Dass Insassen der Schrassiger Strafvollzugsanstalt gegen ihre Haftbedingungen protestieren, sollte niemanden überraschen. Manche Zustände dort sind kaum mit den Grundrechten vereinbar

Haft ohne Hoffnung

Die Inhaftierung soll nicht allein Strafzwecken dienen, sondern auch der Vorbereitung auf ein straffreies Leben in Freiheit
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 04.05.2018

Nicht die Überbelegung, sondern die Dauer der Haft sei das Hauptanliegen jenes Streiks gewesen, den die 200 Gefangenen in der Strafvollzugsanstalt in der Nacht vom 27. April in Schrassig organisiert hatten, so die Stellvertreterin der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft, Generalanwältin Christiane Bisenius. Derzeit sind in Schrassig 576 Personen inhaftiert, das seien weniger als in der Vergangenheit, als in der einst für 350 gebauten, dann erweiterten Anstalt weit über 600 Gefangene einsaßen.

Das Land hätte sich gerne ein eigenes Bild der Lage gemacht, aber nachdem die Gefängnisleitung als Reaktion auf den Protest Außenstehenden den Zugang untersagt und für einen Tag nur Besuche von Anwälten erlaubt hat, war das nicht möglich. Die Presse musste draußen bleiben. Man wolle „in dieser Situation“ Ruhe, erklärt Jeannot Nies, stellvertretender Generalstaatsanwalt. Alternativ zum einem angefragten Gespräch mit der Gefängnisleitung und mit Vertretern der streikenden Gefangenen vor Ort hatte die Generalstaatsanwaltschaft das Land in den Justizpalast geladen, um über die Protestaktion und die Lage im Gefängnis zu reden.

Ihre Botschaft: Man verstehe, dass die Häftlinge „nicht froh sind“ und könne über ihre Nöte reden, aber nicht so lange der normale Betrieb durch Streiks gestört werde. Diese Linie soll Justizminister Felix Braz vorgegeben haben. Erst wenn sich die Lage wieder beruhigt, das heißt, ein normaler Ablauf wieder möglich sei, werde man reden. Dann will der Justizminister den Gefangenen auch die Grundzüge seiner geplanten Strafvollzugsreform erklären. Als Folge der Aktion wurden die Anführer verlegt, 125 Gefangene in ihre Zellen eingesperrt, die Teilnahme an Sport- und gemeinsamen Freizeitaktivitäten für 30 Tage untersagt.

Justiz: Hände sind gebunden

Die Generalstaatsanwaltschaft ist in einem Punkt formell: Der Vorwurf der Streikenden, dass zu lange Haftstrafen verhängt würden und Insassen zu selten Hafterleichterungen bekämen, liege nicht in ihrem Ermessen. „Uns sind die Hände gebunden. Die Urteile werden von den Gerichten gesprochen“, so der stellvertretende Generalstaatsanwalt Jeannot Nies. Straftäter werden aufgrund der Art und der Schwere einer begangenen Tat verurteilt, Richter halten sich ans Strafmaß, das der Code pénal vorgibt. Haft-erleichterungen sind ebenfalls gesetzlich geregelt und hängen von der abgesessenen Haftzeit und vom Verhalten des Inhaftierten ab. Die für den Strafvollzug zuständige Generalstaatsanwaltschaft entscheidet nicht allein: eine aus Gefängnisleitung, psycho-sozio-edukativem Dienst, Bewährungshilfe, Ausbilder und Suchtberater zusammengesetzte Kommission prüft jeden Antrag auf Hafterleichterung. Justizminister Félix Braz räumt in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des CSV-Abgeordneten Laurent Mosar ein, diese „subjektiven Kriterien“ könnten von Betroffenen als ungerecht empfunden werden. Deshalb sei es wichtig, jedes abgelhente Gesuch „transparent“ zu begründen.

