Es kommt Bewegung in die politische Landschaft der Türkei. Neu gegründete Parteien und ein wachsendes Selbstbewusstsein der Opposition bringen Unordnung in die Reihen des Ein-Mann-Regimes des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Dabei sind die neuen Akteure gar nicht so neu. Es sind vor allem konservative Politiker, die die Seiten wechseln und damit das Bild der AKP, der regierenden Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung, zerzausen.
Da ist allen voran der ehemalige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Seit über einem Jahr ist es ein offenes Geheimnis, dass der ehemalige außenpolitische Berater Erdogans seine eigene Partei gründen will. Nun wird es konkret. Nachdem Erdogans AKP Davutoglus Unterstützer aus der Partei ausgeschlossen hat und die Forderung auch nach Davutoglus Rausschmiss immer lauter wurde, kam er seinen Gegnern zuvor und verließ die AKP. Türkische Medien spekulieren nun, Davutoglu werde innerhalb weniger Monaten die Gründung seiner neuen Partei bekanntgeben.
Ein solcher Bruch geht nicht kampflos vonstatten. Erdogan und Davutoglu hatten sich heftige Wortgefechte geliefert. „Verräter“ hatte Erdogan ihn genannt. Der von Kritikern für die katastrophale Syrien-Politik Ankaras sowie die Gewaltwelle in den kurdischen Gebieten des Landes während seiner Amtszeit verantwortlich gemachte Davutoglu, schlug zurück. Er habe dies nicht allein bestimmt und meinte damit Erdogan. Davutoglu drohte damit, die Interna der damaligen Regierung öffentlich zu machen. „Wenn das Kapitel über den Anti-Terror-Kampf aufgemacht wird, können sich viele Menschen nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken lassen“, unkte er vor zwei Wochen. Erdogan und seine Untertanen verstanden dies als offene Drohung und wurden noch wütender.
Auch Davutoglus ehemaliger Wirtschaftsminister Ali Babacan bringt sich in Stellung. Er organisiert gerade ebenfalls eine neue Partei. Dabei weiß er die schützende Hand des ehemaligen Staatspräsidenten und AKP-Gründers Abdullah Gül über seinem Haupt. Babacan wird als Wirtschaftsexperte im In- und Ausland durchaus geschätzt. Doch die folgenreichen Fehlentscheidungen, die zur aktuellen Wirtschaftskrise des Landes erheblich beitragen, gehen auf sein Konto. Dennoch könnte er die Unterstützung des liberalen Flügels der AKP erhalten, denn diesem stößt Erdogans autoritärer Stil immer öfter auf.
Aktuelle Umfragen lassen vermuten, dass diese möglichen neuen Parteien – wenn sie tatsächlich gegründet werden – ein Wählerpotenzial von zwei bis zehn Prozent haben würden und natürlich die AKP so nicht überbieten könnten. Sie könnten allerdings zu ihrer empfindlichen Schwächung beitragen in einer politischen Landschaft, die in Bewegung gerät.
Nicht nur Konservative machen gegen Erdogan mobil. Auch die selbsternannte sozialdemokratische republikanische Volkspartei (CHP) wacht auf. Seitdem ihr Kandidat in Istanbul, in der größten Metropole des Landes, die Bürgermeisterwahl entgegen aller Manipulationen der AKP gewonnen hat, keimt neuer Mut. Während der neue Bürgermeister Istanbuls, Ekrem Imamoglu, nun entschlossen die Finanzquellen der AKP trockenlegt, versuchen er und andere junge CHP-Politiker die lange vernachlässigten Beziehungen zu den Kurden wiederzubeleben. Sie wissen: Ohne kurdische Unterstützung kann die CHP niemals die konservative Mehrheit der Türken überwinden.
Ob der Schulterschluss klappen wird, ist unklar. Das Erdogan-Regime machte in den vergangenen Jahren vor allem die links-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) zur Zielscheibe. HPDs ehemaliger Ko-Vorsitzende Selahattin Demirtas sitzt seit über zwei Jahren im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses in Edirne, im Westen des Landes. Erdogan ignoriert bislang das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes, welches Demirtas’ Haft ungesetzlich nennt. Vor zwei Wochen hob nun auch ein türkisches Gericht das Hafturteil auf, womit die Wahrscheinlichkeit, dass Demirtas bald frei kommt, steigt. Mit Demirtas käme ein Akteur zurück, der gefährlich werden kann für Erdogan. Denn er ist der einzige Oppositionspolitiker, dem es gelingt auch die Wählerschichten anzusprechen, die bisher Erdogan unterstützen.
Das Regieren, so viel wird deutlich, wird schwieriger für Erdogan. Doch ein Ende seiner Macht ist dennoch nicht in Sicht. In den nächsten vier Jahren muss er sich nicht zur Wahl stellen. Vor mehr als drei Jahren hat er zudem die Pfeiler seiner Macht passend umgebaut. Unterstützung hat er nicht allein von seiner Partei, sondern auch von der faschistischen Partei der Nationalen Bewegung (MHP). Aber diese für Erdogan günstige politische Konstellation hat auch eine Kehrseite. Die Faschisten der MHP gewinnen täglich an Einfluss, infiltrieren den Staat und sorgen dafür, dass die Politik Erdogans weiter die Opposition unter enormem Druck hält.