Nixcht nur für die Sicherheit, sondern auch für die Resozialisierung

Der Wärter ist der Schlüssel

d'Lëtzebuerger Land vom 18.10.2019

„Ängstlich sollte man nicht sein“, sagt Bernard Lux. „Und eine gesunde Distanz halten können“. „Gute Menschenkenntnis“ und „Teamgeist“ fallen dem ehemaligen Leiter des Wachdiensts im Strafvollzugsanstalt Givenich außerdem ein, gefragt nach den Qualitäten, die einen guten Wärter ausmachen.

Der Staat sucht Personal für den Strafvollzug. Das, was Personalvermittler mit soft skills umschreiben, ist wichtiger denn je. Mit der für 2023 geplanten Eröffnung des Untersuchungsgefängnisses in Sassenheim, der damit verbundenen Reorganisation des Haftsystems und der Professionalisierung der Resozialisierungshilfen werden bis 2023 insgesamt 388 neue Stellen im Strafvollzug ausgeschrieben. „Wir sind im Hinblick auf berufliche Diversität eine der größten Verwaltungen“, freut sich Serge Legil, seit Ende 2018 Direktor der Gefängnisverwaltung. Insbesondere Wärter und Wärterinnen fehlen, aber auch Psychologinnen, Erzieher, IT-Techniker oder Köche.

Werbung für den Wachberuf

„Wir rekrutieren in Etappen, die ersten 16 zur Verstärkung in Schrassig und 20 für Sassenheim sind bereits eingestellt“, so Legil. Der ehemalige Experte des unabhängigen Kontrolldienstes der Gefängnisse in Luxemburg (CELPL) mag seinen neuen Job, auch wenn er um die Grenzen weiß: „Gefängnis und Resozialisierung sind nicht ohne Widerspruch: Die Haft kostet viel Geld und richtet bei den Insassen sozialen und emotionalen Schaden an. Wir haben als Staat aber zugleich die Pflicht, die Gesellschaft vor gefährlichen Wiederholungstätern zu schützen. Und bisher haben wir nichts besseres.“

Um junge Leute für den Beruf in einer Welt zu gewinnen, die in der Öffentlichkeit als gefährlich, undurchsichtig und brutal gilt, hat die Gefängnisverwaltung ein Video drehen lassen, in dem Wärterinnen und Wärter den Haftalltag aus ihrer Sicht beschreiben: mit einem Riesen-Schlüsselset für die Sicherheit und den reibungslosen Ablauf in der Anstalt zu sorgen, gehört zu den Aufgaben eines Strafvollzugsbeamten, aber auch Gefangene zum Sport, zum Ärztin oder zum Anwalt zu begleiten, Essen austragen, Berichte schreiben. Dafür müssen Anwärterinnen sattelfest in Strafvollzugsrecht und Menschenrechte sein. Auch die Bereitschaft im Schichtdienst zu arbeiten, wird vorausgesetzt. Nicht Draufgänger oder Abenteurer werden gesucht, sondern Menschen, die mit beiden Füßen auf dem Boden stehen. „Der Job im Gefängnis ist hart, aber nicht so, wie es im Film meistens dargestellt wird“, betont Legil.

Rambo, nein Danke!

Neben einer guten Kondition und einer gefestigten Persönlichkeit sind menschliche Qualitäten gefragt: „Im Haftalltag kennt der Wärter den Gefangenen oft am besten. Er sieht ihn ja 24 Stunden am Tag“, erklärt der Verwaltungschef. Ein professioneller Kontakt – nicht zu nah und nicht von oben herab – sei wichtig, wenn die Haftzeit gelingen soll. „Oft ist der Wärter der erste, der mitbekommt, wenn es einem Gefangenen nicht gut geht oder sonst etwas nicht stimmt“. Mal sind es indirekte Zeichen: Der Häftling taucht nicht wie sonst zur morgendlichen Begrüßung auf, verschmäht den Kaffee oder den geliebten Sport. Mal ist es offensichtlich: Bei der obligatorischen Kontrolle der Gefangenenpost stellt sich heraus, dass ein naher Verwandter gestorben ist oder sich der/die Lebenspartnerin getrennt hat. „So etwas bekommen wir meistens mit. Manchmal aber auch nicht“, bestätigt Bernard Lux.

Zu seinen schlimmsten Erfahrungen im Gefängnis gehörte, dass er einmal während der morgendlichen Runde einen Gefangenen vorfand, der sich erhängt hatte. „Wir hatten ihn rund um die Uhr bewacht, aber wir haben seinen Suizid trotzdem nicht verhindern können“, bedauert er. Burnout und ein hoher Absentismus sind die Folgen der teils erheblichen Belastung, der Vollzugsbeamte ausgesetzt sind. Stressbewältigung und Deeskalationsstrategien sind nicht von ungefähr Weiterbildungen, die immer wieder neu angeboten werden und gut besucht sind. Wer sie wünscht oder braucht, kann auch um psychologische Unterstützung fragen.