Das alles sind wichtige Feststellungen, und trotzdem: Ob die Haftdauer im Vergleich etwa zu den Nachbarländern Belgien, Deutschland oder Frankreich hierzulande höher liegt, ob Straftäter also hierzulande für begangenes Unrecht härter bestraft werden als in anderen EU-Mitgliedstaaten, ist eine schwer zu beantwortende Frage, weil es in Luxemburg, im Gegensatz zu anderen EU-Ländern, kaum wissenschaftlich unabhängige Evaluationen der Gerichtspraxis und des Strafvollzugs gibt.

Die letzte wissenschaftliche Studie zum Luxemburger Strafvollzug liegt mehr als zehn Jahre zurück und wurde von der Uni Luxemburg unter der Leitung des Strafrechtsprofessors Stefan Braum durchgeführt. Im Fokus war die Situation ausländischer Gefangene. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Zahl ausländischer Haftinsassen, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, in Schrassig überproportional hoch war und sie häufiger wegen Drogendelikten im Gefängnis saßen. Europaweit steigt der Anteil der ausländischen Haftinsassen, eine Folge verstärkt grenzüberschreitend begangener Verbrechen und der Migration. Im Einwanderungsland Luxemburg ist der Anteil der zu Haftstrafen verurteilten Straftäter, die keinen Luxemburger Pass haben, mit 58,3 Prozent laut Tätigkeitsbericht der Justiz von 2017 besonders hoch.

Der Anteil der Gefangenen, die zu Haftstrafen zwischen einem und drei Jahren verurteilt wurden, lag vergangenes Jahr zudem bei 38,4 Prozent, der Anteil von Insassen mit langen Haftstrafen (zwischen fünf und 30 Jahren) lag 2017 bei 28,9 Prozent. Eine detaillierte Analyse der Haftdauer im Vergleich zu anderen Ländern liegt bislang nicht vor.

Nicht zum ersten Mal Proteste

Doch auch ohne belegbares Zahlenmaterial werden Frust und Ärger unter den Gefangenen weiter schwelen. Tatsächlich war dies nicht der erste Streik, es gab mehrere gewaltfreie Protestaktionen hintereinander. Am 26. April hatten 60 Insassen die Arbeit niedergelegt. Der Protest sei „strukturiert und durchdacht“, so die Staatsanwaltschaft. Die Proteste hätten gleichwohl nichts mit dem Vorfall vor mehr fast zwei Wochen zu tun, als Gefangene unter Alkoholeinfluss zwei Wärter verletzten und infolgedessen weitere Gefangene nicht in ihre Zellen zurückkehren wollten. Die Wärtervereinigung forderte aufgrund der Gewalt besseren Schutz. Offenbar sind sie immer wieder mit Vorfällen konfrontiert. Die Zuständ ein Schrassig sind, das belegen Größe und Dauer des Protests, an dem sich laut Justizsprecher Henri Eippers zuletzt fast alle Verurteilten beteiligten, für viele Gefangenen offenbar nicht länger hinnehmbar.

Zeitungsberichten zufolge klagen die Insassen außer über die Haftdauer auch über Überbelegung und schlechte Behandlung durch das Wachpersonal. Gefangene in Schrassig müssen sich teilweise zu zweit oder dritt eine Zelle teilen. Weil der Platzmangel groß ist, konnten verschiedene, überfällige Verbesserungen, etwa im Frauentrakt, bisher nicht umgesetzt werden. Das soll mit der Eröffnung des Untersuchungsgefängnisses in Sassenheim besser werden. Laut Tätigkeitsbericht der Justiz lag die Belegungsquote beider Vollzugsanstalten, die geschlossene in Schrassig und die halboffene in Givenich, im Jahr 2017 bei 98,59 Prozent, also bei durchschnittlich 700 Personen. Für Schrassig allein lag sie sogar 2017 bei 103,35 Prozent, also 617 Personen.

