CFL-Zukunftsstrategie

Seiltanz

d'Lëtzebuerger Land vom 14.11.2002

"Wir haben für andere die Dreckarbeit gemacht", sagt CFL-Generaldirektor Alex Kremer, wenn er auf die Geschäftsbeziehungen der Luxemburger Bahn zu denen der Nachbarländer im Frachtverkehr zurückblickt. "Kooperation" hieß bis Anfang der Neunzigerjahre für alle das Modell, damals, als über die europaweite Bahnliberalisierung noch nachgedacht wurde. Am 15. März nächsten Jahres aber tritt Phase 1 der Liberalisierung in Kraft. Zunächst im Güterverkehr, für den 50 000 EU-Gleiskilometer als gegen Entgelt nutzbare Korridore für alle lizenzierten Anbieter von Schienenfrachttransporten geöffnet werden. Jene Form der Kooperation, wie sie zwischen den Bahngesellschaften früher galt und zum Teil auch heute noch, ist für den CFL-Chef künftig nicht mehr drin: "Sie ist für uns höchst defizitär."

Dabei war etwa bis zum Jahr 2000 zumindest in der Öffentlichkeit der Frachttransport als besonders lukrativ für die Luxemburger Bahn angesehen worden. Den Personenverkehr innerhalb der Landesgrenzen und darüber hinaus bis zu den grenznahen Bahnhöfen Metz, Gouvy, Arlon und Trier erledigen die CFL gegen Entgelt im Auftrag des Staates; der internationale erfolgt auf eigenes Risiko, anteilig mit den anderen Bahnen, deren Territorium die internationalen Züge befahren. Schien im Binnenpassagierverkehr des service public ein Gewinn von vornherein ausgeschlossen, galt er im internationalen Passagierverkehr wegen der zum Teil höchst unterschiedlichen Auslastung der Züge als schwer erzielbar. Da die CFL im Güterverkehr Jahr für Jahr eine Steigerung ihrer gefahrenen Tonnage meldeten (1999: 19,3 Millionen, 2000: 20 Millionen Tonnen), musste Fracht- das interessantere Geschäft sein.

Doch eher das Gegenteil ist der Fall. Nicht nur, weil im Jahr 2001 erstmals seit langem die gefahrene Tonnage um sieben Prozent auf 18,6 Millionen Tonnen sank und der Abwärtstrend noch immer anhält. Erst in den letzten Jahren gingen die CFL zur Vorbereitung auf die in fünf Monaten beginnende liberalisierte Zukunft zur analytischen Buchführung über - eigentlich Usus für jedes Unternehmen von der Größe der CFL mit 359 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2001 und über 3 200 Beschäftigten. "Aber auch andere Bahnen begannen erst spät damit", sagt der CFL-Generaldirektor.

Mitte 2001 lagen die Resultate pro Aktivität vor. Bereits das Defizit von 312 Millionen Franken (7,7 Millionen Euro) in der Jahresbilanz für 2000 hatte CFL-Verwaltungsratspräsident Jeannot Waringo "überwiegend durch den Güterverkehr verursacht" und "kein Konjunkturdefizit, sondern ein strukturelles" genannt (d'Land vom 16. November 2001). Im Jahr 2000 waren die Kosten im Güterverkehr um 205 Millionen Franken (5,1 Millionen Euro) gestiegen. Die Jahresbilanz 2001 nannte schließlich den Frachttransport mit minus 24,6 Millionen Euro "très largement déficitaire". Nun treffen ernüchternde Detailergebnise ein. Und zeigen, wie wenig die CFL offenbar in der Vergangenheit an der Kooperation mit den anderen Bahnen verdient haben.

Kollegial halfen die Bahnen einander bei grenzüberschreitenden Transporten aus. Wobei galt, dass jeder so viel wie möglich auf eigenem Territorium fahren sollte. Woran sich die CFL nicht halten konnten wegen der Kleinheit Luxemburgs und des heimischen Marktes, der nur zwölf Prozent zum Gesamtvolumen beförderter Schienenfracht beiträgt. Doch zum einen endeten ihre grenzüberschreitenden Dienstleistungen an andere in Trier, im belgischen Stockem, oder bereits in Luxemburg: "Zum Beispiel, wenn eine Lok der SNCF nach Bettemburg kam, dort einen Zug übernahm, den wir aus Stockem geholt hatten, und damit weiterfuhr bis nach Basel", erläutert Alex Kremer. Fuhr ein belgischer Zug mit einer belgischen Lokomotive hierher, wurde die SNCB-Lok gerechnet, als hätte sie für die CFL Leistungen erbracht. Die gleiche Wegstrecke fuhren die CFL später in Belgien und bekamen den Einsatz ebenfalls vergolten. An Transporteinnahmen jedoch kassierten sie nur, was über ihr Netz fuhr, und da war der Erlös pro Tonnenkilometer im kleinen Lande gering. Man habe "im Bauch" schon immer gewusst, dass das nicht lukrativ sein konnte. Aber nicht, inwiefern genau. Selbst heute kann Alex Kremer noch keine präzisen Zahlen nen-nen. "Rechnun-gen wurden nicht ge-schrieben. Machten wir eine Fahrt in Belgien, fuhr die SNCB soviel mehr in Frankreich, die SNCF mehr in Deutschland und so weiter." Gelegentlich wurden diese Kompensationsgeschäfte sogar mit dem Passagierbereich vermischt. Als die Eisenbahnen noch Staatsverwaltungen waren, kam alles in einen großen Topf. Stimmte zum Schluss die Rechnung nicht, wurden die Staaten um die Deckung des Defizits gebeten.

