Das teile ich auf Facebook mit. Nein! antwortet ein FB-Freund schon Sekunden später, ich stelle mich auf heftige Gefechte ein. Soweit man in meinem blanden Bläschen davon reden kann, in dem vorwiegend freundliche, überlegte Menschen unterwegs sind, Vernichtungsoffensiven werden hier selten gestartet.
Schuld! Woran denn eigentlich wer jetzt schuld sein soll? Aus welcher christlichen Mottenkiste ich das denn hervorgekramt habe. Wenn ich schon so was wie Schuld ins Spiel bringe, dann sei das doch mein Problem. Wieso ich denn alle mit meinem Schuldkomplex überziehe? Vehement wird Schuldigsein und Schuldiggemachtwerden bestritten. Ein FB-Freund bietet versöhnlich den Begriff der Verantwortung anstatt dessen der Schuld an.
Soll ich mich entSCHULDigen? Den Post löschen, schon beim Posten hatte ich schließlich das Gefühl, dass etwas daran, vielleicht gar alles daran falsch ist und doch hatte ich den starken Impuls. Als ich kurz vor Mitternacht den Bildern ausgeliefert war von den Ausgelieferten in Gaza. Das konnte doch alles nicht sein! Hier! Jetzt! 2023! Und wir … Auf FB nada. Meine peer group favorisiert sowieso schon seit geraumer Weile Blutdruckschonendes und umgibt sich weise lieber mit guter Kunst als mit ausweglosen Gräueln. Zerfetzte Robbenbabys, die noch vor Jahren Hochkonjunktur hatten, treffe ich kaum mehr an, zu Allerheiligen nicht mal mehr die beliebte Grabstättenromantik. Sich in eine Debatte zu stürzen, in der man wie auch immer in feindliche Schusslinien kommt und schlecht wegkommt, dafür sind die meisten mittlerweile auch einfach zu sozialmedial erprobt, sie haben dazu gelernt.
Was ist Schuld überhaupt? Meine peer group scheint von so einem, wie sie monieren, christlich-muffigen Begriff meilenweit entfernt, gerade meine luxemburgischen FB-Freund/innen kommen beneidenswert befreit rüber, säkular und selbstbewusst. Freie Menschen. Nicht so gebeugte wie ich, unter der Schuldknute. Auch wenn man noch so frei und säkular ist, Schuld gibt es trotzdem, reagiere ich t-rotzig. Beweisen kann ich nichts. Und was denn auch? Und wem? Die Bombardierungen in Gaza, inwiefern sollten freundliche gebildete Menschen in einem kleinen Land in Europa in irgendeiner Weise damit zu tun haben? Und könnten sie irgendetwas dagegen tun? Protestieren? Ja, das tun sie vielleicht sowieso. Aber gegen wen? Gegen die, die ebenfalls um ihr Leben kämpfen? Deren Vernichtung Programm der anderen ist. Die Einen. Die Anderen. Schon bin ich zwischen die Fronten geraten. Schon bin ich am Beteuern.
Um meinen düster-verworrenen Post ernsthaft selber entschlüsseln zu können, bräuchte ich ein jahrelanges Studium der Ethik und Theologie, vielleicht noch der Rechtswissenschaft und Psychologie. Feige gehe ich schlafen.
Nichts dazu posten! Nichts dazu posten! hatte ich mir seit Wochen eingebläut. Was gab es nach dem Grauen in Israel denn außer Schweigen oder Schreien?
Wie später viele jüdische Kunstschaffende prangert ein deutsch-ukrainisch-jüdischer Dichter aber das Schweigen der Kulturszene an, fordert Solidarität ohne Wenn und Aber. Ich will den Post teilen, tue es dann doch nicht. Zu viele Wenns und Abers fallen mir ein. Linke Poster wiederum lehren mich das Fürchten. Ein marxistischer Blogger, dessen glasklaren gesellschaftlichen Analysen ich bisher geschätzt habe, erklärt eiskalt, dass das bürgerlich-kapitalistische Konstrukt Israel verschwinden müsse. Dass nach dieser Logik sein Land Deutschland ebenfalls verschwinden müsse und außer Nordkorea und ein paar Diktaturen kaum was übrig bliebe, ist ihm wohl entfallen. Auch der zaghafteste Einwand gegen diese Vernichtungsfantasie wird von den Followern_Followerinnen gibt es kaum, der möchtegern-orthodoxe Marxismus in seinen orthodoxesten Auslegungen ist eine männliche Obsession, schriftlich niedergebrüllt: Und du wagst es, dich Linker zu nennen?
Ist es die Beklemmung darüber, dass wir nicht sagen werden können, dass wir von nichts gewusst haben? Die Ohnmacht der Zuschauerin, die wegen schwerer Gefühlsinkontinenz in eine Debatte stolpert, bei der richtige, zumindest echte Gefühle mit falschen Begriffen kollidieren? Mea culpa, friends!