Zur Kritik, die Gefangene in der Vergangenheit wiederholt äußerten, zählen Land-Informationen nach zudem unzulängliche Arbeitsangebote und fehlende Perspektive nach der Haftentlassung. Und dazu haben sie allen Grund. Nicht nur, dass Werkstätten oft nicht ausgelastet sind, die Zimmerei in Schrassig ist wegen längerer Krankheit des Ausbilders nicht in Betrieb – und wie die meisten Werkstätten nur für männliche Insassen zugänglich. Auch die Entlohnung sorgt für Unmut. Häftlinge, die in der Druckerei, Wäscherei oder in einem anderen Atelier arbeiten oder einer Ausbildung nachgehen, werden nach einem gestaffelten Tarifsystem bezahlt. Je nach Schwere der geleisteten Arbeit sind das zwischen mindestens 1,80 Euro und maximal 4,50 Euro pro Stunde. Männer arbeiten maximal sieben Stunden, Frauen acht Stunden. Im Krankheitsfall erhält ein Insasse einen Euro die Stunde; hat er die Verletzung selbst verschuldet, erhält er gar keinen Lohn. Die Sätze stammen aus dem Jahr 1989. Eine Anpassung an die steigenden Lebenshaltungskosten sei seitdem nicht erfolgt, so Bisenius auf Nachfrage des Land.

Resozialisierung: unzulänglich

Damit nicht genug: In Schrassig fehlt es seit Jahrzehnten an einem nachweislich wirksamen Konzept zur Resozialisierung. Das ist ein Grund, warum Félix Braz Nägel mit Köpfen machen und den Strafvollzug modernisieren will. Im Mittelpunkt der Reform des grünen Justizministers: eine Aufwertung der Resozialisierung und transparente Regeln für die Haftzeit und die Zeit danach. Beides ist überfällig. Dass Disziplinarstrafen aktuell per großherzogliches Reglement und nicht per Gesetz geregelt werden, darunter so gravierende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte wie die Einzelhaft, findet Rechtsprofessor Stefan Braum „ein Unding“. Die Reform sieht unter anderem einen präziseren Katalog von Disziplinarstrafen sowie ein Widerspruchsrecht für Inhaftierte vor einer neuen Gerichtsbarkeit, der Strafvollzugskammer, vor.

Wie viel Sinn zudem eine berufliche und schulische Aus- und Weiterbildung macht, die sich an den Lehrplänen des Regelunterrichts orientiert und demgemäß zertifiziert, ist ebenfalls fraglich. Viele der Gefangenen haben die Schule abgebrochen, keine Berufsausbildung und stammen aus zerrütteten armen Verhältnissen. Ein normaler Unterricht ist mit ihnen nicht mehr möglich. Lehrkräfte einzustellen, die innerhalb der Gefängnismauern an dieselben Lehrpläne und Sprachanforderungen gebunden sind wie die Kollegen im Regelschulunterricht, geht an der Lebenswirklichkeit der meisten Insassen völlig vorbei. Im Ausland werden in der Resozialisierung verstärkt Sonderpädagogen eingesetzt. In Skandinavien werden mit Peer-to-peer-Ansätzen Erfolge erzielt. Dort coachen ehemalige Gefangene, die sich nach der Haft ein neues straffreies Leben aufgebaut haben, andere Gefangene. Kriminologen zufolge gelten fehlende Perspektiven, Armut und der anhaltende Kontakt zum Milieu als Hauptursachen für einen Rückfall in die Kriminalität. Im Schrassiger Gefängnisalltag scheinen diese Erkenntnisse indes kaum eine Rolle zu spielen. Haben sich früher Kriminologen der Association Luxembourgeoise de Criminologie oder ehemalige Häftlinge zu Defiziten und Herausforderungen des Luxemburger Strafvollzugs zu Wort gemeldet, sind deren Stimmen inzwischen fast völlig verstummt. Von der Uni Luxemburg oder dem Max-Planck-Institut (das auf Europöisches Verfahrensrecht spezialisiert ist) kommen nur wenige Beiträge zum hiesigen Strafvollzug.

