Das Luxemburger Schulsystem habe „Resilienz bewiesen“, lobte Universitätsrektor Stéphan Pallage am Donnerstag vor zwei Wochen. Anlass war die Präsentation der Ergebnisse der Épreuves standardisées, das sind landesweite Lernstand-tests in den Hauptfächern in Grund- und Sekundarschule, die das Bildungsmonitoring-Institut Lucet jährlich durchführt. Sie sind überraschend stabil ausgefallen, so die freudige Botschaft. Soll heißen: Der coronabedingte Lockdown, (Präsenz-)Stundenausfall durch A/B-Gruppen und Homeschooling haben offenbar nicht zu gravierendem Leistungsabfall geführt, wie befürchtet. Entsprechend erfreut zeigte sich der Rektor, Antoine Fischbach, Leiter des Lucet, und erst recht Bildungsminister Claude Meisch (DP), der sich in der seiner Strategie, die Schulen so lange wie möglich offenzulassen, bestätigt sieht.
Nun ist das wirklich eine gute Nachricht, dass die Leistungen der Luxemburger Schüler/innen nicht in den Keller gerutscht sind. Von Resilienz des Schulsystems zu reden, ist aber gewagt. Ja, Lehrerinnen und Lehrer haben enormen Einsatz bis zur Erschöpfung gezeigt. Ihre Extrawege sind in der Umfrage an Eltern und Sekundarschüler/innen dokumentiert: Sie haben über Teams, über E-Mail, über Telefon und sogar über die Post Kontakt gehalten zu ihren Schüler/innen. Das verdient Respekt und alle Anerkennung, denn wer weiß, wie die Ergebnisse sonst ausgefallen wären?
Wer die Zahlen jedoch genauer anschaut, bemerkt schnell: Sozial benachteiligte Kinder, also jene, die ohnehin zu den Verlierer/innen im mehrsprachigen Bildungssystem zählen, sind durch die Pandemie noch einmal mehr abgesackt: Der klaffende Bildungsgraben öffnet sich weiter. So gesehen, meint Resilienz wohl Beharrungsvermögen: Die soziale Ungleichheit wirkt fort und wird durch die Krise noch verstärkt. Das Ergebnis ist nicht überraschend: Bildungsexpert/innen hatten es vorhergesehen. Luxemburg war in internationalen Vergleichen stets das EU-Land, dem es am wenigsten gelingt, durch öffentliche Schulbildung faire Chancen zum gesellschaftlichen Aufstieg für möglichst breite Bevölkerungsschichten zu gewährleisten.
Das ist nicht das einzige Manko des Schulsystems, das sich in der Krise deutlicher zeigt denn je: Im Deutsch-Leseverständnis haben alle Grundschüler/innen während der Pandemie an Leistungen eingebüßt – und auch hier sind die sozial Benachteiligten stärker betroffen. Das bedeutet aber mit aller Wahrscheinlichkeit auch: Wird diese Lücke nicht geschlossen, dürften es diese Kinder sein, die eh kaum Unterstützung von ihren Eltern zuhause erwarten können (die oft kein Deutsch oder Luxemburgisch sprechen), die in Zukunft riskieren, weiter abzurutschen. Denn Deutsch ist nicht nur die Alphabetisierungssprache und damit Grundstein für das Lesen- und Schreibenlernen. Es ist Unterrichtssprache, und wer da bereits am Anfang Defizite hat, auch das haben sämtliche Bildungsstudien ein ums andere Mal belegt – holt diesen Rückstand meist nicht wieder auf.
Und was ist Minister Meischs Antwort auf das beunruhigende Szenario? Die Summerschoul soll auch in diesem Jahr angeboten werden und der Appui verstärkt werden. Das ist lieb und nett und sollte sowieso selbstverständlich sein, aber ist kaum mehr, als im Sommer 2020 angeboten wurde. Und werden diese Angebote die Eltern bedürftiger Schüler/innen erreichen? Zumal wenn sie online bereitstehen? Es ist anzunehmen, dass diejenigen die Förderangebote nutzen werden, die sich bereits im komplizierten Schulsystem zurechtfinden.
Statt nun eine Förderoffensive zu starten, die den Namen verdient und Betroffenen eine realistische Chance bietet, Verlorenes aufzuholen, Kenntnisse auszubauen und zu festigen, mit motivierten Lehrkräften und modernsten Methoden (also nicht nur stures Wiederholen von Vokabelreihen), bleibt eine Offensive trotz historischer Pandemie aus. Es gibt keine Idee, kein erklärtes Ziel, nicht einmal ein echtes Innehalten, um die Herausforderungen anzugehen, die sich erst recht nach der Krise stellen werden, auch nicht, sich dazu mit Lehrern, Eltern (auch den nicht-luxemburgischen) zusammenzusetzen und zu beraten. Hier lässt sich der wahre Wert erkennen, den der Schulminister den Entwicklungschancen sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher in diesem Land beimisst.