Wer aber den Beruf wählt, weil er sich wichtig machen will, oder um Waffen zu tragen, ist falsch gewickelt: „Einen starken Max braucht niemand, die gibt es da drinnen zuhauf“, sagt Lux mit Nachdruck. Verwaltungschef Serge Legil stellt klar: „Waffen sind ein Sicherheitsrisiko und dürfen nur im äußersten Notfall eingesetzt werden. Ein Gefangener könnte sie einem Wärter entreißen und gegen ihn einsetzen.“ Nachdem sich ein Wächter vor einiger Zeit mit einer Dienstwaffe in den eigenen Fuß geschossen hatte, waren Zugang und Nutzungsbestimmungen verschärft worden.

Nur die Nachtschicht, die das verschachtelte unübersichtliche Gelände der Haftanstalt Schrassig kontrolliert, ob alles in Ordnung ist und nichts verdächtig, ist bewaffnet. Insgesamt sind dies 75 Männer und Frauen, plus eine Reserve von 25, die dafür regelmäßiges Schießtraining erhält. In der Grundausbildung ist kein Training an der Waffe enthalten. Das ist keine Luxemburger Sonherheit: Waffenlos sind auch die Kollegen der Gefängnisse jenseits der Grenze, in Belgien, Deutschland und Frankreich – zu ihrem eigenen Schutz.

Von Waffen hält Bernard Lux nicht viel und wie ein Draufgänger sieht er auch nicht aus. „Ich bin nicht besonders groß und nicht besonders kräftig “, beschreibt er sich selbst. Trotzdem habe er „außer einmal“ nie wirklich Angst gehabt. Der pensionierte Wärter hat 40 Jahre lang im Strafvollzug gearbeitet – und alles gesehen. Damals kam er von der Armee zum Gefängnis in den Grund. Eine Ausbildung, die ihn darauf vorbereitet hätte, was ihn erwartet, gab es Ende der 1970-er nicht. „Wir wurden ins kalte Wasser geschmissen. Zunächst bist Du ohne Schlüssel mit den Kollegen mitgelaufen. Nach zwei, drei Wochen hast Du selbst Zellen auf- und zugesperrt“, erinnert er sich. Heutzutage kommen Bewerber immer seltener vom Härebierg, sondern von der Schule oder als Quereinsteigerin aus anderen Berufen. Die Abkehr von der militärischen Vergangenheit zeigt sich auch bei den Dienstgraden: Statt sich an der Karriere der Armee zu orientieren, gelten künftig zivile Bezeichnungen. Das heißt, auch die Abzeichen auf der bisher in Schwarz gehaltenen, in Zukunft blauen Dienstuniform werden sich ändern. Um den zweijährigen Stage zu absolvieren, braucht es eine abgeschlossene 3e des Technique oder Général, neben der Beamtenausbildung stehen 96 Ausbildungsstunden zum Strafvollzugsbeamten auf dem Programm. Die Kurse halten erfahrene Wärter, Staatsanwältinnen, Richter. Für die Weiterbildung, bei Themen wie Radikalisierung, wo es in Luxemburg an Erfahrung fehlt, kommen teils Sachverständige aus dem Ausland.

Gewalt ist ein Problem

Für ihn sei seine Karriere „optimal“ verlaufen, erzählt Lux. Nach Stationen im hauptstädtischen Grund, wo sich bis 1985 das Männergefängnis befand, war er nach Schrassig gewechselt und hatte dort mit Kollegen die Untersuchungshäftlinge bewacht. „Dort war es rauer und übersichtlicher.“ Männer unterschiedlicher Nationalität lebten auf engstem Raum. Dann wurden wegen der Platznot in Schrassig Einzelzellen zu Doppelzellen umgewandelt. Zeitweilig waren mehr als 700 Gefangene in der Justizvollzugsanstalt eingesperrt, die ursprünglich für 350 Gefangene gebaut worden war. „Da warst Du verloren, das hat die Stimmung weiter belastet.“

Aggressivität ist ein Riesenproblem in Schrassig. Das liegt auch am Platzmangel, aber nicht nur: Unterschiedliche Nationalitäten, Kulturen und Religionen, zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder neben Sexualstraftätern oder Mitglieder rivalisierender Drogenbanden bilden einen explosiven Mix. Wiederholt wurden Wärter von Häftlingen gewaltsam angegriffen. Drogen, die im Gefängnis kursieren, verschärfen das Problem. Um besonders renitenten Störenfrieden Paroli zu bieten, gibt es die Spezialeinheit Grip (Groupe d’intervention pénitentiaire). Das Rollkommando weiß, wie sie gewalttätige Insassen schnell und wirksam aus dem Weg räumt, wenn beispielsweise Zellenräume kontrolliert werden. „Wir hoffen, wenn Sassenheim aufgeht, problematische Gruppen besser voneinander trennen zu können“, sagt Legil. Neue Schutzkleidung, Pfefferspray und Kampfsporttechniken sollen Männern und Frauen des Grip auf Einsätzen mehr Sicherheit bieten.

