Films made in Luxembourg

0,3‰ = 2x

d'Lëtzebuerger Land vom 03.07.2020

Der Irrsinn lag im Diminutiv. Im März 2019 antwortete Martine Hansen, Fraktionschefin der CSV, Franz Fayot (LSAP) auf dessen Vorschlag, SUVs und ähnliche „Dreckschleudern“ stärker zu besteuern. Sie habe sich auch ein „SUVchen“ gekauft. Sie fahre sehr gerne damit umher und es sei falsch, sich zu sehr auf diese Automodelle zu kaprizieren. Wer SUVche sagt, um die monströseste aller Karossen zu bezeichnen, der sagt auch Büfdeckchen, Croisièrechen und Gentrifizéierungchen. Mit ihrer Wortneuschöpfung stellte Hansen jedenfalls unfreiwillig unter Beweis, zu welchen Höhen und Tiefen sich das Sprechen über Auto und Autofahrer aufwerfen kann.

Ein rezentes Beispiel liegt wiederum anders: Die Association des victimes de la route (AVR) beauftragte die Produktionsagentur FrameArt Media, um eine Kampagne auf die Beine zu stellen. Thema: Alkohol am Steuer gefährdet Menschenleben. Unter der Regie von Andy Bausch und in Kooperation mit dem Mobilitätsministerium entstand ein gut zweieinhalbminütiger Clip für soziale Medien, Fernsehen und Kino. So wichtig die Initiative ist, so bizarr ist das gewählte Format: Es ist eine Informationskampagne, die kaum informiert. Der Kurzfilm ist nämlich so sehr in seine filmische Ästhetik vernarrt, dass er darüber seinen eigentlichen Auftrag vergisst.

Wir sehen einen tatortesken Verhörraum, in den sich ein Ermittler samt seiner korpulenten polizeilichen Autorität hievt. Sein Sakko wird erbarmungslos auf einen Stuhl geworfen, während sein Kollege am Türrahmen klebt wie ein Side-Kick, der seine Sprecheinsätze verpasst und deswegen besonders grimmig guckt. An Handschellen an den Tisch gekettet sitzen ihnen zwei Fahrer und eine Fahrerin gegenüber, die unter Alkoholeinfluss tödliche Unfälle verursachten. Sie schreien, sie jammern, sie weinen, während abgründigste Bassmusik einem einbläut, wie schlimm es um sie steht.

Die Kampagne verwechselt leider Sensibilisierung mit Sentimentalisierung. Sie hofft sich über eine Überorchestrierung von Emotionen und Atmosphären ins Ziel zu retten. Dabei verlässt sie sich auf eine durch und durch typisierte Szene, die wirkt, als hätten die Beteiligten auch mal Krimi-Flair atmen wollen. Bei alledem äußert sich eine Vorstellung des Zuschauers alias Bürgers, die rudimentärer (und zeitgenössischer) nicht sein könnte: Die Leute dort draußen lassen sich eh nicht vernünftig ansprechen, sondern nur noch archaisch rühren. Verursacht bei den Idioten Gänsehaut, sonst wird das nichts, schon gar nicht in den sozialen Medien. Effekt statt Argument, Drama statt Info.

Die viel wichtigere Aufgabe musste denn auch Transportminister François Bausch (Déi Gréng) himself während der Pressekonferenz letzte Woche übernehmen: Zahlen zu liefern. Wer 0,3‰ Alkohol im Blut hat, hat ein zweimal so hohes Unfallrisiko als jemand, der nichts Alkoholisches getrunken hat. Bei 0,8‰ steigt das Risiko auf das 4,5fache, bei 1,5‰ auf das 16fache. 2018 gab es 71 alkoholbedingte Unfälle, bei denen ein Auto ein anderes erfasste, sowie dreizehn Unfälle, bei denen ein Fahrer unter Alkoholeinfluss einen Fußgänger anfuhr. Von diesen „Details“ hat es indes kein einziges in die filmische Kampagne geschafft; wenn überhaupt tauchen sie am Rande in Tweets auf. Stattdessen starrt uns Charles Muller bad-cop-mäßig aus Zeitungen und von Bildschirmen entgegen, als wäre er für die zweite Staffel von Capitani gecastet worden. Facts tell, stories sell, heißt es in der Kommunikationsbranche. Vielleicht hätte dem Projekt etwas mehr von ersteren gutgetan.

Samuel Hamen
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