Syriza gewinnt Wahl in Griechenland

Projekt Abwahl Merkel

d'Lëtzebuerger Land vom 30.01.2015

Alexis Tsipras hat am Sonntag vielen Griechen etwas Hoffnung zurückgegeben. „Hoffnung“, so lautete der Slogan, mit dem seine Partei Syriza zur stärksten politischen Kraft Griechenlands aufgestiegen ist. Die Kehrseite dieser Medaille heißt Verzweiflung. Die Griechen sind verzweifelt über die Ausweglosigkeit ihrer wirtschaftlichen Situation und über die politische Klasse, die sie in eine größere Krise geführt hat, als sie Deutschland und die Vereinigten Staaten in der Großen Depression nach 1929 erlebt haben. Für Alexis Tsipras aber gilt, was für jeden Wahlsieger gilt: Seit Sonntag sind alle Probleme Griechenlands seine Probleme und die Probleme seiner Partei.

Die Politiker Europas gaben sich am Montag noch betont gelassen, soweit sie nicht aus politischen Parteien stammen, die, weil gleicher politischer Couleur wie Syriza, in lauten Jubel ausbrechen und die Revolution schon an die Türe klopfen hören oder das Ende des Euro feiern, weil sie den Euro und die EU gerne auf den Abfallhaufen der Geschichte werfen wollen. Jean-Claude Juncker sieht keinen dringenden Handlungsbedarf und will die „Zielmengen“ eingehalten wissen. Er sagte aber auch, dass man über Details reden könne.

Diese Details sind eine weitere Absenkung der schon sehr niedrigen Zinsen und eine verlängerte Laufzeit. Sobald die Zinsen nahe bei null Prozent liegen und die Laufzeit weit über eine Generation hinausgeht, gilt auch eine Staatsverschuldung von 175 Prozent des BIP als tragbar. Zusätzlich könnte noch ein tilgungsfreier Zeitraum gewährt werden. Diese drei Maßnahmen gelten als gesichtswahrend für Tsipras und die Eurostaaten.

Am Mittwoch, nach einer überraschend schnellen Regierungsbildung mit der rechtspopulistischen Partei Anel, sieht die Welt anders aus. Tsipras verkündete, dass er seine Wahlversprechen einhalten wolle. Daraufhin brach die Athener Börse ein, Bankaktien teilweise um 30 Prozent, und die Zinsen für griechische Staatsanleihen zogen steil an. Neben der Frage der europäischen Auflagen für Griechenland gibt es spätestens seit Dienstag einen zweiten großen Dissens mit der EU und den führenden Mitgliedstaaten. Schon am Montagabend hatte Tsipras überraschend den russischen Botschafter getroffen. Am Dienstag erklärte er, dass er nicht mit weiteren Sanktionen gegen Russland einverstanden sei, die der Rat an diesem Tag Russland wegen anhaltender Waffenlieferungen an die ukrainisch-russischen Separatisten angedroht hatte. Am Mittwoch sagte er, dass Griechenland bei der Frage der Verhängung und Verlängerung von Sanktionen gegen Russland ein Veto einlegen werde. Der neue Verteidigungsminister Panos Kammenos von Anel, der schon mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen ist, unterstützt Putins Politik voll und ganz und hat sich schon mit dem russischen Radikalen Dugin getroffen, der ganz Europa in ein russisches Protektorat verwandeln will, um es vor Homosexualität und zu viel Liberalismus zu schützen. Auch der neue Außenminister will Griechenland zu einer Brücke zwischen Russland und Europa machen.

Angela Merkel und viele andere haben in den letzten Wochen immer betont, dass Griechenland über keinerlei Drohpotenzial gegenüber den anderen Ländern der Eurozone mehr verfüge, weil es sich letztlich nur selbst ins Fleisch schneiden, aber die Eurozone nicht gefährden würde. Das scheint nicht mehr realistisch. Ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro könnte sehr wohl der erste in einer Reihe von Sargnägeln für die Währungsunion sein. In Spanien steht die neue Partei Podemos laut aktuellen Umfragen ebenso glänzend da wie Syriza, gewählt wird im November. Wie Syriza denkt Podemos, dass die europäische Politik und die alte Elite die größte Schuld am Zustand des Landes tragen.

An den teils drastischen Zugewinnen populistischer Parteien in vielen Ländern der EU wird deutlich, dass die Euro-Rettungspolitik à la Merkel gescheitert ist. Merkel und Deutschland sind in diesen Ländern zu einem willkommenen Sündenbock geworden, um die eigene Schuld an schlechter Politik nicht eingestehen zu müssen. Richtig ist aber auch, dass die europäischen Rettungsmaßnahmen hauptsächlich dazu gedient haben, die europäischen Banken vor Verlusten zu schützen. Das ist weitgehend gelungen, weil ein griechischer Bankrott abgewendet wurde. Heute halten nicht mehr die Banken, sondern hält der Rettungsfonds die meisten griechischen Schuldtitel.

Die enormen sozialen und politischen Kosten der Rettungsmaßnahmen, die vor allem die griechischen Arbeitnehmer, Arbeitslose und Rentner schultern müssen, aber werden hartnäckig ausgeblendet. Rechnet man diese hinzu, wären die von Deutschland, den Niederlanden und anderen nördlichen Ländern immer wieder verteufelten Eurobonds erheblich billiger gewesen. Sie allerdings setzen eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik in den Euroländern voraus, gegen die sich alle Regierungen heftig wehren. Bestes Beispiel ist Frankreich, wo es Konsens ist, dass niemand der Grande Nation irgendetwas vorzuschreiben habe, ungeachtet, welche Verträge sie unterschrieben hat.

Griechenland hat nur bis Ende Februar Zeit, sich mit den Euroländern zu verständigen. Die Verhandlungen sollen Vize-Regierungschef Giannis Dragasakis, Ökonom und der einzige der neuen Minister mit Regierungserfahrung, und Finanzminister Giannis Varoufakis führen. Letzterer hat die Sparprogramme schon mal als „fiskalisches Waterboarding“ bezeichnet. Beide werden hoch pokern müssen, um etwas anderes als die oben skizzierten gesichtswahrenden Maßnahmen zu erreichen. Dass Griechenland skrupellos die russische Karte spielen will, lässt wenig Gutes hoffen. Die Zeischen stehen auf Konfrontation. Das griechische Veto in der Außenpolitik kann Tsipras androhen, aber nicht durchhalten. Es ist nicht vorstellbar, dass sich Großbritannien, Deutschland und andere Länder das bieten lassen. Frankreich ist allerdings ein Wackelkandidat. Hollande hat Tsipras als Verbündeten gegen die aktuelle europäische Austeritäts-Politik begrüßt. Portugal und Italien könnten folgen.

Griechenland wird einen hohen Preis bezahlen müssen, wenn Premierminister Alexis Tsipras glaubt, er könne die realen Macht- und Sachverhältnisse in Politik und Wirtschaft ignorieren. Sicher ist, die Athener Politik wird Europa – und vor allem auch Angela Merkels Regierung – weiter in Atem halten. Die griechische Wahl hat eindrucksvoll gezeigt, dass die Hoffnung der Wähler zuletzt stirbt. Tsipras neue Regierung und ihre europäischen Partner sind aufgefordert, sie nicht endgültig zu begraben.

Christoph Nick
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