CSV-Wahlprogramm

Krise und Sparen

d'Lëtzebuerger Land vom 02.04.2009

Manche Parteien mussten eine Aktualisierung ihres Wahlprogramms nachreichen oder gar einen weiteren Parteitag veranstalten. Die CSV, die sich Zeit mit ihrem Programm gelassen hatte, konnte einfach vorne, zwischen dem Vorwort und den 77 Seiten Wahlversprechen, zwei Seiten unter dem Titel „E Walprogramm mam Bléck op déi aktuell Situatioun“ einschieben. Sie beginnen mit der Feststellung: „Unser Wahlprogramm steht im Zeichen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise“ und enden mit der Warnung: „Das Wahlprogramm der CSV steht deshalb unter einem allgemeinen Finanzierungsvorbehalt.“ In anderen Worten: Es genügt, die beiden Seiten herauszutrennen und aufzubewahren, die 77 folgenden Seiten, vom Weinbau bis zum Sport, sind schlimmstenfalls für die blaue Tonne; der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Vielleicht ist das durchaus der Lage angepasst. Beeindruckend an den beiden Seiten ist vor allem der Stil. Denn, anders als bei anderen Parteien, ist es kein verlockendes Politik­angebot für den Fall, dass die CSV gewählt wird, sondern eine nüchterne Beschreibung, was die Regierung nach den Wahlen unternimmt. Statt Kann- und Soll-Formen dominiert Futur eins. Weil es für die CSV gar keine Frage ist, dass sie nach dem 7. Juni weiter regiert, hat sie, so als ob keine Zeit zu verlieren wäre, den wichtigsten Teil ihres Wahlprogramms bereits als Regierungserklärung verfasst. Welcher Koalitionspartner sich den Sachzwängen fügt, ist dabei nicht so wichtig. Denn eine alternative Krisenpolitik hat bisher niemand im Angebot.

So als sei sie eigentlich davon ausgenommen, am 7. Juni ihre Haut zu Markt zu tragen, gibt die CSV sich demonstrativ als jene Partei, die es nicht nötig hat, den Wählern das Blaue vom Himmel zu versprechen. Und so teilt sie die nächste Legislaturperiode in zwei ähnlich unangenehme Teile ein: In der ersten Hälfte herrscht noch immer Krise, so dass „der Staat in den nächsten beiden Jahren die Konjunktur mit Haushaltsmitteln stützen muss“ (S. 10). Geht die Krise dann gegen Mitte der Legislaturperio­de zu Ende, klafft ein größeres Loch im Staatshaushalt, so dass „in der zweiten Hälfte der kommenden Legislaturperiode de[r] Defizitabbau“ in Angriff genommen werden muss.

Wie die Konjunkturförderung in der ersten Hälfte der Legislaturperiode aussehen wird, bleibt unklar. Sicher aber ist, dass nach dem vor einem Monat beschlossenen Konjunkturpaket die Konjunkturmaßnahmen „im Jahr 2010 und teilweise darüber hinaus weitergeführt werden“ müssen. So komme „dem Erhalt der Kaufkraft größere Bedeutung zu“.

Eher widersprüchliche Ansichten vertritt die CSV dabei aber über die automatische Indexanpassung. Denn zum Erhalt der Kaufkraft „wird der traditionelle Indexmechanismus wieder hergestellt“, gleichzeitig soll der Index aber auch auf Kosten der Kaufkraft manipuliert werden, wenn „hohe Inflation und abnehmende Wettbewerbsfähigkeit“ dies nötig machen. Wenn von der Wiedereinführung der „Indexierung der Löhne und Gehälter“, beziehungsweise an anderer Stelle „der Löhne, Gehälter und Ren­ten“ die Rede geht, darf man zudem davon ausgehen, dass die Index­anpassung der Familienzulagen endgültig abgeschafft bleiben soll, wie es bereits diskret im Tripartitegesetz vorgesehen ist.Im Interesse der Kaufkraft sollen der gesetzliche Mindestlohn und die Ren­ten weiterhin alle zwei Jahre angepasst werden, wie es die entsprechenden Gesetze vorschreiben. Dafür soll es aber zu Lasten der Kaufkraft „in der ersten Hälfte der Legislaturperiode zu keiner Anpassung des Steuertarifs“ kommen, wie sie dieses Jahr als Teil des Konjunkturpaketes dargestellt wurde. Wie in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode ist also wieder eine Infla­tionsanpassung der Steuertabelle kurz vor den Wahlen geplant. Außerdem sollen auch die verbleibenden Steuerfreibeträge „schrittweise in Steuerkredite umgewandelt“ werden.