Es hapert nicht nur an Resozialisierungsangeboten hinsichtlich der Aus- und Weiterbildung. Es fehlen Folgestrukturen, die ehemaligen Häftlingen und den Rückkehr in die Gesellschaft erleichtern. Die Wohnungsnot, für viele Luxemburger ein kaum zu lösendes Problem, ist für Häftlinge, die meistens kaum finanzielle Rücklagen haben und oft misstrauisch beäugt werden, ohne Hilfe kaum zu lösen. Die Caritas Accueil et solidarité ist dabei, ein Konzept für sogenannte Maisons de transition zu entwickeln. Dort sollen ehemalige Häftlinge, neben einem Dach übern Kopf, Unterstützung bei der Arbeitssuche und Alltagsbewältigung erhalten. Für viele kommt das Angebot indes zu spät und angesichts der großen Zahl an Bedürftigen sind die geplanten Plätze bestenfalls der berühmte Tropen auf den heißen Stein.

Hohe Rate an Wiederholungstätern

Jahrelang hat die Politik, hat die Gesellschaft es hingenommen, dass verurteilte Straftäter weggesperrt werden, ohne dass sich für sie nach ihrer Haftzeit eine reelle Perspektive als vollwertige Mitglieder in der Gesellschaft ergibt. Jahrzehntelang wurden nicht einmal ordentlich Statistiken geführt. Laut Justizbericht lag der Anteil der Wiederholungstäter 2017 bei 32 Prozent. Hinzu kommt, dass der Service central d’assistance sociale, die Bewährungshilfe, über Jahre chronisch überlastet und daher nicht voll funktionstüchtig war. Dabei ist die Resozialisierung ein Grundrecht, das sagen der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, aber auch das deutsche Bundesverfassungsgericht einhellig. Der Entwurf der Strafvollzugsreform, der derzeit in der parlamentarischen Justizkommission diskutiert wird, geht in Sachen Resozialisierung nicht wirklich neue Wege. Laut Exposé des motifs geht es darum, den Luxemburger Strafvollzug an die Ansprüche und Empfehlungen des Europarats und an die Europäische Rechtsprechung anzupassen, also humaner zu machen. Die Reform holt nach, was in anderen EU-Ländern schon vor zehn, 15 Jahren umgesetzt wurde.

Doch die legislativen Arbeiten ziehen sich hin und die Vorbereitungen im Strafvollzug selbst kommen ebenfalls schleppend voran: Statt von Anfang an alle Akteure einzubinden, wurde im vom CSV-Justizminister François Biltgen angefertigten Vorläufer-Entwurf, der dafür eigens einen Experten aus der Schweiz hatte kommen lassen, Schlüsselakteure der Resozialisierung nur ein einziges Mal angehört.

Weil die Generalstaatsanwaltschaft heftig protestierte, wurde zudem ein Kernelement der Reform, die Herauslösung des Strafvollzugs aus dem Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft wieder aus dem Text gestrichen. Im Brazschen Entwurf ist sie erhalten, sie sieht eine klarere Trennung zwischen Strafvollzug und Strafverfolgung vor, so wie es dem Prinzip der Gewaltentrennung entspricht. Das hatten Menschenrechtskommission und die Ombudsfrau in ihren Gutachten zum Gesetzestext kritisch angemerkt. Dass rechtsstaatliche Grundsätze nicht immer ernst genommen werden, lässt sich auch in anderen Rechtsbereichen beobachten, etwa wenn die Jugendstaatsanwaltschaft mit den Jugendrichtern gemeinsam Gutachten zu Gesetzestexten verfasst und publiziert oder Richter sich über die vermeintliche Einmischung von Ministern beschweren, aber selbst an den Beratungen und der Ausarbeitung von Gesetzestexten teilnehmen wollen.

