemburgische Polizeikräfte Informationen sammeln und austauschen sowie Einsätze koordinieren.
Eingerichtet wurde das Koordinationszentrum 2003 auf Initiative Luxemburgs, Deutschlands und Frankreichs. Grundlage waren zwei zwischen Luxemburg und Frankreich (2001) sowie Belgien, Deutschland und Luxemburg (2003) geschlossene Abkommen über die grenzüberschreitende Polizeiarbeit. Sitz des Lagezentrums war – und ist weiterhin – Luxemburg, das die Kosten für Gebäude und Betrieb trägt. Im schmucklosen Polizeigebäude in der Rue Adolphe Fischer im Bahnhofsviertel beantworten derzeit von 8 bis 17 Uhr 14 französische, fünf deutsche, sechs luxemburgische und sechs belgische Beamte Polizei- und Zollanfragen aus dem Grenzgebiet. In Zukunft soll es den Service rund um die Uhr geben.
„Sprachbarrieren besser überwinden“, beschreibt das rheinland-pfälzische Innenministerium den Vorteil des Zentrums. Ähnliche Erfahrungen sammeln deutsche und französische Grenzbeamte bereits seit 1997 im Rahmen des Mondorfer Vertrags mit einem grenzüberschreitenden Einsatzzentrum in Kehl, damals noch mit Sitz in Offenburg, bis es zwei Jahre später ins kleine Grenzstädtchen umzog. Das Ziel ist dasselbe: durch koordinierte Ermittlungen grenzüberschreitende Kriminalität besser zu bekämpfen und Sprachhindernisse in Ermittlungen zu überwinden helfen. Auch im luxemburgischen Einsatzzentrum sind grundsätzlich alle Mitarbeiter zweisprachig.
Anders als beim Prümer Vertrag, der für die Vertragspartner einen automatisierten Zugriff auf dieselben Datenbanken vorsieht, sitzt im Gemeinsamen Zentrum ein jeder Polizist vor der Datenbank seines Landes. Wird beispielsweise gefragt, ob gegen einen Fahrzeughalter in einem Land etwas vorliegt, tippt der Beamte des ersuchten Landes die Kennzeichen in seinen Fahndungscomputer ein und übermittelt die Antwort. Sofern die Rechtslage den Informationsaustausch erlaubt. Denn die (Datenschutz-)Bestimmungen sind nicht in jedem Land dieselben, was gute Kenntnisse des jeweils anderen Rechtsystems voraussetzt. Der Zugriff zur DNA-Datenbank ist strenger in Luxemburg geregelt als beispielsweise in Deutschland.
DNA-Anfragen machen aber nur einen kleinen Anteil der Informationsgesuche aus. Die Pressemitteilung nennt als Ziel, „die Sicherheit in deren Grenzgebieten besser zu gewährleisten und die Möglichkeiten zur Bekämpfung der gravierendsten Formen der Schwerkriminalität zu verbessern“. Und das Luxemburger Justizministerium wird nicht müde den „besonderen Mehrwert“ der Polizeikooperation bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens zu betonen. Das klingt gut, doch das Gros der Anfragen machen seit Inbetriebnahme der Einrichtung 2003 vor allem die Klein- und Mittelkriminalität aus, wie Diebstahl. So war die Anzahl der Anfragen von 26 700 im Jahr 2003 auf 81 000 Ende Jahr 2007 gestiegen, seitdem sinkt sie wieder.
Der Grund: Belgische Behörden hatten die Zahl nach oben getrieben – mit Anfagen über ausländische Verkehrssünder. Das hatte kurzzeitig auch zu Verstimmungen zwischen Brüssel und Luxemburg gesorgt. Denn der Einsatzbereich ist geografisch begrenzt – für Belgien auf die grenznahen Gerichtsbezirke Dinant, Arlon, Neuchateau, Marche und Eupen, für Frankreich auf die Grenzdepartments Moselle, Meurthe-et-Moselle, Ardennes und Meuse, für Deutschland das Saarland und die Polizeibezirke Rheinlandpfalz, Westpfalz und Trier und für Luxemburg das gesamte Staatsgebiet. Die Anfragen kamen aber aus dem Raum Brüssel und darüber hinaus. Verkehrsdelikte sollten zudem eigentlich nicht die erste Sorge der Strafverfolger sein.
Nicht nur bei Ermittlungen gegen mutmaßliche Straftäter, auch in der Prävention wird das Vier-Länder-Zentrum aktiv. Laut dem Übereinkommen, das dem Land vorliegt, arbeiten die Behörden „in den Bereichen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung sowie der vorbeugenden und repressiven Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität“ zusammen. Sogar in Fällen ohne grenzregionalen Bezug können sie tätig werden, ebenso bei der „Erleichterung der Vorbereitung und der Unterstützung bei der Überstellung von sich illegal aufhaltenden Ausländern“. Als im Rahmen der FußballWeltmeisterschaft 2007 das deutsche Innenministerium bei den Nachbarn um Unterstützung ersuchte, waren es belgische, französische und luxemburgische Ordnungskräfte, die an den Grenzen die Fußballfans empfingen. Aber auch Großdemonstrationen könnten künftig vom gemischten Polizeitrupps überwacht werden.
Dass es bei der rasanten Entwicklung der polizeilichen Praxis fünf Jahre dauerte, bis eine neuer Rechtsrahmen unterzeichnet werden konnte, liegt nur zum Teil an Abstimmungsschwierigkeiten. Aus Frankreich sind Polizei, Gendarmerie, Grenzpolizei und Sicherheitspolizei im Zentrum vertreten – was den höheren französischen Personalschlüssel erklärt Die Abtretung von Hoheitsrechten, besonders in der inneren Sicherheit, ist politisch heikel. Skeptiker sehen die auf bi- oder multilateralen Verträgen fußenden Einsatzzentren kritisch, da sie als Vorhut oder Hebel für ein von Regierungschefs bestimmtes Zusammenwachsen der europäischen Polizeien gelten – mit immer weiter reichenden Befugnissen für die Fahnder bei schrumpfender demokratischer Kontrolle. So wie beim Prümer Vertrag zunächst sieben Kernstaaten innerhalb des EU-Schengener Raums, darunter Luxemburg, entschieden, polizeilich enger zu kooperieren, ohne dass dies zuvor vom EU-Parlament respektive den nationalen Parlamenten abgesegnet worden wäre.
Bezüglich des neuen quattropolen Abkommens hatte der Interregionale Parlamentarier-Rat dieses im Juni 2006 selbst gefordert. Doch vom luxemburgischen Parlament ist das Vertragswerk noch nicht gebilligt – kein kleiner Schönheitsfehler. Abgeordnete sind so mal wieder gezwungen, wichtige Initiativen ihrer Regierung nur noch ex post abnicken.