Mit Paulette Lenert, einer neuen Parteileitung und dem Bekenntnis zu einer wertebasierten Handelspolitik zieht die LSAP in den Wahlkampf. Auf Jean Asselborn wird sie trotzdem wohl nicht verzichten können.
De sëchere Wee Für das Superwahljahr 2023 hat die LSAP sich am vergangenen Samstag auf ihrem Landeskongress in der ehemaligen Gerberei Larei in Vianden neu aufgestellt. In unsicheren Zeiten sei sie die Partei der Sicherheit und des sozialen Halts, sagte Dan Biancalana, der die Sozialisten zusammen mit Ko-Präsidentin Francine Closener in den Wahlkampf führen wird. Beide wurden vom Kongress mit über 90 Prozent der Stimmen als erste Doppelspitze in der Geschichte der LSAP gewählt. Gegenkandidatinnen gab es nicht.
Gerechtigkeit, Solidarität und Frieden wollen die Sozialisten den Menschen bieten, in ihrem Wahlprogramm wollen sie die Themen Gesundheit, Wohnungsbau, Umwelt, Bildung und Arbeit in den Vordergrund stellen. Als konkretes Ziel hat Closener ausgegeben, die LSAP wolle bei den Kammerwahlen stärkste Partei werden: „Wir hätten es verdient.“ Und auch der frühere Vizepremier Dan Kersch hatte bereits vorher unaufgefordert das Wort ergriffen und war sich sicher, dass die LSAP in zwei Jahren nicht nur stärkste Partei sein, sondern auch die nächste Premierministerin stellen werde. Bei den letzten Umfragen lag die LSAP nur noch 1,4 Prozent hinter der CSV, unrealistisch ist dieses Szenario demnach nicht.
Stärkste Partei war die LSAP bereits 1948 und 1964, zumindest nach Prozenten, doch das Luxemburger Wahlsystem hat es verhindert, dass sie auch die meisten Sitze bekam. Den Premierminister hat sie in ihrer 120-jährigen Geschichte noch nie gestellt. Die Hoffnung, dass das nach den nächsten Wahlen anders sein könnte, wird vor allem durch Paulette Lenert genährt. Die Gesundheitsministerin führt seit Juli 2020 in den Umfragen und hat den Sozialisten zu neuem Selbstbewusstsein verholfen. Bislang fehlte der Quereinsteigerin aber noch ein politisches Profil. In ihrer ersten Kongressansprache als Vizepremierministerin wollte sie das am Samstag nachholen.
Für den „sozialen Lift“ müsse die LSAP einstehen, das habe sie immer ausgezeichnet, sagte Lenert. Auch Gerechtigkeit sei wichtig. In diesen schwierigen Zeiten seien Haltung, Rückgrat und Mut gefordert. Freiheit brauche Grenzen und einen starken Staat mit starken Institutionen, einem starken Gesundheitssystem, starken Rettungsdiensten und einem starken Hochkommissariat für nationale Sicherheit. Diese solidarische Basis müsse weiter ausgebaut werden. Selbstverständlich blickte Paulette Lenert auch auf die Bekämpfung der Corona-Pandemie zurück, der sie ihre Popularität verdankt. Nicht nur sanitär, auch wirtschaftlich habe Luxemburg die Corona-Krise gut überstanden. Außenpolitisch hätten „wir“ – als Land, als Europa und als Weltgemeinschaft – die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine unterschätzt und wahrscheinlich zu lange zugesehen. Nun sei das europäische Fundament in Gefahr. Wie bereits auf dem Statutenkongress Mitte November in Walferdingen erhielt Lenert für ihre Ansprache tosenden Applaus und sogar Standing Ovations.