Während die Forderung der Association des agents pénitentiaires (AAP) nach einer Gefahrenzulage inzwischen erfüllt wurde, wurden die ebenfalls verlangten Elektroschockpistolen (so genannte Taser) nicht bewilligt. In ihrer Antwort auf eine diesbezügliche parlamentarische Anfrage der CSV hatten der damalige Justizminister Félix Braz und Polizeiminister François Bausch (beide Déi Gréng) ihre Ablehnung mit schlechten Erfahrungen im Ausland begründet. In den USA und in Deutschland waren polizeiliche Taser-Einsätze wiederholt tödlich verlaufen.

Ansonsten gilt als oberste Regel im Strafvollzug: „Niemals dem Gefangenen den Rücken zudrehen.“ Die brenzligste Situation, an die sich Bernard Lux erinnern kann, geschah, als niemand damit rechnete: Im offenen Vollzug in Givenich lockten ihn Gefangene in einen Hinterhalt, um ihn zusammenzuschlagen. Er hatte Glück im Unglück: Kollegen hatten die Übergriff gesehen und gingen dazwischen.

Schrassiger Wärter haben noch einen unsichtbaren Helfer: Die schwarzen Funkgeräte am Gürtel, die jeder Wärter bei Arbeitsantritt erhält, sind mit einem GPS-System ausgestattet. So kann die Zentrale jederzeit erkennen, wo sich eine Wärterin aufhält. Die neusten Modelle erkennen sogar, wenn jemand angegriffen wird oder am Boden liegt und rufen selbst Hilfe herbei. Dann wird automatisch ein Alarm ausgelöst und es piepst. Doch solche Extremsituationen sind, entgegen aller Schlagzeilen, vergleichsweise selten.

Um im Notfall rasch Hilfe rufen zu können, gehen Streifen grundsätzlich nie allein, sondern immer zu zweit los. Wird eine so genannte Haftraumkontrolle durchgeführt, also eine Zelle nach Drogen, Waffen und anderen verbotenen Gegenständen durchsucht, sind sie mitunter sogar zu dritt. Oft werden sie an den unmöglichsten Stellen fündig: in Löchern in der Matratze oder in Mauerritzen, hinter der Heizung, im Abfluss, im Deostift. „Die haben den ganzen Tag Zeit, ein gutes Versteck zu finden“, weiß Lux. Solche Aufbewahrungsorte sind oft nur mit Hilfe von an Stangen befestigten Spezialspiegeln zu detektieren.

Gesunde Distanz

Als sich die Möglichkeit bot, wechselte Lux 1989 nach Givenich, wo er erst Schichtleiter, dann Chef des gesamten Wachpersonals wurde. Der halboffene Vollzug war damals seiner Zeit voraus: Hier war das Wachpersonal nie nur Schließer/in, weil Gefangene ohnehin nur nachts eingesperrt werden und sich sonst frei bewegen können. Sondern vor allem auch Sozialarbeiter und Ansprechperson. In der neu strukturierten Resozialisierung soll die Rolle des Wachpersonals als Schlüsselfigur in der Hilfskette innerhalb der Anstalt aufgewertet und vor allem die Zusammenarbeit und der Austausch mit anderen Diensten, wie der Bewährungshilfe oder dem Sozialdienst verbessert werden. Alles können die Wärter aber nicht übernehmen: „Ich hatte einen, da war zu sehen, wie es ihm immer schlechter ging.“ Als Lux den psychologischen Dienst zu Hilfe rufen wollte, weigerte der sich, den Häftling aufzusuchen, weil er fürchtete, angegriffen zu werden.

An einem potenziell gefährlichen Ort wie dem Gefängnis sind Teamgeist und Einsatzbereitschaft zuweilen lebenswichtig. „Man muss sich auf den Kollegen oder die Kollegin hundertprozentig verlassen können“, sagt Bernard Lux. Das klappt in der Regel, aber auch unter dem Wachpersonal gibt es schwarze Schafe. Über Rassismus, Sexismus oder andere Diskriminierungen wird zwar kaum offen geredet, aber sie kommen vor. „Das Gefängnis ist nicht anders als die Welt draußen“, sagt Lux. „Respekt ist wichtig. Und nie etwas versprechen, was man nicht halten kann.“ Respektlosigkeiten und Eskalationen gehen mitunter auch vom Wachpersonal aus. „Gefangene haben einen feinen Gerechtigkeitssinn. Wer nicht aufpasst, kann seinen Ruf verlieren. Und das ist, je nachdem, wie schwer die Jungs sind, nicht gut. Das hält keiner lange durch“, rät Lux allen, die sich überlegen, den Beruf zu ergreifen.

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Ines Kurschat
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