Bewohnbare Umwelt, isländische Pferde und eine heikle finanzielle Situation. So hatte die Beschreibung bei E-Bay gelautet. Verkaufsobjekt: Island. Ein Scherzkeks hatte beim Online-Auktionshaus die ganze Insel zum Verkauf angeboten zu einem Mindestgebot von 1,25 Euro. Das war vielleicht doch ein wenig zu günstig. Schließlich verhandeln die isländischen Instanzen derzeit mit Russland über ein Darlehen von mehreren Milliarden Euro und es wird erwartet, dass der nordatlantische Inselstaat auch den internationalen Währungsfonds um finanzielle Hilfe bitten wird.
Am Mittwoch senkte der umstrittene Notenbankchef David Oddsson den Leitzins von 15,5 auf 12 Prozent; für die Isländer ist das Leben teuer, eine Situation, die sich angesichts des rasanten Wertverfalls der isländischen Krone nicht verbessert hat. Die Situation ist dermaßen angespannt, dass Importeure verlautbaren lassen, die Lebensmittelbestände auf der Insel würden für drei bis sechs Wochen reichen. Die isländische Schulministerin bat schon vergangene Woche das Lehrpersonal, mit den jüngsten Schülern nicht über die Krise zu sprechen, um sie nicht zu verunsichern.
Wie konnte ein Land, dessen Wirtschaftsentwicklung bis vor wenigen Monaten noch den Neid anderer Staaten hervorrief, so rasch an den Rand des Staatsbankrotts geraten? Denn das waren die Worte, die Premier Geir Haarde einsetzte, um die Parlamentarier in Reykjavik von der Notwendigkeit seiner Notstandsgesetze zu überzeugen. Die drei großen heimischen Banken – Landsbanki, Glitnir und schließlich Kaupthing – wurden unter staatliche Aufsicht gestellt. Sie sind es – ebenso wie der Notenbankchef, der dem Finanzsektor während seiner Zeit als Regierungschef ziemlich freie Hand ließ –, die für die Misere verantwortlich gemacht werden. Seit der Privatisierung der isländischen Banken eroberten sie in bester Wikinger-Manier von der Insel aus das europäische Festland. In Skandinavien, Großbritannien auch in Luxemburg gingen isländische Investoren auf Einkaufstour, die Taschen vor Geld nur so überquellend. „Woher nehmen sie das Geld?“, fragte sich manch einer. Jetzt weiß es jeder: Es war geborgt, es war nicht ihres. Umso anfälliger sind die isländischen Banken in Zeiten der weltweiten Kreditklemme.
Auch in Luxemburg gibt es Beispiele für dieses selbstbewusste Auftreten der Investoren aus dem hohen Norden: Vergangenes Jahr kaufte die isländische Baugur-Gruppe die Luxemburger Traditions-Sicav Immo Croissance. Von Wirtschaftspatriotismus damals keine Spur. Weshalb auch. Die isländisch-luxemburgische Freundschaft reicht Jahrzehnte zurück. Jeder Luxemburger über 25 erinnert sich an die Zeit, als die Loftleidir Icelandic Airlines von Luxemburg über Reykjavik nach New York flog und auf dem Zwischenstopp Isländerpullis gekauft wurden. Und verdanken wir nicht einigen besonders unternehmerisch begabten isländischen Piloten die Gründung des heutigen Vorzeigeunternehmens Cargolux? Assoziiert man mit Isländern oder überhaupt Skandinaviern nicht die Eigenschaften seriös, bodenständig, wenn auch vielleicht etwas wortkarg? Wer hätte hinter ihrem selbstsicheren Geschäftsgebaren da eine solche laissez-faire-Kultur vermutet? Oder Larifari – denn Hohn und Spott dieser Art müssen die Isländer dieser Tage endlos über sich ergehen lassen. Die britische Daily Mail beispielsweise titelte vergangene Woche nach dem Einfrieren der Icesave-Konten der Landsbanki in Großbritannien „Banki Hankipanki goes belly-up“.
