Das Tor zur Unterwelt hat sich geöffnet, die Barbar/innen sind da! Hier, mitten unter uns, in der Mitte der Gesellschaft, so plötzlich, in der sie sich gerade häuslich einrichten, mitten im Haus Europa, wo kommen die jetzt alle her? Warum bleiben sie nicht am rechten Rand, den man für sie reserviert hatte? Das war ja ok, so kannte man sie, man hatte sich an sie gewöhnt, Randerscheinungen, keine besonders attraktiven zwar. Alle paar Jahre, pünktlich zu den Wahlen, wurden sie dem staunenden Fernsehvolk vorgeführt. Die Aliens aus der Abseitswelt, in der es nicht viel gibt, nicht mal altmodische Arbeit. Sie engagierten sich für fossile Brennstoffe, waren eher mit Alkohol- als mit Regenbogenfahne ausgestattet, und ihre likes, so lernten die Zuschauer/innen schaudernd, galten dem hate speech. Dann, der Clou, zogen sie auch noch gelbe Westen an. Wen verschlägt es schon zu solchen, außer vielleicht Medienmenschen auf Safari? Warum blieben sie nicht unter sich, hätte ja so weitergehen können, die Dosis Hass an der Urne war ihnen doch gegönnt? Warum sind sie jetzt hier?
In dieser Mitte. Gut, die war schon länger ziemlich verlassen, von allen guten Geistern. Und der brave Mittelstand, wo ist denn der geblieben? Weiß jemand das, gibt es den noch? König Narziss steht einsam auf dem Sockel und hält eine Rede. Die hallt durchs Pantheon, ein paar Deutsche klatschen beeindruckt, sie haben keinen der so tolle Reden schmeißt oder schmettert. So ein scharfes Profil, die Schläfen auch schon staatsmännisch ergraut! So ein energisches staatsmännliches Profil, so energisch geradeaus. Nur wohin? Warum will niemand mit ihm zusammen gehen, warum ist der Monarch allein En Marche? Vielleicht gar in einen Krieg, wie seine Gegner/innen munkeln?
Douce France, was ist bloß aus dir geworden? Rabelais, Ronsard, Voltaire, die Frankophilen hierzulande schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, was ist aus dem Land geworden, dessen Rotwein sie so schätzen, abends in der Dordogne, auf dem kleinen Platz, im kleinen Bistrot? Und die Culture, und die Couture, die es mal gab, Haute hieß sie, es gab nicht nur Hochkultur, sondern auch Haute Couture, und Haute Cuisine, dieses Land schafft es, Schneckenschleim als Götterspeise darzubieten, in diesem Land lebt man wie Gott in Frankreich. Wie können sie nur! Welch eine Blasphemie!
Die Frankophilen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, obschon sie vielleicht Houellebecq gelesen haben und Despentes und Eribon, aber trotzdem, wie kann das sein? In echt jetzt? Ihr Frankreich mit seinen Lumières! Liberté, Égalité, Fraternité, stammeln sie geschockt das geliebte Mantra, das Gebet der Aufgeklärten, wo seid ihr geblieben?
Und ihr, ihr Grenzgängster/innen? Der Ton in den sozialen Netzwerken ist bitter, bitter enttäuscht. Ein leichtes Grollen. Ist das der Dank? Wie könnt ihr die Werte der Republik derart verraten, die europäischen Werte, überhaupt die Werte? Dafür, dass euch unser europäisches Haus offensteht, v. a. natürlich unser luxemburgisches, wir suchen ja immer Reinigungsfachkräfte. Nach all dem, was wir für euch Grenzgängster/innen getan haben, damit ihr hier tun könnt. Bei uns gibt es immer wieder was zu tun. Und dann rennt ihr denen hinterher.
Wie sie sich dem mit dem eiskalten Echsenblick an die Brustplatte schmiegt, wie der gaullesk grotesk das Kinn reckt. Wie er sich in Stellung bringt, sich aufstellt, und alles an ihm ist Verstellung, Kalkül, wie er den humanen Blick einschaltet, grottenschlecht, ein schlechter Schauspieler in einem schlechten Film. Es sei denn, es wäre eine Satire. Krampf und Kampf. Ein Schwiegermuttertraum, befindet ein Journalist, eine Beleidigung für alle Schwiegermütter.
Und wie sich das Gefolge in Stellung bringt, es gibt immer mehr davon. Immer mehr Follower/innen. Und sie sind nicht mehr nur im Abseits, da staunen die Überrumpelten, wie adrett die plötzlich ausschauen. Smart. Richtig sympathisch. So wie andere auch. Normal. Sie sind richtig normale Menschen. Gebildet auch. Junge Männer, die sich artikulieren können, Frauen, die die Gesellschaft verändern wollen. Und sie tummeln sich, in der Mitte, die schon ganz belebt ist.