Bisschen Ferien machen!

d'Lëtzebuerger Land du 09.08.2024

Ich muss im falschen Land sein, hier sind lauter Italiener! Im Hotel, am Strand, auf den Straßen, überall stehen und gehen sie, liegen auf Liegen, wie selbstverständlich. Und so relax ruhig hier in diesem Rimini-Wohnviertel. Also abgesehen von den Autos, die Straße auf die das Hotelzimmer hinausgeht ist schon sehr belebt. Auch nachts, klar, schließlich kein cimitero hier.

Aber das gebuchte Meer ist das immerblaue Meer im Kopf. Der fette satte Strich, der Landratte hypnotisiert. Es ist Mittag, ein nie gesehenes Licht, vermutlich das ewige, staut sich über dem blauen Pinselstrich. Todeszone, flammt das innere Warnsignal auf, Landratte wandert tapfer weiter, über den glühenden Sand, vielleicht verglüht sie. Lässt sich fallen, in die warme Brühe, die plötzlich braun ist. Wie lang sie geht, untergeht, nur herumsteht in diesem sirrenden, siedenden Licht? Gesalzen, gebraten.

Menschen im Hotel. Ich bin im Kino. Sind das Russinnen oder Ukrainerinnen, diese blassen Menschen, am zweiten Tag wie ich von der Sonnenpranke verwüstet? Oder Balten, eine direkte Fluglinie geht nach Kaunas? Die Rollator-Großmutter, der Rollstuhl-Opa, meine Peergroup ist bestens vertreten, hier rollt es sich so magisch ans Meer. Meist im Kreis der glücklichen Großfamilie, in der auch Mitglieder mit Behinderung ganz selbstverständlich mit dabei sind, stundenlang liebevoll umringt im Pool plätschern.

Am Frühstücksbuffet saugt sich der Quallenblick eines Grauschopfes an einer jungen, wundersam immunen Frau fest, später schleppt sich der Mann in die Betreuungszone von Strandbarkeeper Ümut. Ümut heisst Hoffnung, so stellt sich der italienische Türke vor, er ist der Réanimateur von enttäuschten Geliebten, müden Müttern, groggyen Alten. Gerade regt er sich über die Pferde essenden Maltes/innen auf. Mitten im Mittelmeer, mitten in einer Fischsuppe, essen die Pferdefleisch!

Was schwimmt da? Ist das der berühmte Schleim? Schaut eher wie Netze aus, delikate Gespinste, die bei Berührung zu Staub zerstieben, nicht übel, wie Blütenstaub. Wir können ja drum rum, aber immer landen wir drin. Über unsern Häuptern rattert ein Helikopter, noch einer, noch einer, usw. Und was schwimmt da? Eine Krokodilbauchhaut, seit wann sind Krokodilbäuche orange? Und im Mittelmeer? Kinder trauen sich, ziehen die irdische Hülle raus. Es ist ein schlaffes Schlauchboot. Von Flüchtlingen aus Afrika? Aber gegenüber ist doch nicht Afrika? Gegen Abend beziehen die Guardias auf ihren Kähnen Stellung. Stehen da im Meer und rühren und stochern unter dem Helikopter-Geknatter, wie auf Styx-Motiven, nur so unpassend knallrot glänzend braun muskulös. Zwei alte Männer aus einem Fellini-Film stehen vor dem geschlauchten Boot, beugen sich debattierend über die alte Haut. Dann schlagen sie das Kreuzzeichen.

Mein Buckel, der schon viele Jahre auf dem Buckel hat, glüht in Flammenrot. Die Klimaanlage läuft immer, meine Nase auch. Der Urologe wird den Hotelpool zur Keimzentrale ernennen. Ich ernenne mich zur dümmsten Touristin der Welt. Wo ist die farmacia?

Wo ist mein Handy? Die junge Dame im Empfang weiß es nicht. Telefono, versuche ich es. O, telefono! Es liegt neben ihr. Der global nicht unbekannte Begriff Handy hat es trotz der Sterne nicht in den Empfangsbereich eines internationalen Hotels eines bekannten italienischen Urlaubsortes geschafft. Englisch ist eine sehr exotische Sprache, die Apothekerin spricht sie nicht, kaum eine Verkäuferin und weit weit weg sind die unduldsamen Kellner aus weit entfernten Italien-Urlauben, die poetisch improvisierende Touristin schroff unterbrachen. Weit weg das gegenüberliegende Kroatien, wo jedes Schulkind kompetent in Englisch assistiert.

Strozzapreti? Ich schlage im Wörterbuch nach, das ich analog mit mir herumschleppe. Strozzare, würgen. Ja, prego, Gewürgtes! Auf den Speisekarten taucht unter Vokalstrotzendem gleich Kyrillisches auf, weit abgeschlagen die hier einst gängigen Idiome rätselhaft verschollener Touristenscharen. Nix Pizza con Wursti!

Gegen Abend installieren sich die Afrikaner/innen mit ihren Hairstyling-Angeboten, jetzt nach der EM schwer in bei den Kids, auf dem Gehweg unter meinem Single-Balkon, reglos harren sie der Kund/innen. Endlich, beinahe zwei in der Nacht, eine Kundin, ein kleines Mädchen im Kinderwagen, dann checke ich, dass es das Kind der Afrikanerin ist. Manchmal büxt es aus, die Mutter läuft schreiend hinterher und der große Bruder, der sehr klein ist, kriegt eine Ohrfeige. Vor den Geschäften sitzen traurige Frauen aus Bangladesh, die alle das Gleiche verkaufen, Schrott aus China. Die Kinder stürzen sich in Spielhöllen, die schon für Babys Angebote haben, wenn sie herausgezerrt werden, ist ihr Glaube an die Menschheit für immer erschüttert.

Ein paar Kinder haben die Italiener/innen trotz feministischen Nicht-Gebärens ja doch noch, mit denen ziehen die Mamis gern Hand in Hand herum. V.a. mit ihren Siebzehnjährigen. Am abendlichen Strand posiert eine junge Frau, die devote Adoration, mit der die Ältere sie mit dem Handy umhüpft lässt nur eine Diagnose zu: Mutter.

Freitagnacht, unter meinem Single-Balkon ist die Hölle los. Oder die Erde, je nachdem. Vor dem Café an der Ecke steinerweichendes Geplärre, hingebungsvolles Getrommel dazu, wogende Körper, aha party-Time, wahrscheinlich diese neue, demokratische Rimini-Sitte, einfach irgendwo loszufeiern und den Passant/innen und Anrainer/innen was zu bieten. Why don't we do it in the road? Die Kopulationssimulationen sind beeindruckend, die Losung meiner Degeneration scheint endlich auf, hm, fruchtbaren Boden gefallen zu sein. So wie sich Karibik-Laiinnen die Karibik vorstellen. Eine italienische Mama, natürlich Hand in Hand mit ihrem Pubertierenden, zeigt verzückt auf das tobende Fleisch. Schau!

Bei den traurigen Frauen aus Bangladesh kaufe ich einen Rucksack voll Kühlschrankmagneten und eine Kaffeetasse mit Rimini-Sehenswürdigkeiten aus China. Die schau ich mir dann zuhause an.

Michèle Thoma
© 2024 d’Lëtzebuerger Land