Wenn es für die Parlamentswahlen am 7. Juni einen Durchschnittskandidaten gäbe, dann sähe er so aus: männlich, nicht mehr ganz jung – 47 Jahre alt –, wohnhaft im Südbezirk und im öffentlichen Dienst beschäftigt, wahrscheinlich im Unterrichtswesen. So sieht jedenfalls das Profil von 291 Kandidaten der fünf im Parlament vertretenen Parteien im Durchschnitt aus – mit Ausnahme der neun Nordkandidaten der ADR, die erst an diesem Freitagabend designiert werden. Damit zeigt sich erneut, dass der Kandidat ein besonderer Typus ist. Denn die Landesbevölkerung ist mehrheitlich weiblich, jünger und in der Privatwirtschaft beschäftigt.
Zwei Drittel aller Kandidaten sind Männer. Dass trotz frommer Absichten und Quoten bei CSV und Grünen nur ein Drittel der Kandidaten Frauen sind, hat sicher mit einer patriarchalischen Tradition der meisten Parteien zu tun. Benachteiligend wirkt aber auch die Mehrfachbelastung vieler jüngerer und Frauen mittleren Alters, die neben Beruf, Haushalt und Kindern nicht auch noch Zeit für die abendliche Ochsentour durch Parteiversammlungen und Lokalvereine finden.
Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Parteien beim Geschlechterproporz. Dank statutarischer Paritätsvorschriften gibt es bei den Grünen 50 Prozent Kandidatinnen für die Kammerwahlen. Dann folgt, trotz eines Bündnisses mit der Association des hommes du Luxembourg, mit rund 40 Prozent Frauen die rechte ADR. Die ebenfalls rechte CSV kommt dank ihrer statutarischen Quotenvorschrift auf 33 Prozent Frauen. Bei der linken LSAP, wo, trotz ihres emanzipatorischen Anspruchs, vor fünf Jahren ein Kongress eine Quotenregelung verwarf, kandidieren drei Viertel Männer und nur ein Viertel Frauen. Dasselbe Verhältnis herrscht bei der DP, die Geschlechterquoten ablehnt.
Mit 47 Jahren ist der Durchschnittskandidat fast zehn Jahre älter als der Durchschnittt der Bevölkerung. Das hat nicht nur damit zu tun, dass bei jüngeren Jahrgängen die Familie und die berufliche Laufbahn oft Vorrang genießen. Wenn man nicht gerade der Elitesportler oder die Alibistudentin ist, muss man sich insbesondere bei den großen Parteien lange Jahre nach oben arbeiten, bis man einen der begehrten Plätze auf einer Kandidatenliste für die Parlamentwahlen ergattern kann. Die jüngsten Kandidaten hat die ehemalige Rentnerpartei ADR mit einem Altersdurchschnitt von 44 Jahren, gefolgt von den Grünen mit 45; die Kandidaten von CSV, LSAP und DP sind im Durchschnitt 48 Jahre alt. Die jüngste Kandidatin, Esther Bauer (ADR), ist 18, die ältesten, Paul-Henri Meyers (CSV) und Lily Gansen (LSAP), sind 72.
Jeder dritte Kandidat arbeitet für den öffentlichen Dienst im weiteren Sinn. Staat, parastaatliche Einrichtungen und Gemeinden sind damit als Arbeitgeber der Kandidaten sehr stark überrepräsentiert. Denn von der Gesamtbevölkerung arbeitet nur jeder Zehnte für sie. Das hat sicher damit zu tun, dass unter den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Anteil der Luxemburger Staatsbürger, die über das Wahlrecht verfügen, größer ist als an der Erwerbsbevölkerung im Allgemeinen. Staat und Gemeinden machen es aber auch oft einfacher, ein politisches Mandat wahrzunehmen, als Privatunternehmen. Vielleicht haben Staatsdiener aber auch ein ausgeprägteres staatsbürgerliches Bewusstsein.
