Zwei Jahre nach ihrem gescheiterten Referendum über das Ausländerwahlrecht legte die Regierung einen Gesetzentwurf zur Förderung des Luxemburgischen vor

Die Buße

d'Lëtzebuerger Land vom 24.11.2017

Der Krieg war gerade ein Jahre vorüber, als 1946 das Schulbuch Lezebuurjer Gedichter a Proosa­shteker fiir ons Shoulen. Zesumegeshtallt fun ènger shtaatlecher Komissjoun erschien. Die staatliche Kommission hatte eine neue Schreibweise für das Luxemburgische erfunden, deren oberstes Ziel es war, die größtmögliche Distanz zur deutschen Sprache zu schaffen. Michel Lentz’ Gedicht De Kèshtebaam am Koleish las sich so: „Vaat dausht a vaat pespert esou an déém baam, / Dé prèchtech seng èsht em sech shprèèt?“

Zur gleichen Zeit veröffentlichte einer der vielen Hobby-Orthografen, Jean-Pierre ­Oswald, eine Broschüre Écriture et prononciation de la langue luxembourgeoise. Méthode frangall (fr.-ang.-all.). Er schlug vor, dass Wörter aus dem Französischen, Englischen und Deutschen wie in diesen Sprachen geschrieben würden, aber „[q]uand il y a divergence, on donne la préférence au fr. d’abord, à l’angl. ensuite“ (S. 3) – bloß nicht dem Deutschen.

Pfarrer Jos Keup hatte vor dem Krieg deutsch geschrieben, ein Adalbert Stifter aus dem Ösling. Nachdem er in den Konzentrationslagern von Hinzert und Dachau um sein Leben ringen musste, veröffentlichte er 1950 eine kleine Gedichtsammlung Ro’sen an Hartnol. In dem Gedicht ­Telefong am Bromé stehen Verse wie: „Wonnerdofteg klonke Fletschen: / Drëpsen, de’ vun uewe pletschen / an am Fal’ gefruer.“ Für eine Neuauflage 1974 änderte er „wonnerdofteg“ in „wonner­ëmpeg“ um. In dem Gedicht Op der Ruels­bechlè heißt es: „En E’mespîrche spilt de Schrome no, / den Hèdoft zidert op de Sonnestrolen.“ Der Dichter bediente sich einer Kunstsprache, die für Fremde eine Geheimsprache sein musste.

Sprache ist bis in die Orthografie hinein politisch. „Die Luxemburger wissen, dass die Sprache ein wichtiges Element ihrer Identität ist, aber auch Nicht-Luxemburger in Luxemburg wissen, dass die Sprache zu unserem Land gehört und damit auch ein Stück ihrer Zukunft und der Zukunft ihrer Kinder ausmacht“, meinte Erziehungsminister Claude Meisch (DP) vergangene Woche, nachdem das Regierungskabinett ein Projet de loi sur la promotion de la langue luxembourgeoise auf den Instanzenweg gegeben hatte. Die Regierung hatte das Gesetz Ende Januar versprochen, als ein Angestellter des Gemeindesyndikats Sigi, ­Lucien Welter, über die Internetseite des Parlaments 14 702 Unterschriften gesammelt hatte, damit das Luxemburgische zur ersten Amtssprache werde und somit alle politisch und ökonomisch Sprachlosen ihr einziges Bildungsprivileg gegen Einwanderer und Grenzpendler ausspielen könnten (d’Land, 20.1.2017).

Als das Luxemburgische 1984, auf dem ersten Höhepunkt des neuen Nationalismus, zur Natio­nalsprache erklärt worden war, hatten Linguisten gemeint, dass dies nicht ohne eine staatliche Sprachenpolitik geschehen dürfe. Aber so weit wollten die exportorientierten, proeuropäischen, gegenüber Planwirtschaft misstrauischen Minister und Abgeordneten nicht gehen. Drei Jahrzehnte später, auf einem weiteren Höhepunkt des Nationalismus, soll nun die 1984 verhinderte staatliche Sprachenpolitik doch noch kommen. Dazwischen hatten Linguisten der neu gegründeten Universität beschlossen, dass sie keine Sekte, sondern eine Religion studierten: dass das Luxemburgische kein Dialekt des Deutschen mehr sei, sondern eine richtige germanische Sprache, wie das Englische, das Deutsche oder das Schwedische.

In Zukunft soll sich der bereits 1998 durch ein Règlement ministériel und 1999 durch ein Règlement grand-ducal gegründete und 2004 durch Gesetz beim Merscher Literaturzentrum untergebrachte Conseil permanent de la langue luxembourgeoise definitiv auf die Scholastik der Orthografiereformen beschränken. Die Verantwortung und die Mitarbeiter für das millionenteure Lëtze­buerger Online Dictionnaire, an dem seit 15 Jahren gearbeitet wird und das nun nächstes Jahr fertig werden soll, muss der Conseil an ein neues Centre pour le luxembourgeois abtreten, das geschaffen wird, um die staatliche Sprachenpolitik praktisch umzusetzen und das Luxemburgische in seiner Geschichte, seinen nunmehr „Dialekte“ genanten Regio­nalvarianten und seiner kulturellen Vielfalt zu dokumentieren sowie Ausstellungen und Vorträge zu organisieren.

