Stumm hockt der Neger als riesiges, bronzenes Kingkong-Denkmal auf der Bühne, zu seinen Füßen ein Edelstahlherd, auf dem die Kannibalentöpfe dampfen. So ist der afrikanische Sklave Freitag Teil des Stücks Robinso Cruso, die Frau und der Neger und spielt doch nicht mit. Zu Beginn der kolonialen Expansion Großbritanniens entstand auch der englischsprachige Roman. Einer der ersten war Daniel Defoes THE LIFE AND STRANGE SURPRIZING ADVENTURES OF ROBINSON CRUSOE, Of YORK, MARINER: Who lived Eight and Twenty Years, all alone in an un-inhabited Island on the Coast of AMERICA, near the Mouth of the Great River OROONOQUE; Having been cast on Shore by Shipwreck, wherein all the Men perished but himself. WITH an Account how he was at last as strangely deliver‘d by PYRATES. Written by Himsel. LONDON; Printed for T. TAYLOR at the Ship in Pater-Noster-Row. MDCCXIX. Angeregt von einem tatsächlichen Vorfall, erzählt er die Geschichte eines Schiffbrüchigen, der auf eine abgelegene Insel die britische Zivilisation bringt, das heißt seinen afrikanischen Leidensgefährten versklavt. In einem kurzen Roman hat 1986 der südafrikanische Literaturnobelpreisträger J.M. Coetzee die Robinsonade weitergeschrieben und antikolonialistisch zuspitzt. Der Titel Foe benennt das Feindverhältnis, das früher "Zivilisierung" und heute "Multikulturalismus" heißt, ist aber auch der ursprüngliche Name von Daniel Foe, der sich als Dichter ein Adelsprädikat hinzuerfand. Coetzee lässt in der Männerwelt der Robinsonade eine Frau stranden, Susan Barton, und fügt so dem Motiv der äußeren Kolonie ein historisches Geschlechterverhältnis hinzu, das Rosa Luxemburg als innere Kolonie beschrieben hat. Nach ihrer Rettung und dem Tod Robinsons sucht Barton zusammen mit dem Sklaven Freitag den Dichter Daniel Foe auf, um ihre Geschichte niederschreiben zu lassen. Doch die Gerettete und der Dichter beginnen zu verhandeln, welche Geschichte erzählt werden soll. Wem die Worte gehören, dem gehört auch die Geschichte. Nur die Geschichte des Sklaven Freitag, dem die Zunge herausgeschnitten worden war, soll keinen Eingang in die Geschichtsbücher finden. Als Bartons verschollene Tochter auftaucht, ist am Ende nicht einmal sicher, ob nicht auch ihre Geschichte, sie selbst erfunden ist. 20 Jahre später scheint Coetzees unter der Apartheid geschriebener Roman dem Dramatiker Pieter de Buysser und dem Regisseur Johan Simons etwas zu politisch korrekt. Deshalb spielt die humorvoll gegen die arg konstruierte Parabelform ankämpfende, anfänglich von einer Erzählerin (Julika Jenkins) begleitete Inszenierung provokativ mit rassistischen Klischees und zeigt den protestantischen Händler Robinson (André Jung) als vielleicht schwarzes Menschenfleisch kochenden und backenden Schrebergärtner in Strandkleidung. Er will weder aus seinem "kleinen Königreich" gerettet werden, noch fühlt er sich von einer zivilisatorischen Mission erfüll. Auch die in eine passive Frauenrolle in Weiß (Betty Schuurman) und eine aktive in Schwarz (Sylvana Krappatsch) gespaltene Inselgefährtin interessiert ihn nicht sonderlich, sie stört bloß das unveränderliche Verhältnis von Herr und Sklave.Robinson Cruso, die Frau und der Neger ist eine Koproduktion von NTGent und Münchner Kammerspielen mit dem Grand Théâtre de Luxembourg, das bereits Johan Simons' Anatomie Titus Fall of Rome (d'Land, 19.03.04) und Zwei Stimmen (d'Land, 30.09.05) gezeigt hatte. Sie ist von unerwarteter Aktualität, seit in Frankreich ein Gesetz die Aufzählung von Wohltaten der Kolonialzeit in den Geschichtsbüchern vorschreiben sollte. Und die weiße Frau, die nicht nur die "letzte Kolonie" ist, sondern auch die Geschichte des stummen Sklaven stiehlt, grinst als Lynndie England auf den Souvenirfotos aus Abu Ghraib.
Nächste Vorstellung am 20. Mai in München