Von Arbeit gezeichnete Hände greifen in einem Acker nach dunkelbrauner Erde, die anschließend durch die Finger rinnt. Rund um die Felder und Wiesen wachsen Hecken und Kirschbäume, Walnuss- und Äpfelbäume. Es ist eine Szene aus dem Dokumentarfilm Vu Buedem, Bauzen a Biobaueren von Tom Alesch. Der Bauer mit der Erde in der Hand ist Jos Schanck, ein Demeter-Landwirt aus Hüpperdingen. Mit seinem Bruder Änder Schanck war er Pionier in der Direktvermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse.
Heute leitet Änder Schanck die Unternehmsgruppe Oikopolis, deren Supermarktkette Naturata einen Umsatz von über 40 Millio-
nen Euro im Jahr macht. Die Oikopolis-Stiftung trug neben dem Landwirtschaftsministerium finanziell zum Entstehen von Tom Aleschs Dokumentarfilm bei. Man sieht braun-weiß gefleckte Kühe, die gekrault werden und bei Sonnenuntergang durchs Gras laufen. Einen Marienkäfer, der über Trauben schleicht. Saftige Äpfel, die von einem Fließband in einen Container purzeln. Der Film ist eine Charme-Offensive.
Und wie häufig bei der Vereenegung Biolandwirtschaft ASBL, in welcher der Demeter-Verband eine zentrale Rolle spielt, sind die Adressaten des Films in erster Linie die Konsument/innen und die Zivilgesellschaft. Bei der Vorpremiere im Kinepolis Kirchberg waren unter anderem Energieminister Claude Turmes (Grüne), Bildungsminister Claude Meisch (DP) sowie die grüne Europa-Abgeordnete Tilly Metz anwesend. Vergangene Woche aber suchte man bereits gemeinsam mit der Zeitschrift Forum das Gespräch mit der breiteren Öffentlichkeit. Und im Utopia-Kino fand im Anschluss an eine Filmvorführung ein Rundtischgespräch mit unter anderem Gerber van Vliet, der im Landwirtschaftsministerium den Bio-Aktionsplan koordiniert, und Stéphanie Zimmer, der Direktorin des Biolandbau-Instituts Ibla, statt.
Die Vertreter der intensiven Landwirtschaft schlagen einen anderen Ton an. Bevor die Abgeordnetenkammer am 11. Oktober zusammentrat, um Premier Xavier Bettels Erklärung zur Lage der Nation zur hören, versammelten sich vor dem Kammergebäude rund 150 Protestierende. Auf ihren Plakaten standen Sprüche wie „Fanger wech vun der Liewe(n)smëttelsouverenitéit“. Zu der Kundgebung hatten die Bauernzentrale, der Fräie Lëtzebuerger Baureverband, die Baueren Allianz und die Lëtzebuerger Landjugend a Jongbaueren aufgerufen. Viele junge Männer waren gekommen. Manche trugen Kleider, die ihre Nähe zur Landwirtschaft auswiesen, wie einen schwarzen Kapuzenpulli mit der Aufschrift „Bauerenhaff an der Stad“ neben einem Luxlait-Logo. Vor allem die vier ADR-Abgeordneten mischten sich in die protestierende Masse; Fred Keup suchte gar nach dem besten Blickwinkel für eine Selfie-Session. Solidarisch zeigte sich auch die CSV-Fraktion, allen voran ihre countrywoman Martine Hansen. Später kamen DP-Abgeordnete und Minister hinzu; LSAP-Landwirtschaftsminister Claude Haagen und Premier Xavier Bettel tauchten erst nach dessen Rede auf.
Anlass des Protestes war der Entwurf für ein neues Agrargesetz. Es sieht unter anderem vor, in Luxemburg den Viehbestand zu deckeln. Betriebe, die ihren Bestand vergrößern wollen, brauchen dafür künftig eine Genehmigung, sofern für die Tierhaltung mehr als zwei theoretische Arbeitskräfte nötig sind. Keine Genehmigung erhält, wer mehr als fünf Arbeitskräfte benötigt (was Betrieben entspricht, die etwas mehr als 200 ausgewachsene Rinder halten). Begründet wird die Deckelung als Klimaschutzmaßnahme: Seit Jahren steigt in der Agrarproduktion hierzulande der Ausstoß von Treibhausgasen und von Ammoniak. Die politische Grundsatzentscheidung fiel nicht auf nationaler Ebene. Mit der Maßnahme will das Landwirtschaftsministerium einer EU-Richtlinie zur Emissions-Reduzierung nachkommen, die im Dezember 2016 verabschiedet wurde.