Wobei die nun geplante Verstaatlichung der Sprachenpolitik nichts Rechtes mit den bisherigen Sprachpflegern und -forschern anzufangen weiß, von der 1935 gegründeten Section de linguistique, de folklore et de toponymie des Institut grand-ducal über das 2006 gegründeten Institut de langue et de littératures luxembourgeoises an der Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungswissenschaften der Universität bis zur Actioun Lëtze­buergesch. So dass die seit Generationen zerstrittenen, meist ziemlich rechten Sprachforscher, Sprachförderer, Sprachschützer und Sprachsäuberer am Ende noch ein wenig zerstrittener sein dürften.

Damit all die staatlichen Einrichtungen nicht bloß technokratisch wirken, sieht der Gesetzentwurf die Ernennung eines Commissaire à la langue ­luxembourgeoise aus Fleisch und Blut vor, der beim Centre pour le luxembourgeois einen über stolze 20 Jahre laufenden Aktionsplan ausarbeiten, seine Umsetzung koordinieren und alle fünf Jahre kontrollieren soll. Er soll darüber wachen, dass genügend Luxemburgischkurse angeboten werden, und Beschwerden über den mangelhaften Gebrauch des Luxemburgischen im öffentlichen Dienst entgegennehmen. Der Kommissar soll einem der wenigen interministeriellen Komitees unterstehen, dem die ganze Regierung angehört.

Grundlage des Aktionsplans soll ein bereits im März von der Regierung verabschiedetes Strategiepapier zur Förderung des Luxemburgischen sein. Zu seinen 40 Punkten gehören die Ausrufung eines Nationalen Dag vun der Lëtze­buerger Sprooch a Kultur, ein Nationale Präiss fir d’Verdéngschter ronderëm d’Lëtzebuerger Sprooch, 200 Stunden Congé linguistique, um Luxemburgisch zu lernen, mehrere Optionsfächer Luxemburgisch im Sekundarunterricht, obligatorische Luxemburgischkurse in internationalen Grundschulen, Luxemburgisch in konventionierten Kindertagesstätten dies- und jenseits der Grenze, staatliche Internetseiten auch auf Luxemburgisch und desgleichen mehr.

Bei der geplanten großen Revision soll das Luxemburgische nunmehr auch durch die Verfassung zur Nationalsprache erklärt werden. Der derzeitige Vorschlag sieht für Artikel vier die Formel vor: „La langue du Luxembourg est le luxembourgeois. La loi règle des langues luxembourgeoise, française et allemande“. Nationalisten ist das zu unverbindlich, aber der ehemalige „patois“ würde nebenbei durch Verfassungsgewalt zur Sprache erklärt.

Mit ihrem unbedingt noch vor den Wahlen zu verabschiedenden Gesetzentwurf will die bei Konservativen verhasste Reformkoalition zeigen, dass sie doch nicht die gott- und vaterlandslosen Verräter sind, die Staat und Kirche trennen und das Ausländerwahlrecht einführen wollen. Dass auch sie aus ganzem Herzen die Bungalow-­Idyllen und die nationale Identität schützen wollen, wenn die CSV im Wahlkampf Natur und Kultur gegen den Ein-Millionen-Einwohner-Staat verteidigt und die ADR vielleicht mit einem Kandidaten ­Lucien Welter versucht, am Wahlerfolg von AfD und FN teilzuhaben. Um nicht kampflos vor dem Nationalismus und Malthusianismus im Wahlkampf zu kapitulieren, tut die Regierung mit ihrem Gesetz zur Förderung der Muttersprache Buße für ihr gescheitertes Referendum, mit dem sie das legislative Ausländerwahlrecht einführen wollte.

Schließlich sind sich DP, LSAP und Grüne nicht weniger bewusst als die CSV, dass der entfesselte Liberalismus von Google-Zentren, Asteroidenbergbau und Standortwettbewerb außer universeller Käuflichkeit und Konkurrenzdenken keine Ideologie bietet, die wachsende Vermögens- und Einkommensunterschiede verkleistern kann. Deshalb muss, hier wie anderswo, der Nationalismus diese Leere ausfüllen, der schwache Trost, dass es anderen noch mieser gehen soll.

Gleichzeitig hat die Regierung darauf geachtet, dass es in ihrem Gesetzentwurf bei der Ideologie und der Symbolik bleibt: Das künftige Gesetz soll laut seinem Titel die „promotion de la langue“ organisieren, weil die rechten Nationalisten seit einem Jahrhundert behaupten, dass das Luxemburgische aussterbe. Das Luxemburgische soll durch staatliche Gremien, Werbekampagnen und Kulturangebote gefördert, aber sein rechtlicher Stellenwert nicht erhöht und festgeschrieben werden. Mit Rücksicht auf den eingewanderten Teil der Bevölkerung und der Arbeitskraft soll das Gesetz nichts am offiziellen Sprachgebrauch ändern und es geht keine Rede davon, das Luxemburgische zur ersten Amtssprache zu erklären, wie es die Petitionäre vor einem Jahr gefordert hatten.

Die Regierung verzichtete auch darauf, für das Luxemburgische das Statut einer offiziellen Sprache in der Europäischen Union zu beantragen, wie sie es vor einem Jahr versprochen hatte. Die zwei Dutzend offiziellen Sprachen in der Union, vom Englischen bis zum Maltesischen, sind automatisch auch Arbeitssprachen, die in den Institutionen gebraucht und in denen Rechtstexte veröffentlicht werden können. Stattdessen will man sich auf eine Abmachung mit der EU-Verwaltung beschränken, damit Eingaben auf Luxemburgisch in dieser Sprache beantwortet werden.

Romain Hilgert
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