Heute loben wir die Freibeuter aus Beckerich. Was tun, wenn ein Bürgermeister plötzlich der Blasphemie huldigt und den heiligen Euro lächerlich macht? Wenn er wider das Bankenimperium aufbegehrt und mit einer erfundenen Regionalwährung allen strengen Schatzmeistern den Krieg erklärt? Anders gefragt: Dürfen Bürger überhaupt so unverschämt ausscheren aus der allein selig machen Euro-Gemeinschaft? Ist die Krise noch nicht gewaltig genug? Muss jetzt auch noch eine Zusatzkrise aus Beckerich unser ohnehin gefährdetes Finanzsystem vollends ruinieren?
Der Beckericher Anschlag auf den Euro ist ein sehr gefährliches Spielchen. Die Bürger aus dieser bukolischen Landgemeinde spielen nämlich Demokratie. In einem überschaubaren Rahmen wollen sie gezielt investieren und den Überblick behalten, was mit ihrem Geld passiert. Sie schlagen den Spekulanten die Tür auf der Nase zu. Das ist unerhört, fundamental aufmüpfig, staatsgefährdend und europavernichtend. Wenn wir uns zur Zeit etwas gar nicht leisten können, so ist es Demokratie. Um die Krise zu bewältigen, brauchen wir knallharte Katastrophenmanager. Starke Männer, die nicht lange faxen, wenn es mit rasender Geschwindigkeit bergab geht. Teutonische Berserker sind jetzt gefragt, die den Mund wunderbar voll nehmen und im Namen unserer Banken eine konsequente soziale Trümmerlandschaft fordern. An ihrem Wesen wird der Euro genesen. Machen wir es kurz: Der „Beki“, das Beckericher Märchengeld, setzt die Zukunft unserer blühenden Landschaften aufs Spiel. Der Beki ist Gift für unsere kollektive Europa-Euphorie.
Wir haben uns daher erlaubt, einen kleinen Bittbrief an den Beckericher Bürgermeister zu verfassen, damit er in letzter Sekunde noch Vernunft walten lässt, bevor das finanztechnische Chaos ausbricht. Lieber Camille Gira! Haben Sie nicht gemerkt, dass demokratische Allüren heute nur noch kontraproduktiv sind? Der demokratische Geist ist nicht nur ein Auslaufmodell, er ist ein echter Sprengsatz, der die volksfreundliche Diktatur der Banken aus der Bahn werfen kann. Wollen Sie ausgerechnet jetzt den kompetenten Geldhütern und Finanzverwaltern in die Parade fahren? Nur, damit die Beckericher Bürger das Gefühl haben, sie könnten ein Stück weit selber bestimmen, wie ihr Leben aussehen sollte?
Warum hören Sie nicht auf Herrn Juncker? Er redet mal so und mal so, heute dies und morgen das, aber genau diese vermeintliche Orientierungslosigkeit verrät echte Vielfalt und Offenheit. Warum wollen Sie Ihre Bürger unbedingt orientieren? Ist es nicht ein Zeichen von lokaler Beschränktheit, wenn Sie sich ein Ziel setzen, das der großen europäischen Verschwommenheit zuwider läuft? Warum wollen Sie nicht verschwommen sein wie alle Europäer? Nur das Verschwommene, Diffuse, Nebulöse kann uns retten. Das Präzise, Kleinteilige, Bescheidene, leicht Verwaltbare widerspricht grundsätzlich der europäischen Lehre von der heilsamen Verwirrung aller Begriffe. Sie, Herr Gira, möchten sich nicht verwirren lassen. Das ist Ihr gutes Recht. Aber wie stellen Sie sich denn ein Europa vor, das nach dem Beckericher Modell funktioniert? Überall nur mehr mündige Bürger? Landauf, landab nichts als sture Demokraten, die ihr Dasein selber verwalten? Der ganze Kontinent ein freies Beckerich?
Fast hätten Sie uns dazu verführt, Ihre Unvernunft im Maßstab eins zu eins nachzuahmen. Ein paar Wochen lang haben wir allen Ernstes mit der Idee gespielt, den „Nospi“ aus der Taufe zu heben, also die Nospelter Lokalwährung mit klar festgelegtem Einsatzbereich. Aus Dondelingen hörten wir zugleich die Kunde von der bevorstehenden „Dondi“-Gründung, aus Koerich wurde uns zugetragen, der „Köri“ sei nur noch eine Frage der Zeit. Heute sind wir entsetzt über unseren demokratischen Wahn, aber stellen Sie sich vor, wir alle haben tatsächlich schon über Vernetzung und Interaktion debattiert, Nospi, Dondi und Köri ein lockerer, unbeschwerter Verband von lokalen Währungspionieren, Tag für Tag ein fröhlicher Tausch nach klaren Regeln. Grausam! Wie konnten wir nur so tief fallen? Wie konnten wir nur hereinfallen auf die Verlockungen der Demokratie? Wie konnten wir unserer geliebten Euro-Bank nur so frech in die Suppe spucken? Hat sich unsere Bank denn nicht alle erdenkliche Mühe gegeben, uns die Mitbestimmungsflausen geduldig auszutreiben?
Zum Glück hat sich dann die weise Luxemburger Zentralbank zu Wort gemeldet. Ihnen, Herr Gira, hat sie eine ganz schön scharfe Standpauke gehalten. Was Sie treiben, ist schlicht kriminell. Sie sind ein Falschgeldproduzent, ein Währungsgauner also, der unsere Finanzwirtschaft an den Rand des Abgrunds manövriert. Sollten wir demnächst im Krisensumpf untergehen, ist der Schuldige schnell gefunden: der Beckericher Beki. Übrigens: Soeben wurden die Lehman Brothers freigesprochen. Sie haben zwar Millionen Menschen ins Elend gestürzt, aber die Gerichte konnten sie nicht ausreichend belasten. In anderen Worten: Die Bank gewinnt immer. Das sollte Ihnen zu denken geben, Herr Gira.
Guy Rewenig
Kategorien: Made in Happyland
Ausgabe: 20.07.2012