Weltweit verursacht die Landwirtschaft derzeit zwischen 20 und 35 Prozent aller Treibhausgase. Aus jeder ausgewachsenen Kuh entweichen täglich um die 300 Liter Methan. Hochgerechnet auf ein Jahr, entspricht das einer Gasmenge, mit der sich das Heim einer vierköpfigen Familie einen Wintermonat lang beheizen ließe. Wenn Äcker und Weiden übermäßig mit Stickstoff gedüngt werden, wird außerdem Lachgas frei, das für das Klima um ein Vielfaches schädlicher ist als Kohlendioxid. Weitere Probleme der intensiven Landwirtschaft sind die Belastung der Grundwasserreserven und die Erosion von Humusböden.
Dass Landwirtschaftsminister Claude Haagen sich ein Jahr vor den Wahlen Trubel mit dem Agrarsektor einhandelt, erscheint zunächst taktisch unklug. Behält man den demografischen Wandel im Blick, bleibt jedoch festzustellen, dass der Primärsektor und dessen Wähleranteil ohnehin nicht ins Gewicht fällt; das Großherzogtum zählt derzeit circa 1 700 Agrarbetriebe, vor vierzig Jahren waren es noch doppelt so viele. Das Durchschnittsalter der im Landbau Tätigen hat sich bei 54 Jahren eingependelt, mehr als ein Drittel von ihnen hat keinen Nachfolger, der den Betrieb übernähme. Sie standen nicht auf der Kundgebung mit Schildern, die „En Agrargesetz matt Perspektiven!“ verlangten – die Zukunft des Landbaus betrifft sie nicht mehr.
Gleiches gilt für die wirtschaftlichen Entwicklungen des Landbaus. Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandprodukt ist in den letzten Jahren unter 0,2 Prozent gefallen. Premier Xavier Bettel erläuterte über Milchkuh-Metaphern im „RTL-Background“ vom 15. Oktober, dass die Branche fiskalpolitisch zu vernachlässigen sei: „Sie wissen, dass mir die Landwirtschaft und die Industrie am Herzen liegen, aber wenn wir nur den Primärensektor hätten und der Dienstleistungsbereich eingehen würde, dann sind wir wieder ein armes Land.“ Die Banken seien eine Milchkuh, sie brächten dem Staat viele Steuern ein. Und ohne Banken- und Finanzplatz sei keine Milch mehr zum Verteilen vorhanden. Er sei deshalb gegen Steuererhöhungen, denn wer eine Kuh zu konsequent melke, der vertreibe sie. „Wir können weder von der Landwirtschaft noch von der Industrie leben, das ist ein Fakt“, legte Bettel nach.
Der Finanzplatz ist allerdings nicht nur wegen der Steuereinnahmen ein wirtschaftlicher Motor, sondern auch wegen seiner Wertschöpfung pro Beschäftigtem; die fällt zehn Mal höher aus als im Landbau, wie der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger berechnet hat. Darüber hinaus werfen Binswangers Berechnungen die Frage auf, für wen die Bauern protestieren, wenn sie Produktivitätssteigerungen einfordern. Denn mehr Rohstoffangebote (wie Milch) führen in praktisch allen Industrieländern nicht dazu, dass die Produzenten mehr verdienen, sondern zu einer Preissenkung. Allerdings zahlen die Konsument/innen nicht weniger, wenn die Primärproduktion steigt, sondern die Margen der Zwischenhändler wachsen. Für die vielen unterschiedlichen Bauern ist es kaum möglich, bei Luxlait höhere Preise einzufordern, denn Lebensmittelverarbeiter haben stets die größere Marktmacht. Deshalb geraten die Bauern in eine Tretmühle: Bei fallenden Preisen müssen sie immer mehr produzieren, um weiter bestehenden zu können. In diesem Zusammenhang bewertet Mathias Binswanger das Wettbewerbsfähigkeits-Argument der Bauernverbände als mögliche Falle. Zumal wenn es im Hinblick auf das globale Ausland vorgetragen wird – Bauern aus Industrieländern sind mit diesem nicht konkurrenzfähig.
