Neuwahlen in Österreich

A b’soffene Gschicht

d'Lëtzebuerger Land vom 24.05.2019

Es war bloß „a b’soffene Gschicht“. Der abtretende Vizekanzler spielt den größten moralischen Skandal der österreichischen Politik seit Kurt Waldheim auf ein paar Gläser zu viel herunter. Die Ausrede „a b’soffene Gschicht“ geht in Österreich im familiären Kontext generell schon mal durch, wenn unter dem Einfluss einschlägiger Getränke ein kleinerer oder größerer privater Fehltritt passiert. Auf dieses Niveau versuchte Heinz-Christian Strache, langjähriger Chef der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und seit Ende 2017 Vizekanzler der Republik Österreich, den nunmehr geplatzten Skandal um ein heimlich auf Ibiza gedrehtes Video zu drücken.

Die Ingredienzen sind klassisch: Eine attraktive Frau als Lockvogel gibt sich als Nichte eines russischen Oligarchen aus. Der Rubel winkt. Zwei österreichische Politiker sind geladen. Man plaudert. Über die mögliche Übernahme der meinungsbildenden Kronenzeitung, über die Absicht, ein Mediensystem nach dem Modell Ungarn aufzubauen, über Privatisierung des Wassers, über Staatsaufträge, die einem unliebsamen österreichischen Großunternehmer entzogen und einer noch zu gründenden Baugesellschaft der Gastgeberin zuzuschanzen seien. Über ein mögliches monetäres Dankeschön ihrerseits über einen parteinahen „gemeinnützigen“ Verein. All das in zumindest legerer Kleidung und in einer lässig-vertraulichen Atmosphäre. Der Chef einer „Österreich zuerst“-Partei lässt verbal und ohne mit der Wimper zu zucken zigtausend Arbeitsplätze in den Osten wandern. Beschimpft Journalisten („die größten Huren“) und ihre Leserschaft, Politik und Wirtschaft des Landes, das er wenig später als Vizekanzler mitregieren wird. Ob und in welchem Ausmaß die Aussagen strafrechtlich relevant sind, ist noch nicht geprüft. Der moralische Schaden aber ist evident und hat eine beispiellose Regierungskrise herbeigeführt.

Kanzler Sebastian Kurz, der seiner Volkspartei ÖVP einen neuen Anstrich und seiner Regierung das Grundprinzip augenscheinlichen Einklangs verpasst hat, stand am Ende der Harmonie. Während er noch kurz zuvor die zunehmend nach rechts ausschlagenden Eskapaden des Koalitionspartners hinzunehmen schien, konnte er das inzwischen als Ibizagate viral gehende Video nutzen, um den Absprung aus der Koalition zu vollziehen. Ganz im Sinne der von ihm gepflegten Message Control nutze er auch diesen Moment, um sich als politischer Heilsbringer darzustellen. Und um den (selbst in seiner Anhängerschaft) zunehmend ungeliebten Innenminister Herbert Kickl aus dem Amt zu hebeln.

Die FPÖ indessen sammelte sich schnell in der bekannten-Strategie „Angriff ist die beste Verteidigung“. Strache selbst zeigte schon in seiner Rücktrittserklärung mit dem Finger auf die „wahrhaft Schuldigen“ – seine persönliche Privatsphäre und das Presserecht seien verletzt worden, alles illegal zustande gekommen, unter Ausnutzung... s.o. Am Tag nach seinem Rücktritt postete er auf Facebook „Jetzt erst recht“, und am Montag hob ihn die Kronenzeitung bereits wieder auf die Titelseite mit der Kampfansage „Ich werde meine Unschuld beweisen“.

Statt Unrechtsbewusstsein wachsen nun in der FPÖ Machterhaltungstrieb und Selbstbehauptungswille. Die Freiheitlichen unter den Ministern traten als Protest gegen Kickls Abberufung ebenfalls zurück, einzig die von der FPÖ in die Regierung geholte Außenministerin Ursula Kneissl bleibt im Amt. Der neue Parteichef Norbert Hofer macht in ersten Statements bereits die künftige Rollenverteilung klar: Er, Hofer, wird in der Nach-Strache-FPÖ mit staatstragendem Gebaren das freundliche, verbindliche Gesicht der Partei geben und damit jenen Teil der Sympathisanten hinter sich versammeln, der die politische und moralische Tragweite von Ibizagate als solche überhaupt wahrnimmt. Kickl und andere Scharfmacher hingegen pflegen die Kernanhängerschaft, die sich durch „a b’soffne Gschicht“ nicht irritieren lässt. Schließlich ist schon wieder Wahlkampf.

Präsident Alexander van der Bellen, dem immer wieder vorgeworfen wird, er führe sein Amt zu ruhig und unauffällig, hielt in den unübersichtlichen Tagen die Fäden in der Hand. Er hielt engen Kontakt zu Kanzler Kurz, der nach den Rücktritten rasch eine Expertenriege als Ergänzungstrupp für eine Übergangsregierung zusammenstellte. Deren Zusammensetzung lässt durchaus Zugeständnisse an die nicht regierenden Parlamentsparteien erahnen. Ein möglicher Versuch des Kanzlers, sich die Disziplin der Parlamentsparteien zu sichern. Denn die Opposition wittert nun eine Möglichkeit, Stärke zu zeigen, und will nicht die ausgerufene Neuwahl im Herbst abwarten: Für kommende Woche steht ein Misstrauensantrag gegen Kanzler Kurz im Raum.

Indessen liegt auch Tage nach der Publikation durch den Spiegel und die Süddeutsche Zeitung noch im Dunkeln, wo die Hinterleute des Skandals zu suchen sind und welche Motive sie hatten, Strache und seinen wichtigen Wegbegleiter Johann Gudenus, Vizebürgermeister und Chef der Wiener FPÖ, sich selbst entblößen zu lassen. Dass die Bombe kurz vor der Europawahl platzte, machte zumindest kurzfristig so manche Rechte in anderen europäischen Ländern nervös. Schließlich haben die österreichischen Freiheitlichen im Konzert der nationalistischen Kräfte Europas Gewicht, und eine Implosion in Österreich hätte durchaus überschwappen können. Die rasche Selbstfindung und die bewährte „Haltet-den-Dieb“-Strategie der Rechtspopulisten halten jedoch den Schaden augenscheinlich in Grenzen.

Irmgard Rieger
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