Baugur hat sich im Juli wieder von Immo Croissance getrennt. Die Gruppe konzentriert sich auf ihr Kerngeschäft, erklärt Immo-Croissance-Geschäftsführer Karl-Heinz Dick. Das sind Mode und Warenhäuser, darunter zum Beispiel die Labels Karen Millen und Whistles, aber auch Ketten wie das Spielzeugparadies Hamleys, House of Fraser und Magasin du Nord. Alles, was nicht mit Einzelhandel zu tun habe, sei verkauft worden, so Dick. An wen der Immobilienfonds verkauft wurde, will er noch nicht verraten. Ein Privatinvestor sei es, isländischer Staatsbürgerschaft. Die Kaupthing Bank, die den Kauf von Immo Croissance durch Baugur abwickelte, ist seither der Hauptdarlehensgeber der Sicav. Deswegen sind die Konten von Immo Croissance, wie die der anderen Kunden der Bank, seit letztem Donnerstag blockiert. Dick versichert jedoch: Alle Zulieferer weren pünktlich bezahlt.
Jene anderen Kunden sind es aber, die den Akteuren des Finanzplatzes, der Luxemburger Regierung und der belgischen Regierung vor allem Kopfzerbrechen bereiten. Denn Kaupthing Bank Luxemburg hatte erst 2007 Robeco, eine kleine belgische Bank samt Kundenstamm gekauft, um direkt in Belgien operativ werden zu können. Daraus wurde Kaupthing Bank Belgien, die allerdings in eine Zweigstelle des Luxemburger Mutterhauses umgewandelt wurde, ohne eigene Rechtsperson in Belgien. Besonders ihre Kunden – darunter keineswegs nur Privatbankkunden, sondern auch solche mit geringeren Vermögen, die auf die Werbung für das besonders hoch verzinste Sparkonto Kaupthing Edge eingegangen waren – stehen nun im Zentrum des öffentlichen Interesses. Denn sie, die sich eigentlich als Kunden einer belgischen Bank wähnten, müssen jetzt auf das Luxemburger System zur Sicherung der Spareinlagen hoffen.
Nicht, dass dieses nicht greifen würde. Ab Montag, so Rüdiger Jung, Association pour la garantie des dépots Luxembourg (AGDL), sind die Büros, die sich der Auszahlungsanfragen annehmen werden – mehrere hundert sind bereits eingetroffen – betriebsbereit. Der Verwaltungsrat der AGDL habe Ende vergangener Woche beschlossen, die nötigen Vorschüsse für die Auszahlung der Garantien bei den Banken anzufordern. Sobald die eingegangenen Forderungen mit den Belegen der vom Gericht eingesetzten Verwalter abgeglichen sind, würden die Garantien ausgezahlt, versichert Jung. Per Gesetz ist die AGDL gezwungen, dies innerhalb von drei Monaten ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit zu tun. Auch wenn die eingesetzten Verwalter der drei isländischen Banken vom Gericht eine Frist von sechs Monaten erhielten, um Analysen und Vorschläge für die Zukunft der Banken vorzulegen. Die AGDL nutzt damit ihren Handlungsspielraum, so weit sie kann. Denn ob den Kunden mehr als 20 000 Euro ausgezahlt werden, ist letzten Endes eine politische Entscheidung.
Die Zahlungsunfähigkeit ihrer Banken kommt für die Kunden zum einem denkbar unglücklichen Zeitpunkt. Denn hatte Belgien nach der Einigung der europäischen Finanzminister vergangene Woche schon angekündigt, die Decke der Spareinlagensicherung von derzeit 20 000 Euro anzuheben, ziert sich Staats- und Finanzminister Jean-Claude Juncker noch ein wenig, will erst am heutigen Freitag konkretere Angaben zu den Plänen der Luxemburger Regierung machen.
Dazu hat er natürlich gute Gründe. Finanzieller Natur. Allein Kaupthing soll in Belgien und Luxemburg 12 000 Kunden haben, 10 000 haben sich in der „Gruppe K“ zusammengefunden, deren Vertreter am Mittwoch in Brüssel auf die Straße gingen. Rechnet man also für die drei isländisch-luxemburgischen Finanzhäuder mit insgesamt rund 15 000 Bankkunden, denen jeweils 20 000 Euro ausbezahlt werden müssen, beläuft sich die Rechnung auf 300 Millionen Euro. Das, versichern Experten, sei eine realistische Einschätzung der Situation.