Die Bio-Landwirte ihrerseits gehen derweil nicht gegen die Viehbestands-Begrenzung demonstrieren, da im hiesigen biologischen Landbau der Rinderanteil zumeist mit der eigenen Futteranbau-Kapazität korreliert. So pendelt sich eine umweltverträglichere Viehbesatzdichte von selbst ein. Auch die CSV-Fraktionspräsidentin Martine Hansen sprach sich Ende Oktober für eine derartige Regulierung aus: Sie wolle aus Nachhaltigkeit-Gründen, dass der Viehbestand nicht an Arbeitskräften gemessen wird, sondern am Rinderbestand pro Hektar, meinte sie im Wort. „Als mögliches Kriterium könnte unter anderem auch die sogenannte Futterautarkie herangezogen werden“, erklärte Hansen weiter. Bisher hatte sich die CSV-Politikerin nicht für Viehbegrenzungs-Maßnahmen ausgesprochen. Dass sie nun ausgerechnet eine flächengebundene Viehwirtschaft befürwortet, überrascht. Denn die Agrarwissenschaftlerin Stéphanie Zimmer von der Ibla erläuterte vergangene Woche beim Gespräch im Utopia: „Wenn wir die Viehwirtschaft so ausrichten, dann dürften wir nur noch ein Drittel der aktuellen Rinderzahl behalten.“
Während der Debatte im Utopia mit Vertreter/innen des Bio-Landbaus kamen aus dem Publikum unterstützende Wortmeldungen. Die Gäste sprachen sich für eine verstärkte Subventionierung des Bio-Landbaus aus sowie für die Deckelung der Milchproduktion. Weshalb der Bio-Verband den Austausch mit den Konsumenten sucht, erläuterte Änder Schanck bereits in den 1980-er Jahren in einem RTL-Beitrag, der in den Dokumentarfilm von Tom Alesch integriert wurde. Schanck sagte damals, der Kontakt zu den Käufern motiviere dazu, qualitativ hochwertige Produkte herzustellen. Über die Direktvermarktung entstehe der Kontakt zwangsläufig; zudem habe sie den Vorteil, dass der Landwirt die Wertschöpfungskette mitgestalten könne.
Womöglich suchte der Bio-Landbau die Allianz mit den Verbraucher/innen aber auch, weil er bis in die 2000-er Jahre politisch fast gänzlich isoliert war. Mathias Berns war von 1944 bis 1992 Generalsekretär der Bauernzentrale und hatte in der Hochphase der industriellen Landwirtschaft ein Imperium aufgebaut, das es ihm erlaubte, das Landwirtschaftsministerium vor sich herzutreiben. Nun haben in den sozialen Medien die Bio-Verbände mit ihrer langjährigen Kundenzentriertheit die etablierten Verbände überholt: Auf Facebook fällt der Zuspruch für sie doppelt so hoch aus wie für die Bauernzentrale. Auf Instagram punkten der Bio-Verband und Naturata mit Fotos von behornten Rindern auf saftig grünen Wiesen und #healthylunchfotos. Die Bauernzentrale hat auf dieser Plattform noch nicht Fuß gefasst.
Die Hälfte der in Tom Aleschs Film Porträtierten sind Demeter-Landwirte. Was es mit der anthroposophischen Weltanschauung auf sich hat, auf der Demeter beruht, wird im Film nur gestreift, aber nicht erklärt. In der anschließenden Diskussion blieben diesbezügliche Fragen ebenfalls außen vor. Dabei kam es genau vor einem Jahr zu einer Debatte über Impfverweigerer aus dem anthro-
posophischen Milieu, während der Änder Schanck entschied, im Lëtzebuerger Land zum Impfstatus seiner Mitarbeiter/innen Stellung zu beziehen. In der Zivilgesellschaft scheint dieser Zweig der Anthroposophie heute rehabilitiert zu sein.