Bei der LSAP und bei den Grünen arbeitet mehr als die Hälfte der Kandidaten im öffentlichen Dienst, bei CSV und DP ist es fast ein Viertel. Selbst die lange sehr beamtenfeindliche ADR kommt inzwischen auf ein Sechstel. Mehr als ein Drittel der grünen Kandidaten sind Lehrer und Sozialarbeiter. Im öffentlichen Dienst gibt es eine Berufsgruppe, die besonders häufig dazu neigt, ein Abgeordnetenmandat anzustreben: Ein Fünftel aller Kandidaten arbeitet in sozialen und erzieherischen Berufen, darunter besonders viele Sekundarlehrer.
Wer es zum Premierminister bringen will, hat die besten Aussichten, wenn er Rechtsanwalt ist. Denn seit anderthalb Jahrhunderten sind fast alle Staatsminister Anwälte. Folglich ist ein Zehntel aller Kandidaten Anwalt; mit Abstand die meisten bei CSV und DP. Überproportional vertreten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sind auch die medizinischen Berufe unter den Kandidaten, vor allem die Ärzte und Krankenpfleger. Die meisten davon, wie unter den Anwälten, bei der CSV.
Aus der Privatwirtschaft stammt dagegen nur ein Sechstel der Kandidaten. Es sind, nicht nur dank des Einheitsstatuts, fast ausnahmslos Angestellte – die meisten davon bei der ADR. Dagegen finden Arbeiter keinen Platz auf den Kandidatenlisten, nicht einmal mehr bei der LSAP, die sie noch im Parteinamen trägt. Auch Unternehmer kandidieren nicht; in ihrer Kosten-Nutzen-Rechnung schneidet ein politisches Mandat im Vergleich zum Einsatz im Betrieb oft schlecht ab. Die Geschäftsleute lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen und sind somit nicht stärker vertreten als die Studenten, Bauern, Hausfrauen und Gewerkschaftsfunktionäre – und weit schlechter als die Parteifunktionäre. Gegenüber den anderen Parteien ist die Privatwirtschaft auffälligerweise vor allem auf den CSV-Listen unterrepräsentiert.
Dass es große Unterschiede zwischen der sozialen Herkunft der Kandidaten und der Bevölkerung gibt, hat einleuchtende Erklärungen. Aber es wirft dennoch Fragen nach der repräsentativen Demokratie auf: Wie können Volksvertreter mit einem sehr unterschiedlichen Erfahrungshorizont, beispielsweise eine Mehrheit männlicher Lehrer und Anwälte Ende 40, die Interessen eines Volks von Frauen, Industriearbeitern, Unternehmern, Geschäftsleuten, Jugendlichen und Immigranten verstehen und vertreten?
Sowieso ist die beste Voraussetzung, um den Sprung ins Parlament zu schaffen, eine Laufbahn als Kommunalpolitiker, während der man es zur lokalen Bekanntheit bringt. So kandidieren jeder dritte Bürgermeisteren im Land, rund 40 Schöffen und 80 Gemeinderäte. Auffällig ist der Unterschied zwischen Grünen und ADR, die zwar bei den Parlamentswahlen ähnlich stark sind, doch während die Grünen inzwischen drei Dutzend Gemeindepolitiker auf ihren Listen haben, spielt die ADR kommunalpolitisch gar keine Rolle.
Aber auch sämtliche Regierungsmitglieder kandidieren für ein Abgeordnetenmandat, drei Viertel der Abgeordneten und eine Europaabgeordnete wollen zurück an den Krautmarkt. Sie haben auch ihre ganz privaten Sorgen: Viele von ihnen sind inzwischen Berufspolitiker und müssen deshalb am 7. Juni um die Verlängerung ihres auf jeweils fünf Jahre begrenzten Zeitvertrags und damit um ihre berufliche Zukunft und ihr Einkommen bangen.