Deswegen rumort es in den Kulissen des Luxemburger Finanzplatzes. Erst werben andere mit unrealistisch hohen Zinssätzen die Kunden ab und dann müssen wir geradestehen; so lasse sich die Stimmung bei den Banken derzeit zusammenfassen, berichten Insider. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Spuerkeess, BGL BNP Paribas und Dexia Bil davon den Löwenanteil stellen müssen. Wird ihnen das Geld später auch zurückerstattet – entweder durch die betroffenen Banken, falls diese das Geschäft wieder aufnehmen, oder gegebenenfalls vom Konkursverwalter –; in Zeiten der Kreditklemme greift sicherlich keine Bank unbetrübt ins Portemonnaie. Denn anders als beispielsweise in Deutschland oder Frankreich, wo die Banken jährlich ihren Anteil, der proportional zu den Spareinlagen der eigenen Kundschaft berechnet ist, in einen Topf einzahlen müssen, ist das in Luxemburg bisher nicht der Fall. Angesichts der aktuellen Situation fragt sich auch der Direktor der Finanzaufsicht, Jean-Nicolas Schaus, ob das vorausschauende System der Nachbarländer nicht besser wäre. Welchen Anteil welche Bank übernehmen muss, wollte Schaus dem Land nicht verraten.
Angesichts der Proteste erboster Bankkunden am Mittwoch in Brüssel wächst der Druck auf die Luxemburger Regierung eine Lösung zu finden. Und das, obwohl Budgetminister Luc Frieden noch vergangene Woche im Wort erklärt hatte, die drei isländischen Banken seien systemisch irrelevant, sprich, sie würden von der Regierung keine Unterstützung erhalten. Vielleicht hatte er da noch den Starrsinn der Belgier unterschätzt. Denn auch deren Regierung macht sich dafür stark, dass es nicht bei garantierten 20 000 Euro bleibt, sondern die Kaupthing-Kunden ihr Gespartes integral zurückerhalten. Deswegen trafen sich am Mittwoch Jean-Claude Juncker und Yves Leterme mal wieder zum bilateralen Krisengespräch. Gemeinsam wolle man eine Lösung finden, hieß es danach. RTL Radio sagte Juncker, Luxemburg habe in den vergangenen Wochen sehr viel Solidarität mit Belgien gezeigt, nun erwarte er sich belgische Solidarität gegenüber Luxemburg. Man berate gemeinsam und auch mit dem isländischen Premier über mögliche Rettungsszenarien. Ob die belgischen Kunden ihr ganzes schönes Geld zurückerhalten würden, ließ er dabei aber noch offen.
Die günstigste Lösung für alle Beteiligten wäre natürlich der Verkauf der Kaupthing Luxemburg an jemand, der ihr neue Geldmittel zur Verfügung stellen würde. Der belgische Finanzminister seinerseits versicherte bei RTL Belgien, man sei bereit, sich an einer Übernahme der Bank zu beteiligen. Einer gut informierten Quelle zufolge habe die Compagnie de Banque Privée (CBP) sich das Dossier Kauthing Bank angeschaut, da deren Privatbankkunden-Portfolio durchaus begehrenswert sei. Die CBP selbst bestreitet das. Andere Insider glauben eher an die Übernahme durch einen Investmentfonds. Die belgische Zeitung La Libre Belgique bringt ihrerseits die Spuerkeess ins Spiel. Ob es der staatlichen Bank zusteht, sich auch um Privatbankkunden in Belgien zu kümmern? Der Phantasie scheinen derzeit keine Grenzen gesetzt.
Vielleicht könnte man dann ja auch den Neu-Aktionär der Kaupthing-Gruppe, seine Hoheit Sheikh Mohammed Bin Khalifa Al-Thani aus Katar bitten, seinen Anteil zu erhöhen? Ende September 2008 hatte er rund fünf Prozent erworben und gemeint, er betrachte die Beteiligung als langfristiges Engagement und freue sich auf eine enge Zusammenarbeit.
Wie auch immer die Lösung aussieht, die Bankiers hoffen, dass sie vorliegt, bevor die AGDL dazu kommt, die ersten Garantien auszuzahlen. Denn muss Luxemburg unter dem Druck der belgischen Öffentlichkeit die Garantien auf Sparanlagen anheben, wird es mit 300 Millionen Euro nicht getan sein. „Dat gëtt eis eng deier Wichs“, so ein Insider. Und ein anderer: „Da kann man sich dann schon fragen, ob die Situation in Luxemburg der in Island nicht unähnlich ist?“ Und zwar insofern, dass die Konfektionsgröße des Finanzplatzes die des Staates um viele Einheiten übersteigt. Häme gegenüber den Isländern und ihrer Situation sollten sich die Luxemburger demnach besser verkneifen.