„Kee Piepcheswuert“ sei von der Regierung über die steigenden Energiepreise zu hören, klagte CSV-Ko-Fraktionspräsidentin Martine Hansen am Mittwoch. Doch ihre Empörung war so groß nun auch wieder nicht, denn das Schweigen der Regierung liefert der Opposition natürlich Futter.
Die CSV wusste das am Mittwoch zu nutzen und präsentierte ein „Maßnahmenpaket zur Bewältigung der Energiepreiskrise“. Auch das Timing war clever: In der Nacht vom Montag zum Dienstag hatte die belgische Regierung sich auf einen „triple booster pour le pouvoir d’achat des ménages“ geeinigt. Die Luxemburger Regierung sondiert noch. Als im Quotidien am Montag ein langes Interview mit Energieminister Claude Turmes (Grüne) zu lesen war, stand dort kein Wort über die gestiegenen Preise. Turmes reflektierte über die Energiewende in Deutschland, die Atomkraft in Europa, Bürgerbeteiligungen an Solar- und Windprojekten in Luxemburg. Er wurde allerdings auch nur danach gefragt.
Was vielleicht damit zu tun hat, dass die Luxemburger Haushalte die seit Oktober vergangenen Jahres steigenden Preise leichter wegzustecken imstande sind als etwa die belgischen. Luxemburg ist Energie-Niedrigsteuerland. Der TVA-Satz auf Strom liegt bei acht Prozent, in Belgien bei 21 Prozent. Den Satz dort auf sechs Prozent zu senken, ist Teil eins des Anfang der Woche beschlossenen Kaufkraft-Boosters; das soll aber nur von April bis Juni gelten.
Die deutsche Presse präsentierte diese Woche Spritpreisvergleiche, die der Automobilclub von Deutschland (AVD) angestellt hat: Als die Zahlen erhoben wurden, war in den Nachbarländern Deutschlands Benzin nur in Österreich, Tschechien und Polen noch billiger als in Luxemburg, Diesel nur in Österreich und Polen. Am teuersten sind die Niederlande. Dort kostet der Liter Super-Benzin 50 Cent mehr als in Luxemburg, der Liter Diesel 26 Cent mehr. Dass der Benzinpreis-Anteil am Index der Verbraucherpreise hierzulande in den letzen 13 Monaten um 40 Prozent zugenommen hat, der Anteil des Dieselpreises um 45 Prozent, ist prozentual eine Menge. Es hat seinen Ausgang aber in Rekord-Niedrigpreisen wegen der Corona-Seuche.
Doch all das bedeutet nicht, dass in Luxemburg keine Maßnahmen angesichts der gestiegenen Preise nötig wären. Es gibt mehrere Gründe, etwas zu unternehmen. Zum einen kann niemand sagen, wie lange der Preisauftrieb noch anhalten wird. Vergangegen Herbst erzählte die Europäische Zentralbank noch, die vor allem wegen der Energiepreise gestiegene Inflation werde bald wieder abnehmen. Das behauptet die EZB schon lange nicht mehr; heute wird von den Energiemärkten die Ukraine-Krise eingepreist. Zweitens haben die Energiepreise weitere Folgen in der Wirtschaft, zum Beispiel schlagen sie auf die Lebensmittelpreise durch. Auch Luxemburger Betriebe klagen, beispielsweise aus der Industrie. Von der Fedil ist zu erfahren, nicht wenige hätten sich darauf verlassen, dass die Preise schon wieder sinken werden. Als sie ihre Langfristverträge Ende 2021 verlängerten, weil sich das nicht weiter hinausschieben ließ, waren die Preise so hoch, dass die Stromrechnung mancher Unternehmen sich versechsfacht hat.
Drittens schließlich gibt es Energieträger des täglichen Bedarfs, die sich besonders verteuert haben, Heizöl etwa. Die CSV-Fraktion hatte recht, als sie am Mittwoch vorrechnete, eine 4 000-Liter-Tankfüllung für ein Einfamilienhaus, das mit Öl beheizt wird, koste nun 3 600 statt 1 820 Euro. Und jeder fünfte Haushalt im Land heizt noch mit Öl. Dieser Befund ist kritisch. Die Geschichte der Gilets jaunes in Frankreich hat gezeigt, wie Energiepreissteigerungen, und seien sie durch eine kleine zusätzliche Taxe verursacht, eine Protestbewegung hervorbringen können. Speziell für die grünen Regierungsmitglieder ergibt das einen vierten Grund, Maßnahmen zur Abfederung des Preisauftriebs zu egreifen: Es nicht zu tun, könnte die Klimapolitik in Gefahr bringen.
