Aufregung in Genf: Das Observatoire universitaire de l’emploi (www.unige.ch/ses/lea) hat Ende Juli eine Studie veröffentlicht, die einige Klischees über den Haufen wirft, oder zumindest in Frage stellt. In der Tat hört man im Kanton Genf oft Sätze wie: „Mein Nachbar hat seine Arbeit verloren; kurz danach wurde er von einem Grenzgänger ersetzt“, „Grenzgänger klauen uns unsere Jobs“, oder „Wenn in einem Unternehmen mit vielen Grenzpendlern auch der Personalchef einer ist, werden nur noch Grenzgänger eingestellt.“ Die zur Genfer Universität gehörende Beobachtungsstelle wollte es jetzt etwas genauer wissen, indem sie gleich zwei experimentelle Studien durchgeführt hat.
Die erste bestand darin, auf 130 verschiedene Stellenanzeigen einer großen Internet-Jobbörse (www.jobup.ch) zu reagieren, und zwar mit jeweils vier fiktiven, aber realistisch formulierten und sehr konkreten Anträgen. Die Kandidat(inn)en waren durch die Bank vergleichbar (22-23 Jahre alt, unverheiratet, mobil, mit eigenem PKW), abgesehen vom Wohnort (im Kanton Genf ansässig oder Grenzgänger) und der aktuellen beruflichen Situation (in einem Arbeitsverhältnis stehend oder arbeitslos). 520 Bewerbungen (130 mal 4) wurden auf diese Art verschickt. Das Stellenangebot war ziemlich breit gefächert und reiche von Empfangs- und Sekretariatsarbeiten über den Handel (Verkauf, Lagerarbeit), die Gastronomie, Sicherheitsdienste bis hin zum Gesundheitssektor.
Das Ergebnis überrascht: 25,7 Prozent der Anfragen (mehr als jede vierte), die direkt aus dem Kanton stammen, wurden beantwortet, während bei den Grenzgängern die Rückantwortquote nur bei 14,2 Prozent (nicht einmal mal jede siebente) lag. In anderen Worten: Einheimische wurden deutlich gegenüber den im nahen Frankreich wohnenden potenziellen Arbeitskräften bevorzugt. Ob das nur bedingt ist durch den höheren Verwaltungsaufwand bei der Einstellung eines Grenzgängers (dann ist ein so genannter „Grenzgängerpass“ fällig) oder vielleicht doch eine krisenbedingte Rückbesinnung auf die bereits tot geglaubte Prämisse „Schweizer zuerst!“ ist, wird nicht klar ersichtlich. Allerdings scheint die Idee, dass man immer nur „billige“ Grenzgänger „teuren“ Schweizern vorzieht, etwas ins Wanken zu geraten. Es gab aber noch eine zweite Überraschung: Arbeitslose wurden viel öfter zu einem Gespräch eingeladen als Aktive. Hier spielt wohl die schnelle Verfügbarkeit eine Rolle, insbesondere wenn man sich nicht im spezialisierten Hochlohnbereich bewegt.
Die zweite Studie bestand in einer Online-Befragung von rund 200 Personaldirektoren, die mit unterschiedlichen Lebensläufen konfrontiert wurden, für den – hypothetischen – Fall, dass Einstellungsbedarf vorliegen würde. Auch hier erzielten die vor Ort wohnenden Arbeitswilligen ein besseres Ergebnis als die Grenzgänger. Allerdings hatten jetzt die Berufstätigen gegenüber den Arbeitslosen die Nase vorn. Sobald die Stellenbandbreite das höhere Lohnsegment mit einschließt, scheinen Arbeitslose schlechtere Karten zu haben.
Das Genfer Forschungsprojekt wird natürlich auch kritisiert. Zum Teil recht scharf, etwa vom Mouvement Citoyens Genevois (MCG), dessen Leitmotiv „Weder links noch rechts, Genf zuerst“ ja schon fast alles sagt. Hier ist die Rede von ferngesteuerter Auftragsforschung, von Beschönigung, gar von Betrug. So etwas muss man aushalten. Liest man die Studie, stellt sich natürlich die Frage: Wie funktioniert eigentlich die Einstellungspolitik bei uns?
Claude Gengler
Catégories: Hart an der Grenze
Édition: 20.07.2012