Wahlprogramme

Ideenwettbewerb

d'Lëtzebuerger Land vom 29.01.2009

Weil sozialpolitisch konservative Parteien lieber horizontal umverteilen und weil vor der Angst vor dem 700 000-Einwohnerstaat die Angst vor dem Aussterben der Luxemburger geschürt worden war, gehörte das Versprechen einer Kindergelderhöhung zu jedem Wahlprogramm von rechts bis links. Doch diese Zeiten sind vorüber. Wahrscheinlich verspricht bis zum 7. Juni überhaupt keine Partei mehr eine Kindergeld­erhöhung, in manchen Wahlprogrammen fällt nicht einmal mehr das Wort „Kindergeld“, obwohl es seit 1947 einen festen Bestandteil des Sozialstaats bezeichnet. Die Ursache dafür lässt sich am besten im neuen Wahlprogramm der DP nachlesen: „Export von Kindergeld ins nahe Ausland explodiert. Weit über 250 Millionen Euro müssen jährlich aufgrund euro­päischer Regelungen an Familienleistungen ins nahe Ausland überwiesen werden.“ Der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar (CSV) hatte die „Explosion“ bereits Ende 2004 in seinem Bericht zum Haushaltsentwurf ein „beunruhigendes Phänomen“ genannt.

Und so sind die meisten Wahlprogramme auch Beiträge zu einem Ideenwettbewerb, um Lücken im europäische Recht zu finden und Familienzulagen zu entwickeln, die den Grenzpendlern und in ihre Heimat zurückgekehrten Immigrantinnen vorenthalten werden können. Die einen Parteien nehmen impliziter teil, weil sie sich scheuen, als schlechte Europäer dazustehen, die anderen expliziter, weil sie der populistischen Versuchung nicht widerstehen können.Den Anfang hatte letztes Jahr der von CSV und LSAP eingeführte Kinderbonus gemacht. Er ersetzt die Kinderermäßigung auf der Einkommenssteuer und stellt nichts anderes als eine Kindergelderhöhung dar, die aber nicht so genannt werden durfte.

Trotz dieser Verrenkungen und anfänglich gegenteiliger Beteuerungen sollte sich rasch herausstellen, dass die Regierung nicht an der „Exportabilität“ ihres Kinderbonus vorbeikam. Deshalb folgen nun in einem Monat die Chèques-services, die gegen Betreuungszeit in Kinderkrippen und Maisons relais eingelöst werden können. Weil sie in lothringischen, belgischen und rheinlandpfälzischen Kinderkrippen wertlos sind, scheinen sie ein effizienteres Mittel, um an der „Exportabilität“ vorbeizukommen. Davon vielleicht ermutigt, will die LSAP laut ihrem Wahlprogramm auch „Dienstleistungsschecks für Fortbildungs-, Mobilitäts- und Kulturangebote” und für „die Ansparung von Rentenansprüchen“ einführen. Die DP verspricht  dagegen ein „Wohngeld“ für Ortsansässige, das „gegen­finanziert [wird] durch die Verringerung des Exports von Geldern ins nahe Grenzgebiet“.

In seiner Erklärung zur Lage der Nation im Mai vergangenen Jahres hatte Premier Jean-Claude Juncker schließlich gemeint, dass die Kinderbetreuung mittelfristig kostenlos werden soll. Die Parteien hatten sich zuerst überrumpelt gefühlt, doch nun übernimmt eine nach der anderen die kostenlose Kinderbetreuung in ihr Wahlprogramm. Aber vielleicht geht es bei dieser bis vor wenigen Jahren noch unvorstellbaren Infragestellung der traditionellen CSV-Familienpolitik nicht nur um die Nachahmung eines fortgeschrittenen skandinavischen Modells. Sondern mit dem Versuch, „weg von rein finanziellen Unterstützungen und hin zu einem umfassenden und effizienten Dienstleistungsangebot“, wie es im Wahlprogramm der Grünen heißt, auch um den Übergang zu familienpolitischen Leistungen, die Grenzpendler nicht oder kaum nutzen können. Damit würden 44 Prozent der Beschäftigten hierzulande um staatliche Leistungen gebracht, die sie als feste Lohnbestandteile ansehen. Es ist nicht sicher, dass sie sich das so einfach gefallen lassen.  

Romain Hilgert
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