Allein der Name hätte vor fünfzig Jahren wahrscheinlich für skeptische Blicke gesorgt. Elteren an der Schoul heißt die Vereinigung, die auf Wunsch von Bildungsminister Claude Meisch (DP) seit 2020 für mehr Beteiligung der Eltern in den Schulen sorgt und deren regionale Vertreter derzeit gewählt werden. Denn die Schule, das war der heilige Gral hinter den Schulhofmauern, den man dem Bildungspersonal überlässt. Außer den vereinzelten Elternversammlungen und den Berichten, den man von den eigenen Kindern am Abendtisch hörte, war die Schule als Ort eine eher geschlossene Institution. Ein allgemeiner Kulturwandel hat dazu beigetragen, dass der Lehrerberuf etwas an unangefochtener Autorität eingebüßt hat, und dass mittlerweile mehr elterliches Engagement besteht.
Alain Massen, Präsident von Elteren an der Schoul und Vater von vier Kindern, begrüßt uns in seiner Psychotherapie-Praxis, auf einem kleinen Tisch zwischen zwei schwarzen Sesseln steht eine Kleenex-Box, daneben liegt ein weißer Schreibblock mit Stift darauf. Massen hört tagein tagaus Menschen zu, die versuchen ihr Leben zu verstehen und zu ordnen. Auch als Mediator ist er es gewohnt, Prozesse zu begleiten – und als Präsident der nationalen Elternvertretung soll er ebenfalls genau das tun: Ordnung in die Gedanken und Denkanstöße von 200 000 Erwachsenen bringen. Dass die Meinungsbildung bei einer solch heterogenen Masse nicht leichtfällt, liegt auf der Hand. Massen muss oftmals komplett widersprüchliche Standpunkte zusammenbringen und sitzt dann etwa im Conseil supérieur de l’éducation, um sie zu vertreten. Dabei wurde die erste Mandatsperiode von Covid-19 überschattet, was die Aufbauarbeit der Vertretung wesentlich erschwerte. In den Medien hat Alain Massen sich in dieser Zeit gegen eine allgemeine Maskenpflicht an den Grundschulen ausgesprochen, eine Haltung, die ihm Todesdrohungen in den Briefkasten flattern ließ, wie er erzählt.
Ein Bildungspartner auf Augenhöhe, das war das Ziel der Formalisierung der Elternvertretung. Der Austausch soll konstruktiv sein, man wolle nicht nur meckern, sagt Massen. Es ginge um „parafachlichen Input“. Obwohl er wie ein Politiker spricht, habe er keine politischen Ambitionen, räumt er auf Nachfrage ein. Für seine Überzeugungen könne man bisweilen besser einstehen, wenn man politisch neutral bleibe. Die nationale Vertretung stellt als staatliches Organ zwölf auf drei Jahre gewählte Repräsentant/innen auf Landesebene, sechs für die Sekundarstufe, vier für die Grundschule und zwei für die sonderpädagogischen Kompetenzzentren. Sie wurden von den sektoriellen (regionalen) Vertretern gewählt, die wiederum aus dem Pool der Elternsprecher einzelner Schulen nominiert wurden. Im Rahmen ihres Mandats Recht haben sie Anrecht auf acht Urlaubstage pro Jahr. Der Dachverband Fapel, eine Asbl, war vorher seit seiner Gründung 1974 Repräsentant in Sachen Elterninteressen. Es ist also nicht falsch von einer Institutionalisierung ebendieser zu sprechen. Die Vertretung kommt nun professioneller daher, mit einer schicken Webseite und gut gekleideten Vertreter/innen, die in Videoclips ihre aktive Rolle in der Bildungsgemeinschaft betonen. Im August 2018 wurde das entsprechende Gesetz dazu verabschiedet, nicht ohne Bedauern aus den Ecken der Fapel, die sich nach Jahrzehnten des Engagements ignoriert fühlte. Doch eine reine Asbl würde der stärkeren Beteiligung nicht mehr gerecht werden, hatte Bildungsminister Claude Meisch (DP) damals gesagt. Heute hört man, die Fapel habe einfach nicht mehr ins Konzept gepasst, da man im Verein Mitglied sein müsse, um sich zu engagieren, was mit einem gewissen demokratischen Defizit einhergehe. Sie bezieht immer noch ein kleines Budget vom Staat, um ihre Projekte zu finanzieren, hat aber an Relevanz eingebüßt.
