Kino

Rückkehr nach Pandora

d'Lëtzebuerger Land vom 16.12.2022

Dreizehn Jahre nach dem Erscheinen von Avatar (2009) dürfte nun abschließend geklärt sein, dass der bis dato immer noch kommerziell erfolgreichste Film eigentlich hätte Pandora heißen müssen. Pandora, das ist die fiktive Welt in die der Regisseur James Cameron nun zum zweiten Mal einlädt. Mit Avatar – The Way of Water ist die Fortsetzung des damaligen Welterfolgs in den Kinos angelaufen und nach wie vor gilt: Die Science-Fiction ist neben dem Genre der Fantasy das Genre für Weltenbauer. Im Gegensatz und in Abgrenzung zur Fantasy (The Lord of the Rings, Game of Thrones), in der die Magie zur Erklärung der wundersamen Ereignisse gesetzt ist, basiert die Science-Fiction auf der Annahme, dass das Übernatürliche aufgrund von wissenschaftlichem Fortschritt möglich ist – irgendwo, irgendwann. In Avatar trat dafür noch die Laborantin im weißen Kittel (Grace Augustin, gespielt von Sigourney Weaver) auf, die jedes noch so unglaubliche Phänomen zu erklären versucht. In diesem Spannungsverhältnis zwischen Unmöglichem, ja Unvorstellbarem, und angenommener wissenschaftlicher Realisierbarkeit liegt der Reiz der Science-Fiction, aber auch die Krux der oftmals äußerst dialoglastigen Erklärungs- und Rechtfertigungsversuche des Genres. Anders als bei dem Vorgängerfilm kann sich The Way of Water nun aber dieser Last entledigen. Vordergründig geht es hier nicht mehr um den Avatar (ein Grund mehr, warum der Filmtitel verfehlt erscheint), sondern um die Abenteuer auf einem wundersamen, fernen Planeten. Beachtlich ist nun aber inwiefern James Cameron der Science-Fiction als Genre neue Impulse einzuschreiben versucht: Nicht mehr der Verfremdungseffekt des Andersweltlichen wird hier betont – die dystopischen Zukunftsentwürfe, die das Genre so oft hervorbringt, stehen dafür musterhaft und hatten Ende der Neunziger mit der Matrix-Reihe einen neuen Höhepunkt gefunden – sondern die Identifikation. Diese stiftet der Film zuvorderst durch seine Überwältigungskraft. Die Immersion und nur die Immersion soll hier im Vordergrund stehen; die Verlagerung des narrativen Fokus ist deutlich spürbar. Weniger geht es um den rauschhaften Identitätswechsel des ersten Films, sondern mehr um das Abenteuerhafte und Spektakuläre der Elemente, ja das Erweitern einer uns unbekannten Welt: Der ehemalige Marine Jake Sully (Sam Worthington) ist am Ende von Avatar ganz in seinen Körper der Na‘vi, den Einheimischen von Pandora, übergegangen. Gemeinsam mit seiner Frau Neytiri (Zoé Saldana) und seinen Kindern bildet er das Oberhaupt seines Stammes. Doch eine vergessen geglaubte Gefahr droht das neu gewonnene Glück zu vernichten. Um sich in Sicherheit zu bringen, begibt sich die Familie zum wasserverbundenen Metkayina-Clan, bald aber muss Jake erkennen, dass Flucht nicht die Lösung sein kann.

James Cameron ist seit den Anfängen seiner Regiekarriere – etwa mit Filmen wie Terminator 2: Judgment Day (1991) oder Titanic (1997), die er mittels verspielter Selbstzitate wie beiläufig mitführt – den immersiven und überwältigenden Strategien des digitalen Kinos sehr verbunden. Er ist einer, der bemüht ist, die Grenzen der digitalen Abbildungen ständig zu erweitern. Sie sind es denn auch, die die von Cameron angestrebte Identifikation mit dem Andersweltlichen erst ermöglichen. Als Peter Jackson Anfang der 2000er-Jahre mit der Figur des Gollum in The Lord of the Rings das Motion-Capture-Verfahren einläutete, in der klassische Schauspielperformance auf eine computeranimierte Figur übertragen wurde, war damit ein Moment erreicht, der den Film für immer veränderte. Cameron entwickelte dieses Verfahren als Performance-Capture weiter; die Grenzen zwischen Animations- und Realspielfilm waren damit nachhaltig aufgehoben. Mit Avatar – The Way of Water hat er diese nicht nur in Sachen Mimik verbessert, er hat auch ein neues Kamerasystem entwickeln lassen, das Performance-Capture-Unterwasseraufnahmen in 3D ermöglicht. Seinen Kopf, der ihn träumen lässt, hat James Cameron jüngst, als Angriff auf das gegenwärtig sich verändernde Medienbewusstsein, als seinen eigenen Streamingdienst bezeichnet.

Bei aller Feier des technischen Fortschritts, die der Film betreibt, ist nicht übersehbar, worauf es dem Filmemacher der Superlative ankommt: Von der Umweltverschmutzung, zur Schonung natürlicher Ressourcen bis zur Tierquälerei sind Themen angeschnitten, die eine ganz dringliche, gegenwartsbezogene Lesart favorisieren, indes sind diese Ansatzpunkte freilich nie vertieft umgesetzt. Auffallend ist ferner, wie sehr Cameron das Umweltbewusstein und damit den Erhalt des Planeten auf die jüngere Generation fokussiert: Jake Sully wirkt mitunter nun wie eine Nebenfigur, wo ihm vorher ein Heldenstatus offenkundig zugeschrieben worden war. Es sind vielmehr seine Kinder, denen hier das Augenmerk des Heldenhaften gilt. Davon abgesehen ist die Geschichte von The Way of Water in seiner Dramaturgie aber gegenüber seinem Vorgänger kaum nennenswert neu und dient vordergründig als Aufhänger für immersives Eintauchen – ganz im wörtlichen Sinne. Die Unterwasserwelt, die Cameron präsentiert, ist zu bestaunen; die Formen, die Farben, sie verbinden sich zu einem Spektakel der Vereinnahmung, eine Feier des Sinneseindrucks im Kino. Wer Avatar seinerzeit zu Unrecht auf die archetypische Handlung, eine Abwandlung von Dances with Wolves – naturverbundene Einheimische kämpfen gegen böse Imperialisten– reduzierte, der übersah dabei den Umstand, wie treu der Filmemacher bei all dem technischen Aufwand, den er darbot, der Science-Fiction im Kern doch blieb. Als der Filmpionier George MéIiès in Voyage dans la lune bereits 1902 zur Weltraumfahrt einlud, ging es ihm weniger darum eine Geschichte zu erzählen, als vielmehr darum, das Publikum mit noch nie gesehenen Bildern zu beeindrucken. Um nichts anderes geht es in dem Film: das Publikum immer mehr ins Staunen zu versetzen, weil das Unvorstellbare auf der Leinwand verwirklicht wird. Dieser Film verrät in jeder fein komponierten, in warmen Farben leuchtenden Einstellung die Liebe zum fantastischen Erzählen und zum Kino – der Welt, in der es tatsächlich möglich ist, sich gemeinsam in Träume zu versenken.

Marc Trappendreher
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