Leitartikel

Nichts gegen ..., aber

d'Lëtzebuerger Land vom 09.02.2018

Auf reaktionäre Ressentiments und populistische Parolen im Wahlkampf zu setzen, ist eine rutschige Angelegenheit. Dies nicht nur, weil sich Wähler ermutigt fühlen könnten, Vorurteile aufzugreifen, eigene offen zu zeigen und auszuleben. Sondern auch und gerade weil Politiker, einmal angefangen, selbst oft in einen Sog geraten, der sie fest geglaubte Grenzen eine nach der anderen überschreiten lässt.

Nachdem Politiker quer durch alle Parteien im Rahmen der Wachstumsdebatte vor allem die Grenzgänger als Sündenbocke ausgemacht haben, deren Anzahl es zu begrenzen gelte, deren wertvolle und oft auch billigere Arbeitskraft das Land gleichwohl in anonymen Arbeitsstätten am besten in Grenznähe nutzen will und denen die Hauptschuld für die massiven Verkehrsprobleme angelastet wird (und nicht etwa der destaströsen, weil viele Jahrzehnte praktisch inexistenten Landesplanung), wird nun den ausländischen Bewohnern des Landes auf den Pelz gerückt.

Die Ausländer müssen „mehr Anstrengungen unternehmen, um sich zu integrieren“, befand Anne Brasseur diese Woche in einem Zeitungsinterview des Luxemburger Wort. Als Beweis für die angebliche Unwilligkeit zur Integration der Einwohner führt die scheidende liberale Abgeordnete und einstige Präsidentin des Europarats eine Anekdote ins Feld, die mehr aussagt über die Absenderin als über die Addressaten: Bei einem Essen mit lauter Nicht-Luxemburgern habe niemand sie gekannt, niemand habe gewusst, was sie macht, entrüstete sich Brasseur.

Für ein Land, das wie kein anderes in Europa auf die Arbeit von Migranten angeweisen ist und das ihnen einen beträchtlichen Teil seines Wohlstands verdankt, führt das in Mode gekommene Nicht-Luxemburger-Bashing freilich zu einigen absurden Verrenkungen. So steht die Demokratie in dem Land weiterhin seit Jahren auf tönernen Füßen, da fast die Häfte der Einwohnerinnen und Eimwohner nicht wählen können. Ein Defizit, dass das Referendum 2015 zum Ausländerwahlrecht eigentlich beheben sollte.

Seit aber die Regierung dort gleich drei schallende Ohrfeigen kassierte, auch weil sie sich gar nicht erst die Mühe gemacht hatte, dass doch anspruchsvolle, weil europaweit einmalige Projekt der eignenen Bevölkerung zu erklären, spricht heute niemand mehr davon. Stattdessen verleiht der Bildungsminister mit Mehr-Luxemburgisch-Initiativen der Angst vor Über- und Entfremdung im eigenen Land nachträglich offizielle Legitimation. Meisch fördert dabei die Abneigung, oder zumindest doch Malaise gegenüber der Sprache Voltaires, die viele Luxemburger offenbar schon länger hegen, die sie sich erst jetzt offen zu zeigen trauen.

Das demonstrative Wetteifern mit der Heimatliebe, das Betonen eines „Wir“, das sich von „Anderen“ abgrenzt, ist ein gefährliches Spiel. Luxemburg ist auf Einwanderung angewiesen und wird es bleiben, denn der Import qualifizierter Fachkräften bildet die Basis für die Verwirklichung hochfliegenderTräume wie Luxemburg als Zentrum für Spacemining oder Fintech. Ein so kleines Land kann diese Expertise nicht von heute auf morgen selbst aufbauen, egal, wie sehr es sich anstrengt. Wer die Schwerfälligkeit unseres Bildungssystems kennt, weiß, dass es schon ein Erfolg wäre, wenn nicht noch mehr Kinder den schulischen Anschluss verpassen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass diese Regierung wie keine andere in Imagekampagnen für ein innovaties, offenes und international wettbewerbsfähiges Luxemburg investiert. Aber warum sollen Ausländer nach Luxemburg kommen, wenn ihnen immer unverhohlener vorgeworfen wird, sie würden sich eh nicht integrieren?

Ines Kurschat
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