Österreich

Oligarchennichtentraumabewältigungsunvermögen

d'Lëtzebuerger Land vom 23.08.2019

Man kann derzeit über Österreichs Innenpolitik gewaltige Wort-Ungetüme bauen, die jeden Scrabble-Spieler in Entzücken versetzen würden. Oligarchennichtentraumabewältigungsunvermögen ist so ein Wort. Opferstilisierungsexzess ein anderes. Schredderantennervosität ein Drittes. Das alles wäre recht lustig, wenn dahinter nicht Fakten stünden, die das Fundament des Staates angreifen. Denn genauer buchstabiert bedeuten die neuen Einträge in ein imaginäres Handbuch der österreichischen Polit-Satire demokratiepolitische Ungeheuerlichkeiten.

Oligarchennichtentraumabewältigungsunvermögen: Die Diagnose trifft Heinz-Christian Strache, den ehemaligen Vorsitzenden der Freiheitlichen Partei Österreichs und ebenso ehemaligen Vizekanzler der genauso ehemaligen Koalitionsregierung aus konservativer Volkspartei (ÖVP) und FPÖ. HC, wie er von Freunden und Anhängern genannt wird, laboriert seit der Veröffentlichung eines geheim gedrehten Videos auf Ibiza an der Aufarbeitung des Traumas, der vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen aufgesessen zu sein und in dem Gespräch großzügige Korruptionsangebote unterbreitet zu haben. Nach dem Sturz aus allen Funktionen fristet Strache ein nach-politisches Leben als

Tierschutzbeauftragtengatte: Das Familieneinkommen des 50-jährigen gelernten Zahntechnikers und Vaters eines acht Monate alten Babys ist gesichert, nachdem die Partei seine Frau Filippa, die bislang als Tierschutzbeauftragte fungierte, für die im Herbst anstehende Wahl im Bundesland Wien auf einen sicheren Listenplatz gesetzt hat.

Opferstilisierungsexzess: Betreibt Strache seitdem, etwa in einem ausführlichen Interview über Ibiza und die Folgen, das er einem russischen Sender gewährte. Darin macht er deutlich, dass aus seiner Sicht die tatsächlich kriminellen Vorgänge auf Seiten der Lockvögel und der Medien passieren und passierten. Auch in den Tagen vor der Veröffentlichung des Buches, das zwei der Aufdecker-Journalisten über den „Ibiza“-Skandal nun vorlegen, geht HC mit der gleichen Legende in die Offensive. Opfer ist Strache in seiner Sichtweise auch nach einer Hausdurchsuchung, die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft mittlerweile bei ihm und in seinem Umfeld durchgeführt hat (sieht Postenschacherdilettantismus).

Parteispaltungsangst: Geht innerhalb der FPÖ um, nachdem Strache seinen hartgesottenen Anhängern ständig neues Futter gibt und die neue, sich „sauber“ gebende freiheitliche Parteiführung um Norbert Hofer sich gezwungen sieht, im Wahlkampf vom diskreditierten Vorgänger abzurücken. Die Partei hat Strache mittlerweile sogar die Administratorenrechte für dessen Facebook-Konto entzogen, die mit 800 000 Followern zu den einflussreichsten Seiten im Polit-Netz zählt. Eine Spaltung, wie sie die Partei bereits unter Jörg Haider 2002 in Knittelfeld erlebte, die zur Trennung zwischen FPÖ und Haiders Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) führte, würde alle Ambitionen auf eine neuerliche Regierungsbeteiligung sofort zunichte machen. Nach 2002 war es Strache, der als Haider-Nachfolger die verbliebene FPÖ auf stramm rechtem Kurs, mit viel Rückhalt bei den konservativ bis deutschnationalen Burschenschaften und wenig Berührungsängsten etwa gegenüber den rechtsextremen Identitären.

Schredderantennervosität: Bezeichnet den Gemütszustand eines engen Vertrauten von Sebastian Kurz, der unter seiner Kanzlerschaft zur Schlüsselfigur in des Kanzlers Selbstdarstellung in Bild und Video wurde. Der Social-Media-Verantwortliche des Ex-Kanzlers tauchte bei einer Aktenvernichtungsfirma auf, ließ unter falschem Namen fünf Festplatten schreddern und verlangte, nach Aussagen der beteiligten Firmenmitarbeitern in höchst nervösem Zustand, dass die geschredderten Reste noch zweimal durch den Reißwolf gejagt wurden. Das Granulat nahm der Schredderant mit. Es stehen Vermutungen im Raum, dass Hinweise vernichtet werden sollten, dass Ex-Kanzler Kurz viel früher als von ihm behauptet über das Ibiza-Video informiert gewesen sein könnte.

Postenbesetzungsdilettantismus: Im Zuge der Hausdurchsuchung wurden Hinweise auf einen politischen Deal bekannt. Als Finanzvorstand der staatsnahem Casinos Austria AG sollte ein FPÖ-Vertrauensmann installiert werden. Im Gegenzug stand das Versprechen, das Verbot des Kleinen Glückspiels in Wien in einer kommenden Regierung zurückzunehmen. Dabei wurde allem Anschein nach das Gutachten des Personalberaters, das für den blauen Kandidaten vernichtend ausfiel, dem Vorstand vorenthalten.

Einen Monat vor den vorgezogenen Wahlen gibt die politische Landschaft Österreichs jedenfalls ein irritierendes Bild ab. Die konservative Volkspartei gibt sich alle Mühe, die Verfehlungen der Vorgängerregierung auf den gestürzten Koalitionspartner abzuwälzen. Man bemüht sich um Profil durch ostentative Abgrenzung gegenüber FPÖ-Hardlinern wie Ex-Innenminister Herbert Kickl und einer Forderung nach einem Verbot der rechtsextremen Idenitären, während Verfassungsexperten davon ausgehen, dass dieses aufgrund des Vereinsgesetzes nicht durchsetzbar sei. Der einstigen Kanzlerpartei ist die Message Control entglitten.

Indessen gelingt es den oppositionellen Sozialdemokraten nicht, Themen zu setzen und sich als Alternative zu Korruption und kaltem Neoliberalismus zu positionieren. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner agiert glücklos und schafft es nicht, ihre Reputation und Kompetenz als Fachministerin in der vorangegangenen Großen Koalition in ihre Funktion als Kanzlerkandidatin zu retten. Stark präsentieren sich die Neos und die Grünen, die die Gunst der Stunde nutzen und vor allem auf das Thema Klima-Verantwortung setzen.

Irmgard Rieger
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