Luxemburgensia

Einfach gute Geschichten

d'Lëtzebuerger Land vom 02.04.2021

Stilübungen – in elf Geschichten in verschiedenen Stilen führt der neue Erzählband des luxemburgischen Schriftstellers Guy Rewenig Den Här Müller spréngt iwwert säi Schiet a land am Guinnessbuch durch komische, absurde und auch sprachlich humorvoll gestaltete Situationen. Die elf Geschichten erzählen von einem über mehrere Jahre wiederholten Neijooschdagsfest, den vermeintlichen Besuch eines Mannes bei seiner Frau im Altenheim oder von einer Autofahrt der Großeltern mit den Enkeln, die nur mit den Aussagen der Großmutter geschildert wird. Die letzte Geschichte findet sich in „Et ass net mei wäit“, einer kurzen, aber mitreißenden Erzählung. Es ist ein Monolog, der die Leser/innen in den Redeschwall einbezieht und sie mit den Kindern neben den genervten Großvater in das viel zu enge Auto setzt. Alle Situationen wenden sich schnell ins Unerwartete, stilistisch oder durch fantastische Momente.

Beim Familienfest zu Neijooschdag scheint sich zunächst der scheinbar gleichbleibende, alljährliche Ablauf zu wiederholen, denn er wird anhand der immer gleichbleibenden Gesten und Zeremonien geschildert – von der Begrüßung der Gäste über die Verkündung des Menüs, das Essen selbst und die Themen der Familiengespräche. Und doch ändert sich jedes Jahr alles. Durch die unterschiedlichen Spitzen und die vergangene Zeit wird das Essen zunehmend absurder, allmählich bricht das Negative an der Familie hervor: Alkoholismus, Beziehungsprobleme, Übergriffigkeit. In der Erzählung „Blatz“ fordert der Besuch des alten Mannes bei seiner Frau im Altenheim die Leser/innen heraus, wenn sich plötzlich herausstellt, dass die Eingangssituation vielleicht Einbildung war, Produkt eines unzuverlässigen Erzählers.

Sprachlich ist der Erzählband beeindruckend: Vor allem finden sich hier Monologe oder Dialoge, Gespräche, Interviews oder Befragungen, die aus der Sicht der Protagonist/innen amüsante, komische oder tiefgreifende Situationen erzählen.

Insbesondere zum Beispiel die Geschichte „Schnéiwäiss Männer“ über zwei ehemalige Schulfreunde, die sich nach Jahrzehnten zufällig auf einem Parkplatz begegnen. Mal in der Art Helge Schneiders nur mit halbem Ohr zuhörend und in Floskeln, mal in tiefgreifender Selbstbetrachtung, mal in ehrlichen Gesprächen mit dem Gegenüber vermischt sich hier Banales mit Reflektionen über das Leben. Sie reden über Träume, Wünsche, Zukunftsprojektionen oder Merkmale des Landes, die unterschiedlichen Ortschaften – wieso man von Kopplescht auf den Briddel zieht, oder wieso die Luerenzweiler so gut wachsen. Bildlich erzählt und in einem charaktersprachlichen Tonfall auf Luxemburgisch, macht es Spaß, diesen Gesprächen „zu lauschen“, die Erzählungen zu lesen. Zwischen Tragik und Komik festzustellen, dass nichts mehr ist, wie es war. Oder auch nur schien. Humorvoll und überraschend, sind die elf Erzählungen auch inhaltlich fesselnd, verschränken das Absurde mit stilistischen Übungen.

Die Form ist zwar Vorlage, aber keineswegs eine Spielregel: So auch in der unkonventionellen Totenrede in „Virleefeg liewe mer nach“. Der Sonntagsausflug zum Stauséi ist in der Erzählung „Plakeg Mécken“ für ein Ehepaar nicht nur ein logistisches Abenteuer – Streusel mitnehmen oder nicht, die Moskitofrage, der seit Jahren unverrückbare Stellplatz, oder was zu tun ist bei dichtem Nebel –, sondern auch ein sprachliches Experiment: Alle Sätze beginnen mit „Well ...“ Für die beiden ist es schon lange kein Ausflug mehr, um eine schöne Zeit zu haben, sondern ein Planungsvorgang, was sich auch sprachlich niederschlägt.

Der neue Erzählband von Guy Rewenig ist der letzte in einer Reihe von drei Texten. Nach Déi bescht Manéier, aus der Landschaft zu verschwannen (2015) und Do wéinstens däi Sonnebrell aus, wann s de mam Kapp duerch d’Mauer renns (2017) schließt er die Trilogie rund ab. Man kann nur empfehlen, sich auf die witzigen Figuren einzulassen. Denn sie sind keine reine Stilübung, sondern erzählen auch, leicht und tiefgründig, sprachlich abenteuerliche und einfach gute Geschichten.

Guy Rewenig: Den Här Müller spréngt iwwert säi Schiet a land am Guinnessbuch. Geschichten an Erzielungen. Éditions Guy Binsfeld 2020. 320 Säiten. 24 Euro

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