Fehlende Zusammenarbeit

Auch um die Zusammenarbeit der psychologischen Dienste innerhalb der Gefängnismauern und der Bewährungshilfe sowie weiterer Sozialdienste von außerhalb wurde und wird gerungen, gab und gibt es Meinungsverschiedenheiten. Obwohl es für einen möglichst reibungsarmen Übergang zwischen der Zeit hinter Gittern und dem Leben in Freiheit unerlässlich ist, dass alle Akteure an einem Strang ziehen, ist das nicht selbstverständlich und geben fehlende Absprachen und double emploi immer wieder Anlass für Frust und Streit. Nicht selten liegt das an Mitarbeitern, die nicht zusammenarbeiten können oder wollen. Wie tief das Misstrauen zwischen manchen Akteuren im Strafvollzug reicht, wurde deutlich, als sich herausstellte, dass ein ehemaliger Vizedirektor der Schrassiger Haftanstalt nicht davor zurückschreckte, die Telefonverbindungen der zuständigen Vertreterin der Staatsanwaltschaft heimlich aufzeichnen zu lassen. Er wurde kürzlich zu einer – überraschend milden – Strafe verurteilt.

Da sind dann auch dem Justizminister die Hände gebunden. Félix Braz hat im April die Akteure der Sozialarbeit zu sich ins Ministerium gerufen mit der Aufforderung, sie sollten aufschreiben, wie sie ihre Rolle im Resozialisierungsprozess verstehen und wie sie sich die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren vorstellen. Ein kluger Schachzug, denn so liegt die Verantwortung für den Erfolg (oder das Scheitern) der Beratungen auch bei ihnen. Will Luxemburg eine zeitgemäße Resozialisierung auf die Beine stellen, braucht sie die enge Verzahnung aller Dienste, müssen bisherige Verfahren und Gremien überprüft und hinterfragt werden. Der psycho-sozio-edukative Dienst in Givenich beispielsweise zählt im Tätigkeitsbericht von 2017 konzeptuelle Neuerungen auf, etwa die engere Begleitung von Neuankömmlingen. Den individuellen Entwicklungsplan gibt es dort bereits. Doch weder dieser noch andere Dienste wurden je ernsthaft auf ihre Wirksamkeit überprüft: Wie viele Gefangene wurden dauerhaft in Arbeit vermittelt und führen heute ein Leben in Freiheit, ohne rückfällig geworden zu sein? Und was tun mit der steigenden Zahl an Gefangenen, die drogenabhängig sind, psychische Probleme haben und deren Lebenslauf so brüchig ist, dass an eine reguläre Wiedereingliederung nicht zu denken ist?

Repressive Drogenpolitik

Das ist ein weiterer, wichtiger Aspekt des überlasteten Strafvollzugsystems, der öffentlich unhinterfragt bleibt: Das Gefängniswesen ist ein Abbild der Rechtsprechung und Verurteilungspraxis der Gerichte – und der dahinterliegenden Gesetze. Luxemburg setzt in der Drogenpolitik seit jeher auf Repression statt auf Entkriminalisierung und Resozialisierung: Das spiegelt sich in der Polizeistatistik bei den erfassten Verbrechen und Verhaftungen wider, und später in der Verurteilten- beziehungsweise in der Strafvollzugsstatistik: 22 Prozent der verurteilten Straftäter in Schrassig sitzen dort wegen drogenbezogener Delikte ein. Welche Taten ihnen konkret zur Last gelegt werden, schlüsselt der Tätigkeitsbericht der Justiz nicht auf. Es ist davon auszugehen, dass sie zur typischen Beschaffungskriminalität zählen: Einbruch, Diebstahl, Raub und Gewaltdelikte unter Drogeneinfluss. In Luxemburg stehen darauf, je nach Schwere, zwischen drei, fünf und mehr Jahre Haft. Portugal, mit das Großherzogtum historisch eng verbunden ist, geht einen anderen Weg und setzt in der Suchtbekämpfung auf Entkriminalisierung: Statt Kleindealer und Konsumenten mit aller Härte des Gesetzes zu verfolgen und ins Gefängnis zu sperren, wird lieber in Gesundheitsprogramme und in Wiedereingliederungsmaßnahmen für Drogenkranke investiert. Die DP-LSAP-Grüne-Koalition hatte im Regierungsprogramm angekündigt, die Drogenpolitik hinterfragen und neue Wege denken zu wollen, sogar von einem Versagen der bisherigen Repressionspolitik wurde gesprochen. Geschehen ist diesbezüglich, außer einem Pilotprojekt für Kranke, die auf Cannabis angewiesen sind, und einem Polizeiminister, der die Drogenrazzien im Bahnhofsviertel verstärkt hat, aber nichts.