Am Vorabend der Liberalisierung stellt sich die Frage nach dem "Wie weiter?". Demnächst wollen die CFL ihre Zukunftsstrategie festlegen - angemahnt vom Transportminister bei dessen Amtsantritt, weil der Staat Mehrheitsaktionär der CFL ist; angekündigt für 2001 und dann zweimal verschoben, erneut angesetzt für das Frühjar 2002 und danach zunächst auf den Frühsommer und später in den Herbst verlegt. Nach wie vor gleicht der Staat CFL-Defizite zu einem gewissen Maße aus. Das Eisenbahngesetz von 1997 erlaubt Stützung der Personalkosten, die 80 Prozent der Ausgaben betragen. In diesem Jahr kommen 19,3 Millionen Euro aus dem Staatsbudget. Über 76 Millionen Euro zahlte der Staat im schwierigen Jahr 2001 über eine "Intervention de l'État" für den öffentlichen Passagierverkehr. Inklusive ein "Rectificatif" von 4,4 Millionen, das wesentlich dazu beitrug, dass die Bahn in ihrer Gesamtbilanz einen, wenn auch schmalen, Gewinn verbuchte. Ab 2008 jedoch tritt die EU-weite Liberalisierung voll in Kraft, werden staatliche Zahlungen von den EU-Wettbewerbshütern untersucht. Zumindest die Zuschüsse zu den Personalkosten könnten dann in Frage stehen.

Riskante Schritte wollen die CFL sich daher nicht erlauben. Moderate Tariferhöhungen, glaubt Alex Kremer, würden dafür sorgen, dass der Frachtverkehr 2002 zumindest nicht defizitärer sei als im Vorjahr. Ein Minus von 16 Millionen Euro im Budget für 2002 (gegenüber 27 Millionen aus der Bilanz 2001) ist dennoch schon einge-plant. Konkurrieren wollen die CFL daher künftig nur in Maßen. Auf dem Netz der DB, wo sie am Güterbahnhof Trier-Ehrang Gleise zum Rangieren angemietet haben, tun sie das schon heute. Im Prinzip: Die 3 000 Züge, die den Bahnhof täglich pasieren, sind überwiegend Schrottlieferungen für die Arcelor, und der Raum Trier ist für die DB mangels Kundschaft nicht mehr interessant. 

Ihre Zukunft sehen die CFL im Frachtbereich in einem Aktionsradius von 400 Kilometern. Dafür, sagt Alex Kremer, reichten der jetzige Personal- und Technikbestand aus. "Ließen wir in eigener Regie einen Zug nach Italien fahren, müssten wir Fahrleistungen einkaufen." Vorerst will man das vermeiden. Und so kommt im "Radius 400" die Kooperation zu neuen Ehren. Bereits ab dem kommenden 15. Dezember lassen die CFL ganze Züge von Bettemburg bis kurz vor Basel fahren - und können erstmals mit Einnahmen, die für größere Bahnen Alltag sind, rechnen. Die Zusammenarbeit mit der SNCB soll besonders gepflegt werden: Die CFL sind an Transporten ab dem Antwerpener Hafen interessiert und haben sich deshalb an den Gedanken gewöhnt, die so begehrten Transporte von und nach den Arcelor-Werken in Zusammenarbeit mit den belgischen Partnern durchzuführen, die eigentlich Konkurrenten sind. "Wir brauchen die Belgier", sagt Alex Kremer. Schon deshalb, weil der letzte Streckenabschnitt zum Antwerpener Hafen nur von Diesellokomotiven befahren werden kann. "Treten wir den Belgiern zu stark auf die Füße, würden sie diese Transporte womöglich nicht mehr machen und wir müssten eine Diesel-lok in Antwerpen einsetzen."

