Die kleine Zeitzeugin

Abendlandmahl

d'Lëtzebuerger Land du 02.08.2024

Ich hätte Haare wie Maria Magdalena, behauptete einst ein kroatischer Dichter. Woher er denn die Haare von Maria Magdalena kenne? reagierte ich skeptisch. Na, vom Abendmahlbild. Aber das waren doch lauter Männer! Eben nicht. Eben nicht, weise lächelnd offenbarte mir der Dichter das Geheimnis, das, so meinte er, in einem Weltbestseller enthüllt worden war. Und das außer mir sowieso schon jede/r kannte. Zumindest die, die überhaupt noch irgendetwas mit dem rätselhaften Personal auf jenen Abbildungen anfangen konnten, mit denen Museen, einstmals Kirchen genannt, denen aufwarten, die sie mit erwartungsvoll gezücktem Handy durchstreifen.

Abgesehen von den Highlights und Hotspots des Christentums, den immer wieder bemühten Kunstevents und Kulturkicks, ist es ja bekanntlich still um den Christengott. Gott allein zu Haus. Wo sind sie alle? Im Kulturkampf? Bei den Pegida-Märschen, sich unbeholfen grölend an einem holden Knaben im lockigen Haar vergreifend? Im Schatten der Dome, die mit empörtem Glockendonner kontern. Alle linken Teufel an die Wand malend, um dann auf sie los zu preschen, auf in den Kampf! Aufs Schlachtross gegen die Reiterin auf der Seine, das muss die apokalyptische Todesreiterin sein!

Und dann dieses Bild, das über Nacht zur kollektiven Wahnvorstellung mutiert. Als hätte die selbstverständlich christliche Belegschaft des fabulierten Konstrukts Abendlands lebenslänglich dieses Bild gehütet wie seinen Augapfel, bevor Zerstörung und Blasphemie über es hereinbrachen. Aber worin besteht die Blasphemie? Die Zentralfigur dieses Bildes strahlt unerschütterlich über Jahrhunderte, inmitten von Verrat und Verwirrung Milde aus, eine resignierte Schwermut, so könnten wir es deuten, v.a. Gelassenheit inmitten der Panik-Truppe. Eine Ergebenheit. Gottergebenheit, eine Eigenschaft, die uns nicht mehr besonders geläufig ist und schon gar nicht erstrebenswert erscheint. An der Seite der Zentralfigur, Jesus genannt, der Mann oder die Frau, das Geschlecht ist unklar, wurscht, der Lieblingsmensch.

Diese Zentralfigur, Jesus genannt, kennt meine Degeneration noch von unzähligen Darstellungen, Bildern, aus Gleichnissen und Geschichten, wahrlich, wir haben Jesus intus. Es ist nicht der Jesus der Jesus- Freaks, die auf Jesus sind wie auf einer Droge. Dennoch ist er keiner, vor dem man sich fürchtete, wie vor seinem voyeuristischen, terroristischen Vater. Meist wird er sanftmütig dargestellt, mit beinahe weiblich konnotierten Gesichtszügen, fließendem Haar, einem offenen, lodernden Herzen. Auf Heiligenbildchen, die aktuell in vielen Kirchen aufliegen, trägt er einen Conchita-Wurst-Bart und Conchita-Wurst-Haupthaar, das Flammendreieck, das aus seinem Herzen bricht, erinnert zumindest auf meinen ersten Blick an ein Regenbogengewand. Jesus, die Figur jenseits des Geschlechts. Jesus vereint die Geschlechter, wenn er für etwas zuständig ist, dann für das Vereinen. Er ist kein Spalter, er ist inklusiv und divers. Warum sollen an seiner Tafel nicht alle sitzen? Ob man den blauen, sich fläzenden Dionysos hätte einladen müssen, darüber kann man streiten – Streiten ist immer gut, Streitkultur nannte man das mal –, aber moralisch hyperventilieren deswegen? Nein, nicht einmal Hyperventilieren, was hier läuft ist nur die Empörungsmaschine. Es ist nur die Empörungsmasche. Es ist nur der kalkuliert gefütterte Empörungsreflex. Weil sich die Rechte was ausrechnet.

Dort, wo die Kultur kaum in Spurenelementen vertreten ist, sind die eifrigsten Kulturkämpfer/innen zugange. Aufgestachelt von denen, die verdrehen und bewusst missverstehen und frohe, fröhliche Botschaften in Szenarien des Untergangs umdeuten. Dass das Objekt ihrer Empörung das falsche ist, spielt dann kaum noch eine Rolle. Dass Bacchus der Star ist und die Antike, immerhin die Erfinderin der Olympischen Spiele, zum Mahl lädt, egal. Hauptsache empört.

So kommen alle zu ihrer Empörung. Die schnappatmenden Konservativen, die ultrarechten Kulturkrieger/innen, die im grellen Licht der Aufmerksamkeit badenden Eröffnungs- Künstler/innen. Und vielleicht, vielleicht haben Letztere ja mit dieser Zweideutigkeit gespielt? Wenn ja, wäre es ein gefährliches Spiel.

Michèle Thoma
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