EU-Außenpolitik

Schöne neue Welt

d'Lëtzebuerger Land vom 09.01.2015

Federica Mogherini, ehrgeizige neue Hohe Repräsentantin der europäischen Außenpolitik, sieht sich im neuen Jahr einer dichten und komplizierten außenpolitischen Agenda gegenüber. Sie wird sich weder über einen Mangel an Arbeit noch an Themen beklagen können. 2015 wird sie ihre Rolle definieren müssen. Es ist noch offen, ob die vielen Krisen ihrer Position eher nützen oder schaden, denn seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine sind es mehr denn je die EU-Staats- und Regierungschefs, die die Weichen stellen. Der Rat der europäischen Außenminister hat, zumindest für den Moment, an Gewicht verloren. Die Kommission hat dieses Gewicht in der Außenpolitik nie besessen.

Mit dem Ukrainekrieg trifft Russland die EU ins Mark ihres Selbstverständnisses. Bisher glaubte sie, dass ihre schiere Existenz und ihre Marktmacht ausreichen würden, um potenzielle Aggressoren abzuschrecken. Seit dem Frühjahr 2014 weiß sie es besser. Die europäische Sicherheit hängt von einem friedlichen Russland ab, das sich an internationale Regeln hält. Das ist so, weil die EU nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen und niemanden abschreckt. Russland hat keine Angst vor der EU, im Gegenteil. Putin glaubt immer noch, und nicht völlig zu Unrecht, die einzelnen Mitgliedstaaten gegeneinander ausspielen zu können. Europäische Außenpolitik wird einstimmig beschlossen. Putins Russland arbeitet daran, bei diesen Beschlüssen als unsichtbarer Dritter mit am Tisch zu sitzen und sie in seinem Sinne zu beeinflussen. 2015 wird zeigen, ob die EU ihre eigenen Sanktionen aushält und sich nicht auseinanderdividieren lässt. Gegenüber Russland ist europäische Außenpolitik zugleich immer auch Innenpolitik. Nichts zeigt deutlicher, wie innig das Verhältnis zur östlichen Großmacht ist. Diesem Verhältnis kann keiner entkommen, weder Russland noch die EU.

Ein eigenes Profil von Federica Mogherini ist noch nicht erkennbar. Das liegt nicht nur daran, dass sie erst frisch im Amt ist, sondern auch daran, dass sie sich bisher sehr zurückhält. Nach außen hin läuft die EU-Außenpolitik unter der neuen Kommission in Routine weiter. Angesichts der Herausforderungen ist es keine gewagte Vorhersage, dass sich das im Laufe des Jahres ändern wird. Für Mogherini gilt e,s eine Chance zu ergreifen. Sie muss sich, und damit die EU-Kommission, als eigenständiger Akteur der europäischen Außenpolitik etablieren. Schafft sie es nicht eine eigene Stimme zu erheben, eigene Politiken zu formulieren und eigene Lösungen vorzuschlagen, wird die EU auch in der laufenden Legislaturperiode immer nur das Nötigste veranlassen und ein überwiegend reagierender Akteur sein. Intergouvernementale Außenpolitik bietet aber in den heutigen Krisen zu wenige politische Handlungsmöglichkeiten. Sie wird immer eine Art institutionalisierter Wiener Kongress und damit ein leicht auszurechnender, schwerfälliger und auseinander zu dividierender Faktor sein.

Das ist nicht nur gegenüber Russland nachteilig. Wer reagiert, folgt keiner eigenen Strategie. 2014 hat endgültig offenbart, dass die EU weder gegenüber Russland noch gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten ausgearbeitete Strategien besitzt. Das kann sie sich 2015 angesichts hungernder Millionen in der Ostukraine, eines stetig stärker werdenden Flüchtlingsstroms aus Syrien und einem auseinanderbrechenden Libyen weniger denn je leisten. 2015 wird die EU weiter von zwei Seiten in die Zange genommen werden: außen- und euro-politisch. Griechenland wird noch im Januar ein neues Parlament wählen und womöglich seinen Bankrott erklären. Eine Eurozone, die vor einer Zerreißprobe steht, untergräbt auch die außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU. Eine geschwächte Eurozonebeflügelt sie nicht.

Für Federica Mogherini allein sind die Aufgaben zu groß. Das hat nichts mit ihren persönlichen Fähigkeiten zu tun. Sie braucht neben eigenen Gedanken, Mut und einem frechen Mundwerk auch die uneingeschränkte Unterstützung von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Bisher macht dieser den Eindruck, als ginge es ihm zuallererst um die wirtschaftliche Genesung der EU. Das ist aber nur die halbe Miete und nur eine Seite der Medaille. Juncker kennt die außenpolitische Routine aus Jahrzehnten als Regierungschef. Er könnte versucht sein, die Außenpolitik den Regierungen zu überlassen, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Das wäre fatal. Europa braucht dringend eine breite öffentliche Diskussion über seine außenpolitischen Ziele und seine Mittel dazu. Diese sollte die Kommission anführen. Mogherini kann das nur, wenn ihr Juncker dafür freie Hand gibt.

Zu bereden gibt es viel: Nur eine europäische Armee kann für die EU abschreckende Wirkung entfalten. Europa kann sich ohne ein demokratisches Russland nicht optimal weiterentwickeln. Warum sollte es das nicht offen sagen und damit klarmachen, dass es einen Regimewechsel hin zu mehr Demokratie in Russland befürworten würde? Das ist keine Überhebung und schon gar keine Aggression sondern simple Realpolitik. Die EU muss endlich als einer der wesentlichen Akteure im syrischen Bürgerkrieg auftreten. Wenn nicht mit Waffen, dann zumindest mit einer humanitären Politik, die sich nicht am europäischen Kleingeist, sondern an der Größe und Schwere des Konflikts orientiert. Das Verhältnis zur Türkei Erdogans muss neu bestimmt, Libyen befriedet und zusammengehalten werden. Soft Power allein wird für all das nicht hinreichend sein.

Juncker sollte sich vor Augen halten, dass es in unserer Welt noch schwerer geworden ist, Außen- und Innenpolitik sauber voneinander zu trennen. Er sollte sich der Mitgliedstaaten erbarmen und sie ein wenig von der Last befreien außenpolitische Konzepte erarbeiten zu müssen. Die Mitgliedstaaten versagen hier seit Jahren. Es ist ja nicht der Kommission anzulasten, dass es praktisch keine europäische Russlandstrategie gegeben hat, sondern vor allem den Mitgliedstaaten, angeführt von den großen Drei Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Die Kommission sollte dieses Vakuum schnellstens ausfüllen und sich mit eigenen außenpolitischen Forderungen als Vordenker und Mitgestalter europäischer Außenpolitik etablieren.

Mogherini darf nicht immer nur das Einverständnis mit den Regierungen suchen, die immer von nationalen Interessen ausgehen, sondern knallhart europäische Politik formulieren und die europäische Öffentlichkeit unmittelbar in die außenpolitischen Diskussionen einbinden. Man stelle sich nur einmal vor, sie würde ein Dossier über Möglichkeiten und absehbare Konsequenzen eines Regimewechsels in Russland vorlegen. Plötzlich ständen alle Kopf und das ist genau das, was Europa im Moment braucht: neue Perspektiven, schonungslose Bestandsaufnahmen und Initiativen, die man bisher nicht zu denken wagte.

Ein Europa, das nicht agiert, sondern reagiert, kann sich niemand mehr leisten. Am wenigsten die Europäer selbst.

Christoph Nick
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