Nach einer Verschnaufspause geht es im hohen Tempo weiter: Seit Wochen tingelt Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) durchs Land, im Gepäck das „Joerhonnertwerk“, die „Loi Delvaux“, wie die LSAP das neue Grundschulgesetz unbescheiden nennt. Auch nach einstündigem Vortrag ist die Laune gut: Die meisten Eltern begrüßen die „überfälligen Reformen“ und gratulieren zum „mutigen Schritt“. Die Ministerin, das zeigt sich, hat mit ihrem Reformkurs den Nerv getroffen.
Der gesellschaftliche Konsens spiegelt sich in den Wahlprogrammen wider. Keine Partei weit und breit, welche die Umstellung vom „inputorientierten“ Schulsystem auf ein „outputorientiertes“, das Ergebnisse in den Mittelpunkt der Reformbestrebungen stellt, im Kern anficht. Die Einführung von Kompetenzen, die Reform des Sprachenunterrichts, differenzierte Lehrmethoden für eine heterogene Schülerschaft – das alles findet, in unterschiedlicher Akzentuierung, parteiübergreifend Zustimmung und wird in keinem Programm bestritten, auch nicht von der ADR, die die Schule zum Dienstleistungsbetrieb ummodeln will.
Selbst die DP, die in der vorigen Legislaturperiode die Unterrichtsministerin stellte und danach als schlechte Verliererin alle Vorschläge der Nachfolgerin attackierte, gesteht ein, dass „das Konzept der öffentlichen Schule im Sinne einer besseren Integration überdacht werden muss“. Der Leistungsgedanke, Credo der Brasseurschen Bildungspolitik, ist zwar nicht verschwunden, wird aber eingegrenzt durch den Leitsatz, möglichst gleiche Startchancen für alle zu schaffen. Den Liberalen ist nicht entgangen, dass unter der Bildungsmisere zunehmend auch Luxemburgs Mittelschichtkinder leiden. Anders als die LSAP und déi Gréng will die DP (wie CSV und ADR) die Noten in der Grundschule aber nicht abschaffen, sie setzt „ergänzend“ auf „deskriptive Bewertungsmethoden“. Die Reform des Sprachenunterrichts soll weiterlaufen: Was bei déi Gréng „Haupt- und Nebensprache“, bei der LSAP „erste und zweite Unterrichtssprache“ und bei der CSV etwas vage „nuancierte Sprachanforderungen“ heißt, wollen die Liberalen über Sprachenunterricht als Fremdsprachenunterricht erreichen. Überdies setzen sie sich für eine Alphabetisierung wahlweise auf Deutsch oder Französisch ein. Ansonsten lautet die Devise aber „Schluss mit dem Hin und Her“. Die Grundpfeiler des luxemburgischen Schulsystems, die Unterscheidung in drei Schulstufen, rührt die DP nicht an.
Damit steht sie nicht alleine. Von einem Systemumbau ist bei den meisten Parteien nicht die Rede. Jedenfalls nicht offen. Weil auch in Zukunft eine Ein-Partei-Regierung so gut wie ausgeschlossen ist, wird der Kompromiss von vornherein mitgedacht, eindeutige inhaltliche Festlegungen sind rar. Am weitesten gehen Déi Lénk, die eine „Gesamtschule“ für Kinder bis 16 Jahre fordern. Déi Gréng wollen ebenfalls „vom Prinzip der Orientierung nach der sechsten Klasse in drei getrennte Ausbildungsgänge abrücken“. Die verklausulierte Formulierung hat den strategischen Vorteil, dass sie in beide Richtungen gelesen werden kann: Als radikale Abkehr vom dreistufigen Schulsystem hin zur Gesamtschule für grüne Fundis, oder als allmählicher Prozess mit einer Ausdehnung zunächst des zweijährigen Lernzyklen-Modells auf den unteren Zyklus des Sekundarunterrichts für Realisten: Den Vorschlag hatte Delvaux-Stehres während ihrer Amtszeit unterbreitet, er steht nun im LSAP-Programm. Mit der CSV dagegen dürfte die Konsenssuche schwieriger werden, aber nimmt man deren Überschrift zum Bildungskapitel „Mir brauche Vertrauen, Kohärenz a Kontinuitéit an der Schoulpolitik“ für bare Münze lautet deren (bildungspolitischer) Wunschpartner ohnehin LSAP.
So unverhohlen liebäugelt die LSAP nicht. Aber sie setzt weiter auf ihre Salami-Taktik von 2004: Ihre innovativsten Ideen formuliert sie sicherheitshalber im Konjunktiv als möglichen Modellversuch, der „bilanziert und ggf. verallgemeinert werden könnte“. Nach einer Bilanz von Eis Schoul soll über eine Ausweitung „in Richtung Gesamtschule nachgedacht werden“. Die LSAP will „versuchsweise“ einen zweijährigen Orientierungszyklus im Anschluss an die Grundschule einrichten. Ein neu geschaffenes Lyzeum, das sowohl eine klassische als eine technische Unterstufe anbietet, „könnte diese Aufgabe in einem Pilotversuch übernehmen“. Zu schwer wiegt offenbar die Sorge, mit Grundsatzreformen bei den Lehrern anzuecken und es sich womöglich mit einem christlich-sozialen Koalitionspartner zu verderben.
Dabei überwiegen, streng genommen, die inhaltlichen Parallelen zu den Grünen: Die Sozialisten fordern ebenfalls Ganztagsschulen, zunächst eine pro Region, freilich nur fakultativ, das würde auch eine rot-schwarze Ehe nicht wirklich stören. Allein auf weiter Flur steht die LSAP nur in ihrem Verzicht, Direktionen für die Grundschule einzuführen: Von ADR über CSV bis déi Gréng sprechen sich alle dafür aus. Die frühkindliche Bildung und (Gratis-)Betreuung wollen die Sozialisten ausbauen, wobei sie die Maisons relais, wie déi Gréng, klar in der Verantwortung des Unterrichtsministeriums sehen.
Ginge es aber nach dem Werteunterricht, lautet die Achse der Willigen rot-grün-blau: Während die CSV am Religionsunterricht in der Schule festhält, weil sich „das aktuelle System der Wahlfreiheit“ bewährt habe, machen sich sowohl déi Gréng, LSAP als auch die DP für einen einheitlichen Werteunterricht stark. Bliebe es beim momentanen Kräfteverhältnis, wäre auch künftig eine Mehrheit für den Vorschlag drin. Rein rechnerisch, versteht sich.