DP-Wahlprogramm

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d'Lëtzebuerger Land vom 15.01.2009

Seit selbst die in der Resistenz patriotisch berauschten Kommunisten 1945 beschlossen hatten, eine kleine Volkspartei sein zu wollen, ist die DP die letzte Klassenpartei. Die traditionelle Mittelstandspartei will bei den Wahlen 2009 die Partei der Mittelschichten sein. Und aus dem diese Woche vorgestellten liberalen Wahlprogramm lässt sich das Profil ihrer Lieblingswähler deutlich herauslesen: junge Luxemburger Angestellten- und Beamtenfamilien mit einem oder zwei Kindern, die sich im Büro widerspruchslos abrackern und dafür in der Freizeit so leben möchten, wie sie wollen; die ihren Müll sondern, ohne sich den Spaß am Autofahren vermiesen zu lassen; die sich gleichzeitig urban fühlen und ein Eigenheim im Grünen abstottern wollen; die mehr Unterhaltungselektronik als Bildung haben.

Ihnen macht die DP, die am 26. Januar die Namen ihrer Kandidaten bekannt gibt, mit einigen griffigen Wahlversprechen ziemlich geschickt ein politisches Angebot. Dazu gehört selbstverständlich das süßeste aller Wahlversprechen: „Wir werden die Steuerlast in den mittleren Einkommensbereichen senken und deren Kaufkraft nachhaltig stärken.“

Doch während der kommenden Legislaturperiode will die DP auch die Kosten der Kinderbetreuung jährlich um 20 Prozent senken, bis sie nach fünf Jahren, 2014, kostenlos ist. Selbstverständlich parallel zu einem „auf fünf Jahre angelegte[n] Investitionsprogramm“ zur Schaffung von Betreuungsplätzen in allen Gemeinden. Geld spielt dabei offenbar keine Rolle, denn die „Kinderbetreuung finanziert sich quasi selbst“, jeder in die Kinderbetreuung investierte Euro bringe drei Euro für die Allgemeinheit ein.

Die kostenlose Kinderbetreuung hatte als erster vor einem Jahr Premier Jean-Claude Juncker in Aussicht gestellt, die Grünen haben das Versprechen dann vage übernommen und wahrscheinlich kommt bis Juni keine Partei daran vorbei, nachzuziehen. Doch die DP ist die erste Partei, die einen konkreten Zeitplan vorzulegen sich traut.

Zum politischen Angebot der DP gehört auch die Schaffung eines Wohngelds bei einer gleichzeitigen Senkung des Kindergelds. Erklärtes Ziel dieser Maßnahme soll es sein, „den Export von Kindergeld ins Ausland deutlich ab[zu]senken“. Das ist natürlich populistisch, aber nicht weniger populistisch als CSV und LSAP, die mit Kinderbonus und Dienstleistungsschecks ebenfalls versucht hatten, einen Ersatz für Kindergelderhöhungen auszutüfteln, die den Grenz­pendlern vorenthalten werden können. Der wirtschaftlich besonders für Bezieher niedriger Einkommen günstige Elternurlaub soll für Mittelschichtenfamilien interessanter gemacht werden, denen während einer kürzeren Zeit ein höheres Ersatzeinkommen angeboten wird.

Als liberale Alternative zu einem dirigistischen Umweltschutz mittels Gesetzen und Steuern bietet die DP „Energiespar-Contracting“ an: Investitionen zum Energiesparen sollen über eine neue Staatsbank oder von den Gemeinden vorfinanziert werden, der Betrag der Energieersparnis soll dann genutzt werden, um die Schuld abzuzahlen. Allerdings scheint es mit dem Kampf gegen den Dirigismus nicht so weit her zu sein, denn ab 2013 soll die Installation neuer Öl- oder Gasheizungen verboten werden.

In der Schulpolitik hatte die DP Mühe, ein originelles Versprechen zu finden. Nun will sie den staatlichen Bildungsauftrag in Artikel 23 der Verfassung ändern, um leicht demagogisch „die Politik aus der Schule herauszuhalten“. Dabei hatte das Versprechen einer Bildungsoffensive 1999 wesentlich zum Wahlsieg der DP beigetragen. Die Offensive wurde zum konservativen „Back to basics“ und die DP bekennt sich nun zur Regierungspolitik, schwört auf unterschiedliche Schulmodelle, Kompetenzsockel und neue Bewertungsmethoden.

Dass Luxemburg eines der ersten Länder ist, das die Euthanasie legalisierte, zeigt vielleicht bloß, dass die anderen Parteien sich immer weiter radikalisieren müssen, um sich gesellschaftspolitisch von der modernisierten CSV abzugrenzen. Die DP bietet noch einmal das gesamte Arsenal linkslibera­ler Reformen an, wie sie in den vorigen Programmen und auch bei LSAP und Grünen stehen. Dazu gehören eine Abtreibungs- und eine Scheidungsreform, das Rentensplitting,  gleichgeschlechtliche Ehen, die Senkung des aktiven Wahlalters und Werte- statt Religionsunterricht. Ab 2011 sollen Antiterrorgesetze abgeschafft werden, die sich als unwirksam erwiesen haben und lediglich die Privatsphäre der Bürger einschränken.