Wandel durch Handel Die LSAP hat sich auf ihrem Kongress am Samstag nicht nur personell erneuert – von den 15 direkt gewählten Mitgliedern der Parteileitung sind sechs unter 35, das Durchschnittsalter liegt bei 38 Jahren –, sondern sie hat auch versucht, sich von einigen „Altlasten“ zu befreien. Paulette Lenerts außenpolitische Ausführungen können durchaus als Seitenhieb an ihren Regierungs- und Parteikollegen Jean Asselborn gedeutet werden. Mit seiner Außenpolitik hat Asselborn seit 2004 die luxemburgischen Wirtschaftsinteressen diplomatisch legitimiert und der aus ethischer Sicht nicht immer ganz einwandfreien Handelspolitik mit seiner direkten und bodenständigen Art ein menschliches Antlitz verliehen. Schon während des Tschetschenienkrieges hatte Luxemburg Deutschland bei seinen Bemühungen unterstützt, die Aufnahme der Ukraine in die Nato zu verhindern. Als Russland 2014 die Krim annektierte, verurteilte Asselborn zwar den Angriff, bremste aber auf EU-Ebene bei der Verhängung von schärferen Wirtschaftssanktionen. Luxemburg hatte dabei stets auch seine eigenen wirtschafts- und finanzpolitischen Interessen im Blick. Zwischen 2006 und 2010 hatte die CSV-LSAP-Regierung ihre Geschäftsbeziehungen zu Russland intensiviert. Wladimir Putin war 2007 von Premierminister Jean-Claude Juncker (CSV) in Luxemburg empfangen worden und „auf der Suche nach neuen Geschäften“ war der sozialistische Wirtschaftsminister Jeannot Krecké jedes Jahr, mit oder ohne Erbgroßherzog Guillaume und Dutzenden Unternehmen und Banken im Schlepptau, nach Moskau, Sankt Petersburg und in entlegenere Regionen gereist. 2012 wurde Krecké mit dem Verdienstorden für das Vaterland der Russischen Föderation ausgezeichnet, zwei Wochen später wurde er in den Verwaltungsrat des Mischkonzerns Sistema aufgenommen und wurde Präsident der East West United Bank, einer Tochterfirma von Sistema. Zu dessen Mitbegründer Wladimir Jewtuschenkow pflegt Krecké ein freundschaftliches Verhältnis; der russische Oligarch ist seit 2009 Honorarkonsul Russlands in Luxemburg, von den rezenten Sanktionen ist er nicht direkt betroffen.
Als Etienne Schneider 2012 das Wirtschaftsministerium übernahm, führte eine seiner ersten Auslandsreisen nach Moskau, wo er an der Seite von Juncker den russischen Präsidenten traf. Wegen des Ukraine-Konflikts kühlte die Freundschaft zwischen Luxemburg und Russland 2014 zwar etwas ab, doch auch Junckers Nachfolger Xavier Bettel (DP) besuchte 2015 Putin im Kreml und Schneider reiste ebenfalls nach Russland. Die unter Krecké etablierten Geschäftsbeziehungen wurden noch ausgebaut. Die russische Gemeinschaft in Luxemburg hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Beim Russian Charity Ball, der seit 2014 in Luxemburg veranstaltet wird, war der Wirtschaftsminister stets unter den Ehrengästen. Sechs Monate nach seinem Rückzug aus der Politik folgte Etienne Schneider vor fast zwei Jahren seinem Ziehvater Krecké in den Aufsichtsrat des russischen Konzerns AFK Sistema.
Sistema Die russische Politologin Alena V. Ledeneva vom University College London gebraucht den in Russland sehr geläufigen Begriff „Sistema“, um das informelle Korruptionsnetzwerk zu beschreiben, das die Machtstrukturen in der russischen Gesellschaft bestimmt und die formellen Institutionen unterwandert und schwächt. Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor zwei Wochen waren Krecké und Schneider wegen ihrer Mitgliedschaft bei AFK Sistema in die Kritik geraten. Erst vier Tage nach Kriegsbeginn traten sie auf Druck der LSAP und der Öffentlichkeit von ihren Ämtern zurück. Der Escher Gemeinderat Mike Hansen und der Generalsekretär der Fondation Robert Krieps, Max Leners, hatten deshalb zusammen mit dem Präsidenten der LSAP-nahen Stiftung, Marc Limpach, für den Kongress eine Motion vorbereitet, die nicht nur die russische Aggression gegen die Ukraine verurteilte und die Regierung dazu aufforderte, ihre Außen- und Wirtschaftspolitik nicht nur nach wirtschaftlichen Kriterien, sondern stärker an menschlichen und sozialen Werten auszurichten. Auch warfen Hansen und Leners in ihrer Motion Krecké und Schneider mangelnde Solidarität und Haltung vor, weil sie zu spät zurückgetreten seien und sich nicht deutlich genug von Putins Angriff distanziert hätten. Auf Drängen der Parteileitung hatten die beiden Autoren die Vorwürfe gegenüber den zwei Ex-Ministern aber aus ihrer Motion gestrichen, damit daraus eine Kongressresolution werden konnte, die am Ende mit großer Mehrheit angenommen wurde. Leners ließ es sich jedoch nicht nehmen, die gestrichenen Passagen bei der Vorstellung der Resolution doch noch vorzutragen. Insbesondere bei der „alten Garde“ stießen seine Ausführungen auf Unverständnis.