So badet der Strafvollzug aus, was die Politik nicht in der Lage oder nicht willens ist, anzugehen: eine fragwürdige Drogenpolitik, die Kranke und Kleindealer oft für Jahre ins Gefängnis sperrt und die großen organisierten Banden dahinter, die oftmals über Landesgrenzen hinaus operieren, nur selten zur Verantwortung zieht. Drogenkranke sind aber im Gefängnis aufgrund ihrer Sucht eher fehl am Platze: Trotz Suchtprogrammen wie Tox-in gilt die Resozialisierung von straffällig gewordenen Suchtkranken als besonders schwierig. Das räumt selbst der stellvertretende Generalstaatsanwalt Jeannot Nies ein: „Die Frage lässt sich in der Tat stellen, ob Drogenkranke im Gefängnis richtig aufgehoben sind.“

Auch Inhaftierte haben Rechte

Obwohl ihr Bild in der Öffentlichkeit oft kein gutes ist, haben verurteilte Straftäter selbstverständlich Rechte. Auch für sie gelten die Europäischen Menschenrechtskonvention und die Europäische Grundrechtecharta, obwohl das offenbar manche Leute nicht so sehen. Anders ist die Hartnäckigkeit, mit der Häftlingen ihre Rechte vorenthalten werden und Missstände über Jahrzehnte anhalten, nicht zu erklären. Es brauchte Jahre und unzählige Ermahnungen des Antifolterkomitees des Europarats und weiterer Menschenrechtsorganisationen, bis die Politik ein Gesetzesvorhaben auf den Instanzenweg schickte, um ein Untersuchungsgefängnis zu bauen, das Untersuchungshäftlinge, deren Schuld nicht bewiesen ist, von verurteilten Tätern trennt. Dasselbe gilt für die Unterbringung von Minderjährigen im Erwachsenenvollzug. Mehr als 30 Jahre sollte es dauern, bis eine geschlossene Jugendanstalt gebaut wurde – und noch immer will der Justizminister, auf Drängen von Staatsanwaltschaft und Richter, eine Hintertür offenlassen, um jugendliche Intensivtäter in Ausnahmefällen in Schrassig einzusperren.

Nicht so genau nimmt es der hiesige Strafvollzug auch mit dem Gleichheitsgrundsatz und dem Prinzip der Antidiskriminierung: Weibliche Insassen haben weder denselben Zugang zu Ausbildungs -und Arbeitsmöglichkeiten wie männliche Insassen, noch verdienen sie im Ergebnis dasselbe. Ihre Freizeitaktivitäten sind beschränkt, sie dürfen erst seit kurzem in den halboffenen Vollzug nach Givenich.

Der Luxemburger Strafvollzug erfüllt weitere Empfehlungen des Europarates, die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006, nicht. Die Besuchsregelung wurde in der Zwischenzeit verbessert. Bis zu fünf Stunden im Monat kann ein Häftling Besuch empfangen, mit Kindern ist die Besuchszeit länger. Aber intime Besuche oder Treffen zwischen Strafgefangenen und ihre Partner ohne Aufsicht durch Vollzugsbeamte sind nicht vorgesehen. Dabei haben sie ein Recht auf Intimität und Privatsphäre.