Dabei ist es nicht so, dass noch nichts unternommen worden wäre. Im Herbst vergangenen Jahres hob die Regierung die Teuerungszulage auf mindestens 200 Euro je Haushaltsmitglied an. Halbiert wurde die Extragebühr pro Kilowattstunde Elektrizität, die einen Kompensationsfonds speist, aus dem der höhere, garantierte Einspeisepreis für heiheem produzierten grünen Strom bezahlt wird. Wie paperjam.lu diese Woche die Regulierungsbehörde ILR zitierte, würden die Verbraucher dadurch 1,8 Cent pro Kilowattstunde sparen. Das gleiche die Anfang des Jahres um zwei Cent gestiegenen Strompreise fast aus.
Was könnte man noch tun? In der EU wurde Mitte Oktober eine „Toolbox“ vereinbart, aus der die Mitgliedstaaten sich bedienen könnten: Direkte Zahlungen an einkommensschwache Haushalte und kleine Unternehmen könne es geben, Steuererleichterungen auch. Auf jeden Fall sollten die Maßnahmen zeitlich befristet sein; die EU-Kommission meinte im Oktober noch, die Preise sänken bald wieder. Belgiens Regierung einigte sich Anfang der Woche neben der für vier Monate kleineren Strom-TVA noch darauf, jedem Haushalt 100 Euro „Heizungs-Scheck“ zukommen zu lassen, sowie Geringverdienern 100 Euro Nachlass auf ihren Sozialversicherungsbeitrag. Alles in allem brächte das dieses Jahr im Schnitt 260 Euro Entlastung pro belgischem Haushalt.
Politisch gesehen, ist eine große Frage, wie „sozial selektiv“ man hilft. Im Unterschied zur CO2-Steuer, die bei ihrer Einführung in Luxemburg Anfang 2021 Benzin, Diesel, Heizöl und Gas um ein paar Cent teurer machte, läuft seit vergangenem Herbst vor allem bei Gas und Heizöl ein ganz anderer Film ab: Beide sind Heizstoffe, und draußen ist es kalt. Ließ die CO2-Steuer sich für das unterste Einkommensfünftel durch den erhöhten Steuerkredit auf der Einkommensteuer und eine ausgeweitete Teuerungszulage komplett ausgleichen und für das Einkommensfünftel darüber knapp, wirken die seit Oktober vom Markt her kommenden Energiepreissteigerungen bis in die Mittelschicht hinein.
Die CSV machte sich deshalb am Mittwoch den Spaß, nur zwei Vorschläge zu unterbreiten, die sozial selektiv sind, und weitere zwei, auf die das gar nicht zutrifft, die jedoch bei Autofahrern und den Wählern generell gut ankommen: Das Kilometergeld für den öffentlichen Dienst würde die CSV von 30 Cent wieder auf 40 Cent anheben, wie das vor Pierre Gramegnas „Zukunftpak“ galt. Und die nie an die Inflation angepasste Kilometerpauschale würde sie „in Etappen“ angleichen. Ko-Fraktionspräsident Gilles Roth meinte, zöge man das mit einem Schlag durch, drohten dem Staat 300 Millionen Steuereinnahmenverlust.
Der Vorstoß zur Kilometerpauschale setzt die Regierung unter Druck, auf den Koalitionsvertrag zurückzukommen: Dort steht, neben der Kilometerpauschale für ihren Weg zur Arbeit im Auto Zurücklegenden, werde ein „Mobilitätsbudget“ für Nicht-Autobesitzer eingeführt. Wegen Corona und der abgeblasenen großen Steuerreform war davon nicht mehr die Rede.
Ernsthafter auf die Energiepreise gemünzt sind die Ideen der größten Oppositionspartei, den Heizölpreis bei 95 Cent pro Liter zu deckeln (zurzeit liegt er bei 90 Cent) und dies bis Juni gelten zu lassen. Dem Energiepreisauftrieb generell würde die CSV mit einer geänderten Berechnungsbasis der Teuerungszulage begegnen: Anstelle auf den einfachen unqualifizierten Mindestlohn als Referenzwert sollte sie auf den qualifizierten Mindestlohn berechnet werden. „Bei einer Familie mit zwei Kindern läge die Bezugsschwelle dann bei 5 700 Euro Brutto-Monateinkommen oder rund 4 500 Euro netto“, meinte Gilles Roth.
Etwas in dieser Richtung dürfte die Regierung vermutlich beschließen. In jedem Fall müssten die Maßnahmen aus der Staatskasse gegenfinanziert werden, so dass sich nicht die Frage stellt, ob man etwas unternimmt, sondern was und wann. Am 2. März wollen die EU-Kommission und die Energieminister sich erneut treffen und über die „Toolbox“ vom Oktober reden. Offenbar hat die Kommission ein paar Illusionen verloren, und vielleicht bleiben die Preise noch länger hoch.