Jean Asselborn war zu dem Zeitpunkt schon weg. Genau wie Franz Fayot und Taina Bofferding hatte er dringende Verpflichtungen, die es ihm nicht erlaubten, den Kongress in seiner ganzen Länge zu verfolgen. Schnell hatte er vor der Vorstellung der Reso-lution noch „e puer Wuert, iwwer dat, wat an der Ukrain geschitt“ verloren, weil man ihn darum gebeten habe, „an är Motioun, dat maacht der da vläicht, wann der wëllt, anschliessend“. Der Westen habe alles versucht, um den Krieg mit diplomatischen Mitteln zu verhindern, sagte Asselborn. Er sprach von einer „unüberwindbaren Ohnmacht“ der Nato, den russischen Einmarsch militärisch zu stoppen, und warnte vor einem Nuklearkrieg. Die EU sei seit Kriegsbeginn stärker zusammengerückt und zeige Einigkeit, nicht nur bei den Wirtschaftssanktionen, auch bei der Aufnahme von Geflüchteten. Asselborn scheint inzwischen innerhalb der LSAP zusehends isoliert. Schon auf dem Statutenkongress in Walferdingen hatte er eine gewisse räumliche Distanz zur „Parteibasis“ gewahrt, am Samstag war das nicht anders.
Der neue Wirtschaftsminister Franz Fayot hatte sich bereits vergangene Woche in einem Interview mit dem Wort von seinen Vorgängern distanziert und erklärt, „diese Doktrin im Außenhandel, dass man grundsätzlich mit jedem zusammenarbeiten kann, gilt nicht mehr“. Man müsse stärkeres Augenmerk auf das Thema der „Human rights due diligence“ legen. Wie ernst er das gemeint hat, und ob das nur für Russland oder etwa auch für die Golfstaaten gilt, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen.
Spitzenkandidatin Ihre Spitzenkandidatin/nen wolle die LSAP in ein bis zwei Monaten vorstellen, sagte Francine Closener am Montag im Radio 100,7. Ihr Ko-Präsident Biancalana hatte am Samstag ein bodenständigeres und realistischeres Wahlziel ausgegeben als Kersch und sie selbst: die drei Mandate zurückgewinnen, die die Sozialisten 2018 verloren hatten – eines im Süden, eines im Zentrum und eines im Norden. Im Osten sollte Tess Burton den Sitz auch ohne EU-Kommissar Nicolas Schmit verteidigen können. Im Norden dürfte die neue LSAP-Vize-Präsidentin Tina Koch zusammen mit Landwirtschaftsminister Claude Haagen und dem Ko-Präsidenten der Jungsozialisten, Amir Vesali, auf Stimmenfang gehen, auch wenn es durch den Renteneintritt von Romain Schneider nicht einfach werden wird, das zweite Mandat zurückzuerobern. Paulette Lenert ist wohl als nationale Spitzenkandidatin gesetzt und dürfte aus strategischen Gründen neben Fayot und Closener im Zentrum kandidieren, obwohl sie im Osten wohnt. Am schwierigsten dürfte die Erneuerung im Süden werden. Auf den 72-jährigen Jean Asselborn kann die LSAP wegen seiner Popularität und seiner Entschlossenheit, Außenminister zu bleiben, kaum verzichten, auch wenn manche Sozialisten das gerne hätten. Ob er im Tandem mit Paulette Lenert antreten wird, bleibt abzuwarten. Letztendlich ist sie seine schärfste Konkurrentin. Sollte Lenert tatsächlich Premierministerin werden, würde das Außenministerium wohl an einen Koalitionspartner gehen. Dass Asselborn ein anderes Ressort annehmen würde, ist unwahrscheinlich. Sollte die LSAP Juniorpartner in einer Regierung werden, könnte sie den Außenminister zwar bekommen, doch auch Lenert wäre diesem Posten sicherlich nicht abgeneigt. Die im Herbst abgeänderten Statuten sehen vor, dass die LSAP eine Doppelspitze bei Wahlen einsetzen kann. Zwingend ist das aber nicht.