ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Mit fester Hand

d'Lëtzebuerger Land du 25.02.2022

1964 erhielt die LSAP 36 Prozent der Wählerstimmen. Bis 1999 war ihr Anteil auf 22 Prozent gefallen. Trotzdem war sie fast immer in der Regierung.

1964 wurde Jacques François Poos Direktor des Tageblatt. 1999 verließ er die Regierung.

35 Jahre lange war Jacques F. Poos eine Schlüsselfigur der Sozialdemokratie. Die Öffentlichkeit und seine Partei vergaßen ihn rasch. Denn statt heroisch volksnah trat er aristokratisch zurückhaltend auf. Er verkörperte die Widersprüche der LSAP, derer sie sich schämte: Den Weg vom gesellschaftlichen Aufbruch der Sechzigerjahre bis zur Niederlage der Arbeiterklasse in den Achtzigerjahren.

Als Jacques F. Poos das Tageblatt leitete, verschaffte die LSAP der CSV parlamentarische Mehrheiten. Doch die Wählerschaft und der LAV wurden des verstaubten CSV-Staats überdrüssig. Jacques F. Poos und das Tageblatt gaben ihnen recht. Er schrieb gegen die Kanapeespolitik, gegen den Spitzeldienst und für Koalitionen mit den Kommunisten in den Südgemeinden. Er stellte die Doppelmoral der Klerikalen bloß und stürzte CSV-Ministerin Madeleine Frieden-Kinnen. Der rechte Flügel der LSAP gründete die Sozialdemokratische Partei.

Jacques F. Poos hatte sich einen Namen gemacht. 1974 wurde er in die Kammer gewählt. Zwei Jahre später wurde er Finanzminister der Reformkoalition von DP und LSAP. In der Stahlkrise musste er Geld zur Bezuschussung des Klassenkompromisses zwischen Arbed und Gewerkschaften beschaffen. Er war Ökonom im Wirtschaftsministerium gewesen. Nun sollte er zeigen, dass Sozialdemokraten genauso gut wirtschaften können wie CSV-Minister. So verlor die LSAP 1979 die Wahlen. Ihr Finanzminister wurde vorübergehend Bankdirektor. Cooling off war noch kein Thema.

In der Opposition konnte der OGBL unberechenbar werden. Die LSAP wurde gebraucht. Als Spitzenkandidat versprach Poos 1984, den automatischen Index wieder einzuführen. So wurde er für elf Jahre Vize von CSV-Premier Jacques Santer. Der Sturz der CSV-Ministerin war verziehen. Die Presse verniedlichte die Kanapeespolitik zu „Frères Jacques“. 1995 folgten vier Jahre als Vize von CSV-Premier Jean-Claude Juncker.

In der Endschlacht des Kalten Kriegs wurde der Sozialdemokrat mit dem amerikanisierten middle name Außenminister. Seine Leitartikel gegen den US-Imperialismus waren verziehen. Er hatte eine Doktorthese über „Le Luxembourg dans le Marché Commun“ geschrieben. Noch als 77-Jähriger beschimpfte er auf einem Parteitag seinen Tageblatt-Nachfolger wegen eines EU-kritischen Leitartikels.

Nach dem Tod von Robert Krieps war Poos der starke Mann in der Partei. Auch wenn er nie Präsident oder Generalsekretär war. Die neoliberale Deregulierung des Kapitalverkehrs förderte den Bankenplatz. Der historische Stahlstandort verdiente an der Steuerhinterziehung belgischer Zahnärzte, deutscher Mittelständler und multinationaler Firmen. Das verstößt gegen traditionelle Prinzipien der Sozialdemokratie wie Steuergerechtigkeit und internationale Solidarität. Aber die dabei abgesonderten Staatseinnahmen erlauben einen „fiskalisierten“ Sozialstaat. Sich als Garantin des Sozialstaats auszugeben, stellt den Geschäftsfundus der LSAP dar.

Die Sozialdemokratie hatte sich zwischen Prinzipien und Steueroase zu entscheiden. Jacques F. Poos brachte sie mit fester Hand dazu, das Geld zu nehmen. Der ehemalige Bankdirektor im Kamelhaarmantel verkörperte eine Sozialistische Arbeiterpartei, die sich erfolgreich mit dem internationalen Finanzkapital gemeinmachte. Zusammen mit zwei CSV-Premiers führte er 15 Jahre lang in Brüssel Rückzugsgefechte gegen Steuerharmonisierung, Quellensteuer und die Aufhebung des Bankgeheimnisses.

Seit 18 Jahren gehört die LSAP wieder ununterbrochen der Regierung an. Sie hat es Jacques F. Poos nie gedankt. Sie hat ihn nie verehrt wie Robert Krieps oder Lydie Schmit. Er starb am Wochenende im Alter von 86 Jahren.

Romain Hilgert
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