Die DP will ihre Wähler nicht mit Krisengerede verängstigen. Deshalb findet die Finanz- und Wirtschaftskrise in ihrem Wahlprogramm nicht weiter statt. Statt einer großen, liberalen Runde Steuersenkungen als Konjunkturprogramm verspricht sie die automatische Anpassung der Steuertabelle an die Inflation. Die gemeinsame Veranlagung von Ehepartnern soll durch eine Individualisierung des Steuersystems ersetzt werden. Da dies Steuererhöhungen für Ehepartner mit Einkommensunterschieden gleichkäme, soll gleichzeitig eine nicht näher definierte Steuersenkung erfolgen. Außerdem wollen die Liberalen „die Abschreibung von Kreditzinsen in den ersten zehn Jahren der Kredittilgungszeit verdreifachen“.

Bemerkenswert ist, dass die DP den „Index als Sozialinstrument erhalten“ will, aber nicht mehr als automatischer Inflationsausgleich,  sondern unter Berücksichtigung der Produktivitäts- und Lohnkostenentwicklung als das Mittel einer von manchen Gewerkschaften heftig bekämpften nationalen Lohnpolitik.Vieles wird nun davon abhängen, ob es der DP gelingt, dieses politische Angebot in der Öffentlichkeit so bekannt zu machen, dass darüber diskutiert und es mit der Partei identifiziert wird. Schon die Wahlkampflosung „Nei Weeër wielen“ zeigt, dass die Vorschläge einen Generalangriff auf die Familien- und Gesellschaftspolitik der CSV darstellen, die bei den vorigen Wahlen den „séchere Wee“ versprochen hatte, – und damit auch auf die als zu CSV-freundlich angesehene alte Garde der eigenen Partei. Denn vor allem die eigenen Mitglieder fordern seit Jahren mehr politisches Profil. Deshalb hatte, als Nachfolger der rasch gescheiterten Agnès Durdu, der neue Ge­neralsekretär, Georges Gudenburg, gleich einmal die CSV als „Besatzungsmacht“ beschimpft.

Die Wahlprogramme der DP schwanken alle fünf Jahre politisch hin und her. 1994 gab sie sich modisch radikalliberal, wollte abspecken und entschlacken und verlor prompt die Wahlen. 1999 war sie, bis auf die versprochene Wiedereinführung des 1984 von ihr und der CSV abgeschafften Kapitaldeckungsverfahrens, aus der Opposition heraus sozialliberal, versprach eine Gehälterrevision und gewann die Wahlen. 2004 war sie aus der Regierung heraus sozialliberal, wollte nicht einmal mehr das Kapitaldeckungsverfahren und eine richtige Gehälterrevision einführen und verlor die Wahlen. Der sozialliberale Präsident Charles Goerens wurde abgesetzt, kam mangels Alternative bald als Fraktionssprecher wieder, und nun zieht die personell erneuerte DP mit Gehälterrevision und ohne Kapitaldeckungsverfahren in die Wahlen.

Dieses ewige Dilemma zwischen links- und rechtsliberal, zwischen Mittelschichten und Mittelstand will die DP jetzt dadurch lösen, dass sie beinahe zwei Wahlprogramme hat: eine leicht lesbare Kurzfassung für Mittelschichten und eine nur im Internet zu findende Langfassung für Mittelständler. Diese können dort nachsuchen, dass die DP die Körperschafts- und Gewerbesteuer insgesamt von 27,75 auf 25 Prozent ohne Ausweitung der Berechnungsgrundlage senken will. In dieser dem Kleingedruckten gleichkommenden Ausgabe wird auch die „von Professor Lionel Fontagné vorgeschlagene Einführung eines Mindestlohns für Auszubildende (SSM-Formation)“ während einer Testphase versprochen, ei­ne mögliche Senkung des garantier­ten Mindesteinkommens, die Aus-weitung der „Referenzzeit für einen POT von einem auf zwölf Monate“ und die „komplette Aufhebung der Ladenöffnungszeiten“.

Ob die DP aber nicht nur den willfährigen Koalitionspartner findet, sondern auch die vorgesehenen fünf Jahre Zeit behält, um ihre Wahlversprechen umzusetzen, ist nicht sicher. Denn sie will, so die Internetversion, auch „die Landes- von den Europawahlen trennen. Die DP ist dafür bereit, die kommende Legislaturperiode um ein Jahr zu kürzen.“

Romain Hilgert
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