Der unscheinbare Douglas Munrow (Caleb Landry Jones), in Luc Bessons neuem Film Dog Man, hat wenig gemein mit dem filmisch tradierten Bild des genialen Kriminellen, man denke an Hannibal Lector, noch ist er ein brillanter Meisterdieb wie Thomas Crown. Das Gespräch, das er mit der Psychiaterin Evelyn (Jojo T. Gibbs) führt, hat vielmehr die Grundzüge einer offenen Introspektion, ja einer Beichte, als eines Verhörs, das Tatumstände und -motiv herauszuarbeiten versucht. Aus der Gefängniszelle heraus wird aus der subjektiven Perspektive von dem vertrauten Verhältnis zwischen Doug und seinen Hunden erzählt, eine Bindung, die Kompensations- und Resilienzhandlung in sich einschließt, denn Doug ist ein Außenseiter, ein in seiner Kindheit schwer misshandelter Mensch.
„Wo auch immer jemand unglücklich ist, dahin schickt Gott einen Hund“, schrieb der Dichter Alphonse de Lamartine und bildet damit das Ausgangszitat von Bessons neuem Film – weder ein klassischer Thriller, der auf Oberflächenreize vertraut, noch ein konsequent tiefgründiges Psychogramm eines Mannes, der aus seinem Schmerz und der Hilfe seiner vierbeinigen Freunde eine kriminelle Energie gewinnt und so eine Gegenbewegung der sozial Abgehängten ausbildet. In dem Werdegang, den Dog Man beschreibt, durchlebt Doug diverse Stadien der Transformation, innerlich und äußerlich – auch durch crossdressing, dabei lässt der Film indes offen ob dies Ausdruck eines labilen mentalen Zustandes gelesen werden soll. Der durch die Bildgestaltung und Soundtrack atmosphärisch ungemein eindringlicher Film interpretiert die Figur des Douglas damit zumindest auch als den verqueren, ja verrückten Gegenspieler großer Superheldenfiguren, jemand, der es mit wenig krimineller Energie und Ressourcen, ja nur mit ein paar Hunden, mit dem FBI und einflussreichen Gangsterbossen aufnehmen kann. In diesem Sinne ist Doug der Superschurke als gebrochener Antiheld, dessen Schurkenhaftigkeit ganz ohne fantastische Elemente erzählt wird. Die Nähe zu Todd Philipps‘ Joker (2019) ist unübersehbar, bis in die Filmmusik Eric Serras hinein, die offenkundig Anleihen bei Hildur Guðnadóttir macht. „Send in the clowns“ heißt es in Joker in Anbetracht der Clownsmaske Arthur Flecks (Joaquin Phoenix) noch. In Dog Man müsste es lauten: „Send in the dogs“.
Einen wahren Befund für das tieftraurige Dasein und einzelne Entscheidungen dieser Randexistenz gewährt uns Luc Besson indes nicht – dafür ist die Dramaturgie zu sprunghaft: Den eher intimistischen Szenen während des Zellengespräches zwischen Inhaftiertem und Psychiaterin, die auf Einfühlsamkeit und Erklärungsversuche zielen wollen, werden beständig analeptische Passagen beigeführt, die eher dem Abrufen der Standardsituation diverser Genres des Kriminalfilms verpflichtet sind – Verfolgungsjagden, Einbrüche, der finale Showdown. Ein drastisches Pendeln aus klarsichtiger Schilderung im Gegenwärtigen mit Rückblick auf das Vergangene strukturieren diesen Film, die der Figur freilich keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr einräumen. Besson ist eher an einem Porträt interessiert, das gleichermaßen Irritation und Faszination auslösen soll, beide Stimmungslagen in eins schließen soll – komödiantische Seiteneinlagen sind für Besson besonders über die überaus stilvoll choreografierten Hundeeinlagen, die Doug in Notsituationen immer zur Seite stehen, auch zulässig. Douglas Munrows Leben wird als eine Abfolge aus Schändung und Demütigung, Selbsterkenntnis und Aufbegehren geschildert. Caleb Landry Jones bleibt dabei immer das zentrale Kraftfeld dieses Films, seine Präsenz gibt der Erzählung überhaupt erst die nötige Ernsthaftigkeit. Seine schauspielerische Intensität gewinnt er aus dem starrem, stählernem Blick und seinen nahezu gläsernen Augen, die die tieftraurige Existenz erahnen lassen und der tragischen Dimension dieses geschundenen Charakters Ausdruck verleihen. Dog Man löst gewiss seine Kritik an der Ungerechtigkeit – die eben mehr behauptete, aber nicht ergründete ist – denn auch ausgesprochen dramatisch überhöhend auf.