Wer derzeit über Land fährt, sieht noch immer grüne Kreuze mit kopfüberhängendem rotem Stiefel in Wiesen stehen. Die sonderbare Symbolik wurde am 16. September erläutert, einen Tag, nachdem verschiedene Landbau-Jugendsektionen über Nacht nahezu 400 gestiefelte Kreuze aufgestellt hatten: Sie verweist auf das Bauernsterben, erklärte der Vorsitzende der Jungbauern, Luc Emering, während einer Pressekonferenz. Die Politik von Minister Haagen nehme die Existenzängste des Berufstands nicht ernst, so einer der Vorwürfe. Falls sich daran nichts ändere, „dann muss damit gerechnet werden, dass der Sektor sich zeitnah wehren wird“. Und zwar auf eine Art, dass niemand den Minister um seinen Posten beneiden wird, drohte der Jungbauern-Präsident.
Eine Woche später saß Emering, der auch DP-Gemeinderatsmitglied in Dippach ist, LSAP-Landwirtschaftsminister Claude Haagen im „RTL-Background“ gegenüber. Er beklagte die Viehbestands-Begrenzung: „Grad mëttelgrouss Betriber wëssen elo net, a wéi eng Richtung se sech kënnen weiderentwéckelen.“ Minister Haagen erwiderte: „Ech verhënneren net de Betribswuesstem, mee dee vum Véibestand.“ Dass das Betriebswachstum nicht an der Nutztierhaltung gemessen werden muss, weiß der Biobauer Emering eigentlich, der sich mehrere wirtschaftliche Puffer aufgebaut hat: Er verarbeitet seinen Weizen zu Nudeln, die er selber vermarktet, wie auch Hähnchenfleisch und Feldgemüse. In einem vorherigen „Background“-Gespräch hatte er von Claude Haagen noch verlangt, sich verstärkt für die Agri-Photovoltaik einzusetzen – die gleichzeitige Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Strom- und die Nahrungsmittelerzeugung. Im Herbst nun verleitet ihn seine Sprecherposition als Vorsitzender der Jungbauern und vielleicht ein bisschen Wahlkampflaune dazu, in den Klagechor über die Viehbestandsreduzierung einzustimmen.
Das Observatorium für Klimapolitik, dessen Präsident Andrew Ferrone auch Mitglied des Weltklimarats IPCC ist, hat dieses Jahr einen ersten Bericht vorgelegt und festgestellt: „Maßnahmen zur Reduzierung des Viehbestands in Luxemburg würden die Methan-emissionen verringern.“ Weiter schreibt das Observatorium: „Ein verminderter Einsatz von Düngemitteln würde die Lachgasemissio-
nen senken.“ Außerdem müssten pflanzliche Ernährungsangebote ausgebaut werden, um die Nachfrage nach Fleisch zu verringern, dessen hoher Konsum ohnehin gesundheitliche Nachteile habe.
Einig sind sich jedoch alle Verbände und Beobachter/innen, dass der Druck auf die einzelnen Betriebe hoch ist. „Ein Betriebsleiter investiert im Verhältnis zu seinen Einnahmen sehr viel Geld. Mit diesen Investitionen trifft er Entscheidungen für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre. Es ist nicht möglich, sich von einem Tag auf den anderen neu auszurichten“, führte Gerber van Vliet im Anschluss an die Filmvorführung vergangene Woche aus. Christian Wester, Präsident der Bauernzentrale, beklagte sich während der Kundgebung vor dem Parlament gegenüber dem Wort: „Von 1984 bis 2015 hatten wir Milchquoten, dann wurde uns gesagt, wir sollen so viel produzieren, wie wir können. No limit. Und jetzt sagt man uns, dass wir reduzieren müssen? Ist Ihnen klar, wie teuer unsere Investitionen sind?“
Was tun? Vielleicht die Debatte noch konsequenter von Marktargumenten hin zu anderen Vorzügen der Landwirtschaft verschieben wie der Ernährungssicherheit und der Umwelt-Pflege. Das hieße natürlich: Subventionieren, subventionieren, subventionieren. Und folglich auch am Unternehmerstolz der Landwirte kratzen. Doch dieses Kratzen vollzieht sich ohnehin bereits: Die Einnahmen der Betriebe bestehen häufig zu einem Drittel aus Subventionen.