Es gibt wenig empirische Daten zum direkten Zusammenhang zwischen elterlichem Engagement und schulischer Leistung der Kinder. Wer sich engagiert, das kann man zum Beispiel in einem Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom letzten Jahr nachlesen. Demnach nehmen in Deutschland 94 Prozent der Mütter (da sie als Hauptbetreuungsperson für die Kinder geltend gemacht wurden, wurden sie primär untersucht) mit Studienabschluss an Elternabenden teil, während es bei denen ohne Abschluss nur 80 Prozent sind. In den Elternvertretungen ist es ähnlich, auch dort finden sich mehr Mütter mit Studienabschluss (24 zu sieben Prozent bei Neun- bis Zehnjährigen). Schaut man sich die Biografien der nationalen Vertreter/innen an, bestätigt sich auch in Luxemburg der Mangel an Repräsentation. Von zwölf sprechen zehn Luxemburgisch, mindestens acht von zwölf arbeiten in Berufen, die ein abgeschlossenes Studium voraussetzen. Ein paar arbeiten selbst als Lehrkräfte, was natürlich von Vorteil sein kann. Gewählt werden kann auch nur, wer sich aufstellt. Ideen, wie man zu einer repräsentativeren Auswahl kommen könnte, hört man aber kaum, weder aus Gewerkschaftskreisen noch aus dem Ministerium. „Dass wir linguistisch nicht repräsentativ sind, ist sehr schade“, beklagt Massen.
Eltern konnten, je nach Schule und Lehrpersonal unterschiedlich intensiv, auch vorher schon auf informelle Weise Stellung beziehen und mitdiskutieren, etwa zum Plan de développement scolaire (PDS), der schulische und pädagogische Ziele festlegt. In der Praxis hieß das oft, dass statt Mitgestaltung nur eine Abstimmung am Ende des Prozesses fällig wurde. Unterschrift gesetzt, fertig. Seit der Schulreform in 2009 gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Eltern systematischer und enger, der Mindestkontakt ist seitdem gesetzlich vorgeschrieben. Die neue Elternvertretung soll nun von Anfang an stärker in die bildungspolitischen Prozesse eingebunden werden. Doch ob diese Homogenisierung etwas Konkretes gebracht hat, ist eine andere Frage.
Auf lokalem Niveau, um Terrain also, hat sich bisher wenig verändert, sagt Joëlle Damé, Präsidentin der Lehrergewerkschaft SEW: „Mir benotze beim Schoulfest ëmmer nach dee selwechte Grill“. Und man müsse immer noch genauso kämpfen, um überhaupt Menschen zu finden, die sich engagieren wollen. Grund für die mangelnde Bereitschaft sind mitunter der Arbeitsaufwand bei bereits vollgestopften Zeitplänen, gekoppelt mit Sprachbarrieren. Dabei sei die Elternarbeit äußerst wichtig, man müsse die Eltern mit ins Boot nehmen, weil sie ihr Kind am besten kennen. Jene Eltern, die grenzüberschreitend agieren und über die Stränge schlagen, seien die Ausnahme. Dennoch ist das elterliche Loslassen in einer komplexer werdenden Welt mit scheinbar endlosen Bedrohungen und unzähligen Kontrollmöglichkeiten schwieriger geworden. Die Pandemie hat ihrerseits einen persönlicheren Kontakt zwischen dem Lehrpersonal und der Familie unerlässlich gemacht. Die Schulhofmauern sind poröser geworden. Den eigenen Kontrollwahn zu mäßigen sei ein „Lernprozess“, meint Joëlle Damé. Insgesamt habe sich über die letzten Jahre das Versteesdemech zwischen den Eltern und dem Lehrpersonal verbessert. Ob das mit der neuen Elternvertretung zu tun habe, sei dahingestellt. Inwiefern eine schulpolitische Auseinandersetzung auf Augenhöhe und in konkreten Fragen möglich sei, auch.
Im Februar 2023 werden die nationalen Vertreter/innen neu gewählt, an einem zusammenfassenden Tätigkeitsbericht wird derzeit geschrieben. Sichtbar ist bisher auf Facebook, wie sich mit den bildungspolitischen Organen, etwa dem Observatoire national de la qualité scolaire (ONQS) und der Uni.lu, durch Workshops vernetzt wurde. Lex Folscheid, Erster Regierungsrat im Bildungsministerium, sieht im Präsidenten Alain Massen einen „Glücksfall“, der sich „outre mesure“ engagiert habe. Eine gewisse Kontinuität sei wünschenswert, damit auf die geleistete Arbeit und Erfahrung aufgebaut werden könne und sie auf das nächste Level gehoben werden könne, sagt Folscheid. Da viele engagierte Eltern keine Zeit hätten, redaktionelle Arbeit zu leisten, also etwa schriftlich Stellung zu Themen zu beziehen, sei diese Form der Mitarbeit überarbeitet worden; der organisatorische Aufwand wurde ausgelagert. Die grundlegende Herausforderung, bildungsferne Familien in die Elternarbeit einzubeziehen, bestehe weiter. „Diese Lösungen müssen in den Schulen gefunden werden“, da sie in Luxemburg dermaßen heterogen seien, meint der Regierungsrat. Der allgemeine Rückgang an lokalem Engagement, etwa in Gemeinden und Vereinen, zeige sich eben auch an den Schulen.