Kino

Schuld und Sühne

d'Lëtzebuerger Land vom 20.10.2023

Narvel (Joel Edgerton) scheint seine Arbeit als Gärtner sehr zu lieben: Die Hingabe, mit der er sich dem Kultivieren diverser Pflanzen widmet, zeugt von fachlich fundierten Kenntnissen, die er im Voice Over-Kommentar wiedergibt. Er ist der Chefgärtner in einem großen Anwesen. Narvel kümmert sich nicht nur um die Gärten, er ist der Hausherrin Norma Heaverhill (Sigourney Weaver) auch sexuell gefällig, man erahnt schnell, dass er eigentlich keine wirkliche Wahl hat; seine ganze Lebensweise ist auf dieses sehr disziplinierte Unterwürfigkeitsverhältnis ausgerichtet. Dafür gibt es freilich gute Gründe, denn Narvel hat eine dunkle Vergangenheit…

Der neue Film des Drehbuchautors und Filmregisseurs Paul Schrader, Master Gardener, soll nun nach First Reformed (2015) und The Card Counter (2019) eine Trilogie der Schuld und Sühne vervollständigen, möglicherweise sogar das Spätwerk von Schrader zu einem Abschluss bringen. Schrader verhandelte in First Reformed die starre Glaubensordnung, die sich an der Umweltfrage bricht, in The Card Counter fokussierte er die amerikanische Schuldfrage in Bezug auf die Vergehen in Abu Ghraib, in Master Gardener steht nun der Rassismus in den Vereinigten Staaten im Vordergrund, der mit rechtsextremen militanten Formierungen wie den Proud Boys und deren neonazistischen Ideologie einen verstörenden Ausdruck findet. Im Grunde nämlich ist Narvels Tätigkeit als Gärtner Teil des Zeugenschutzprogramms, das ihn vor ebendiesen Gruppierungen verborgen halten soll. Spätestens nachdem Narvel sich das Hemd vom Körper abstreift, wird seine schuld- und gewaltbelastete Vergangenheit sichtbar, ja, sie ist ihm auf den Leib geschrieben: Nazisymbolik prägt den Körper, man kann die Schuld erahnen, die er auf sich geladen hat.

Die Möglichkeit zur Vergebung kommt da vielleicht – wir sind bei Paul Schrader – in Gestalt der jungen Nichte Normas, Maya (Quintessa Swindell). Sie ist mit einem kleinen Drogenring assoziiert, aus dem Narvel sie zu befreien versucht. Diese plötzliche Schutzberufenheit umtreibt nahezu alle Filmhelden von Paul Schrader – ein Motiv, das er seit Taxi Driver etabliert hat und eigenen Angaben zufolge aus Dostojewskis Aufzeichnungen aus dem Kellerloch entlehnt hat. Die Frage, ob das Hässliche zur Schönheit finden kann, verhandelt Schrader über das Themenfeld der Botanik – äußerlich ist dieser Narvel schon zu einem neuen Menschen geworden, kann er auch in seinem Innern zur Schönheit finden? Das Dilemma, das Narvel innerlich bestimmt, rückt ihn in direkter Linie zu den Filmfiguren Schraders: Er kann sich nur in dieser Welt des Schlechten „gut“ verhalten, wenn er Schlechtes tut. Das Schuldgefühl ist nur durch die Aufladung neuer Schuld zu mindern. Das ist die tiefpessimistische, fatalistische Aussage, die Schraders Film in die Erzählwelten des Film noirs rückt. Seine Reverenz auf den Film noir ist diesem Film denn auch äußerlich deutlich anzumerken: Das Ausgangsmoment der Handlung übernimmt er aus Howard Hawks‘ The Big Sleep (1946), den er in die unmittelbare Einstellungsfolge hinein zitiert. Er übernimmt Aspekte des Noir-Films vereinzelt und überführt sie in seinen sehr befremdlich wirkenden Stil. Diese auf Distanz und Kontrolle ausgerichtete Lebensweise, die Narvel ganz absorbiert hat – eine der kompletten Zurücknahme, asketisch, routiniert, nur auf Disziplin bedacht – findet seine Entsprechung in der Form: Schraders kalte Filmsprache unterdrückt jedes Moment der Einfühlsamkeit.

Master Gardener – der im Übrigen keinen Kinostart in Luxemburg hatte – erinnert an die Erfolgsmuster, die Schraders frühere Filme ausmachten – man spürt den sehr intellektuellen, calvinistisch geprägten Zugang, eine seltene Form eines männlichen Melodramas, der stärker als die beiden Vorgängerfilme auf die latente Romanze des Helden eingeht. Dieses sehr zurückhaltende, nur angedeutete Happy End verspricht nicht allzu viel, aber diesem gebrochenen Helden genügt es allemal.

Marc Trappendreher
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