Andererseits soll „die durchschnittliche Steuerbelastung der Betriebe [...] etappenweise je nach Haushaltslage an den OECD-Durchschnitt herangeführt werden“. Laut Industriellenverband Fedil beträgt die Gesamtsteuerlast der Betriebe, Körperschaftssteuer und Gewerbesteuer, in Luxemburg 29,63 Prozent, während der OECD-Durchschnitt bei 25,52 Prozent liegt.

Auch die „Lohnnebenkosten werden niedrig bleiben, damit sie weiterhin zur Wettbewerbsfähigkeit der luxemburgischen Betriebe beitragen können“. Was bedeutet, dass bei knapper Staatskasse mögliche Finanzierungsengpässe in der Kranken- und Altersversicherung durch Leistungskürzungen beziehungsweise Erhöhung der Eigenbeteiligung ausgeglichen werden müssen. Dazu sieht das CSV-Wahlprogramm vor, dass „die Zahl der tatsächlichen Versicherungsjahre für jeden Arbeitnehmer bei Ruhestandsantritt nicht unter 40 Jahren“ liegen soll (S. 27). Diese Abkehr vom Anrecht auf Rente mit 65 Jahren war parallel im Wahlprogramm der LSAP vorgesehen, wurde aber von der Parteibasis vor zwei Wochen gekippt.

Wenn die Krise nach Ansicht der CSV gegen Mitte der Legislaturperiode endlich durchgestanden ist, das heißt Ende 2011, soll ab dem Haushaltsjahr 2012 die Sparpolitik beginnen, um die Staatsfinanzen wieder ins Lot zu bringen. „Deshalb muss in Zukunft beim Ausbau und Umstrukturieren der Sozialausgaben sorgfältig zwischen Geld- und Sachleistungen unterschieden werden“. Beispielsweise sollen Dienstleistungsschecks, Elternurlaub und Erziehungszulage „abgestimmt“ werden (S. 25). Weiter „wird eine kostenintensive Gehälterreform im öffentlichen Dienst aus heutiger Sicht nicht möglich sein“ und „müssen die Anfangsgehälter für Neuanfänger bei Staat und Gemeinden abgesenkt werden“.

Kindereien wie Wahlen sind für die anderen Parteien, die CSV spielt lieber die unersetzliche Verwalterin der Staatsgeschäfte. Entsprechend war auch ihr knapper Parteitag am Sonntag im Junglinster Kulturzentrum Gas­ton Stein: Die Delegierten bekamen Hörnchen, Kaffee und das fertig gedruckte Wahlprogramm ausgehändigt, Fraktionssprecher Michel Wolter, Parteipräsident François Biltgen und Premier Jean-Claude Juncker hielten die nötigen Ansprachen.

Wenn jeder schon zufrieden wäre, wenn er konservieren könnte, was er hat, wird konservativ wählen chic. Das ganze CSV-Wahlprogramm beschränkt sich deshalb auf eine simple Idee von möglicherweise höchster Effizienz: Es muss für die Wähler ganz einfach jenseits der Vorstellungskraft liegen, dass jemand anderes das Land durch die tiefste Krise seit Jahrzehn­ten führt als Jean-Claude Juncker.  

Romain Hilgert
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