Noch nicht vollständig unter Dach und Fach sind künftige Logistikaktivitäten. Worunter nicht nur die Organisation von Transporten fällt, welche die CFL auf eigenes kommerzielles Risiko übernehmen, die Fahrleistung selbst aber bei anderen Bahnen einkaufen werden. Stützpunkte sind geplant oder werden erweitert, etwa am Antwerpener Hafen oder bei der Arcelor. Europaweit ist darüberhinaus die Schaffung von "Mobilitätszentralen" für Frachttransporte im Gespräch. Projekte wie Belifret, wo über einen Gleiskorridor Direkttransporte von Antwerpen nach Italien organisiert und von einem "Guichet unique", das sich in Luxemburg be-findet, verwaltet werden, sind Vorbild. Luxemburg soll ein "Guichet" erhalten, das Bahnbetrieben - nicht Transportkunden - Auskunft gibt über internationale Netztrassen und deren Durchlässigkeit sowie über Wegeentgelte. Das Luxemburger "Guichet" würden die CFL gern selbst betreiben.

Eng verquickt mit der Zukunftsstrategie sind allerdings Fragen, die für den CFL-Generaldirektor "politisch gelöst" werden müssten, und das sind nicht wenige. Dass eine Reihe großherzoglicher Verordnungen, die ab März 2003 dringend gebraucht werden, seit 1999 überfällig sind - etwa die zur Lizenzierung der CFL für die Fahrt auf liberalisierten Strecken -, ist noch das kleinste Problem. Viel größere Sorgen macht dem CFL-Chef erneut - das Geld: "Wir spüren die auch hier zu Lande rückläufige Konjunktur." Mag der Frachtverkehr ab und nach Luxemburg auch kleiner sein als der Transit - manche Kunden befördern deutlich weniger Güter als vorher. Und bitten um Preisnachlass. "Dabei", sagt Kremer, "müssten wir die Preise erhöhen." Solchen Kunden einfach den Dienst zu quittieren, wie die Deutsche Bahn das getan hat, wollen die CFL sich nicht erlauben: "Wir haben nationale Verantwortung." Könnte man sich jedoch nicht einigen, zöge der Kunde eventuell preiswerteren Straßentransport vor. - Der Staat müsse womöglich helfend einspringen, denn mehr Fracht auf die Schiene sollte das politische Ziel sein.

In die gleiche Richtung gehen Erwartungen der CFL im internationalen Personenverkehr. Vor allem in Richtung Deutschland sei dieser "höchst defizitär" beim Einsatz von Interregio-Zügen. Fahren Triebwagen bis nach Trier, zahlt der Staat für die Transportleistung plus einer Gewinnspanne, denn bis Trier gilt die Fahrt als im öffentlichen Dienst erbracht. Für die Reisenden aber folgt daraus lästiges Umsteigen. Zu den derzeit drei Interregio-Zugpaaren ab Luxemburg Richtung Münster setzen die CFL ab 15. Dezember noch ein viertes ein; ein weiteres IR-Paar soll täglich direkt nach Frankfurt und zurück rollen.

"Damit", sagt Alex Kremer, "tun wir etwas für die Reisenden." Doch die DB versieht die Züge mit sieben Waggons, für welche die CFL auf dem Luxemburger Streckenabschnitt zahlt. Im Schnitt würden jedoch nur 30 Leute in den Zügen sitzen; ein Waggon reichte eigentlich. In Zügen nach Paris stelle sich das Problem ähnlich. Doch während die SNCF Luxemburg nur zwei Wag-gons in Rechnung stellt, weil der Zug sich erst in Metz füllt, lehnt die DB solch ein Entgegenkommen ab. "Betriebswirtschaftlich gesehen, müssten wir Interregios abbauen, statt neue einzusetzen", meint der CFL-Chef. Sieht sich jedoch erneut in einer nationalen Pflicht, die staatlicherseits vergütet werden müsste.

Inwiefern das geschehen kann, ist allerdings nicht nur angesichts geltender Wettbewerbsregeln eine Frage - internationaler Personenverkehr darf laut EU-Bestimmungen nicht subventioniert werden. Daneben jedoch schaut die Regierung in Anbetracht der gegenwärtigen ökonomischen Flaute stärker auf die Ausgabenseite im Staatsbudget. Schon soll die Realisierung des Infrastrukturkonzepts Mobilitéit.lu zeitlich gestreckt werden, weil der aus Budgetüberschüssen finanzierte Fonds du rail sich demnächst nicht so rasch füllen lassen dürfte wie noch vor ein paar Monaten angenommen.

Probleme sieht die Bahn aber auch für den anstehenden umfangreichen Ersatz von Personenzügen auf sich zukommen: Demnächst kauft sie zwölf Doppelstocktriebwagen im Gesamtwert von 103,3 Millionen Euro. Danach sind ihre Kassen leer. Der weitere Ersatz des Wagenparks würde mit 700 Millionen zu Buche schlagen. Und wenngleich er sich auf 30 Jahre verteilen wird, "schaffen wir das allein nicht", sagt Kremer. "Vor uns liegt", sagt der CFL-Chef, "ein regelrechter Seiltanz."

 

Peter Feist
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