Skandalös ist die Situation der verurteilten Sexualstraftäter. Weil es an Therapieplätzen fehlt, werden viele ohne jegliche psycho- und sozialtherapeutische Behandlung entlassen. Die Rückfallgefahr gerade bei untherapierten pädophilen Sexualstraftätern ist laut Experten besonders hoch.

Immer wieder sorgen Berichte über Vorwürfe unrechtmäßiger Behandlung von Insassen durch das Vollzugspersonal für Schlagzeilen: Eine schwangere Insassin in Schrassig wurde während des Geburtsvorgangs ans Bett im Kreißsaal angebunden. Ihr Partner, ebenfalls in Schrassig inhaftiert, durfte sein Neugeborenes nur mit gefesselten Händen halten. Anders als die Polizei, die Fehler im Umgang mit den werdenden Eltern einräumte, stritt das Klinikpersonal die diskriminierende Behandlung ab.

Ein Fall beschäftigt derzeit die Gerichte: Eine Gefangene soll einer Justizvollzugsbeamtin das Nasenbein gebrochen haben, als sie sich weigerte, sich für eine intime Durchsuchung durch Beamte nackt auszuziehen. Ihr Anwalt wirft dem diensthabenden Gefängnisarzt vor, nicht, wie vorgeschrieben, die Körperdurchsuchung angewiesen und durchgeführt zu haben.

Grundrechte von Gefangenen stehen auch in der Politik oft nicht hoch im Kurs: So verweigerte der damalige Justizminister Luc Frieden (CSV) der Presse wiederholt den Zugang zur Schrassiger Haftanstalt, um dort mit Gefangenen zu sprechen. Inzwischen scheint diese pauschale Abschottungshaltung der Vergangenheit anzugehören: Das Land erhielt umstandslos grünes Licht für seine Reportage im Frauenstrafvollzug (d’Land vom 2.2.18); beide Gefängnisleitungen waren zum Gespräch bereit.

Die CSV fragte im Kontext des Gefangenenstreiks, wie es sein könne, dass Gefängnisinsassen überhaupt über Telefone verfügten. Einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zufolge zählt Telefonieren in der Haft zum Grundrecht auf Resozialisierung; dafür müssten Gefangene Kontakt zur Außenwelt aufnehmen können, dies zu einem angemessenen, bezahlbaren Preis. Probleme in den Anstalten bereiten immer wieder über die Mauern geschmuggelte Handys. In Frankreich werden Zellen zunehmend mit Festnetztelefonen ausgestattet.

Unvereinbar mit den Grundrechten ist überdies, dass es noch immer kein Widerspruchsrecht für Gefangene gibt. Künftig sollen sie gegen Entscheidungen wie Disziplinarstrafen Berufung vor einer Strafvollzugskammer, zuständig für die Vollstreckung der Gerichtsurteile, einlegen können.

Fraglich könnte sein, ob die, wie die Generalanwältin Christiane Bisenius selbst sagt, „harten Strafen“, die den Anführern und Mitläufern der Streikaktionen von der Gefängnisleitung auferlegt wurden, grundrechtekonform sind. Medien berichteten von Kollektivstrafen, diese sind laut den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen des Europarats jedoch verboten, ebenso wie Körperstrafen, Dunkelhaft sowie alle sonstigen Formen der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe. Auf Land-Nachfrage heißt es seitens der Staatsanwaltschaft, die Verlegung der Streikanführer auf eine andere Abteilung sei eine administrative und keine disziplinarische Strafe. Fakt ist, dass 125 Gefangene dieselbe Strafe bekamen. In 73 Fällen blieben Strafmaßnahmen aus. ik

Ines Kurschat
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