Gleich nach der Eröffnungsrede am Freitagnachmittag krachten politische Spannungen durch die Haupthalle der Deichwiesen. Auf einer Bühne empfing der RTL-Gute-Laune-Moderator Camille Ney den aufbrausenden Limousin-Züchter Guy Majerus, der ins Mikrofon klagte: „Mir ginn eis 365 Deeg am Jaar gutt drun. A wa mir dann aus der Politik héieren, eest kee Fleesch méi, da musse mir rose ginn. Wann ee ging soen, eest kee Fleesch méi, fir dat Bësch ofgeholzt gouf, d’accord!“ In Luxemburg gäbe es jedoch Mutterkuh-Halter, die ihre Futtermittel selber herstellen, so Majerus. Die anwesenden Politiker hörten kaum zu, sie waren mit Lachs-Schnittchen, Crémant und Plaudern beschäftigt; ohnehin war der Sound schlecht, denn es wuselten Blasinstrument-Musikanten durch die Halle. Trotzdem warf Guy Majerus der Polit-Prominenz noch hinterher: „Ech sinn och mat deenen rosen, déi elo grinsen“.
Für die Politiker/innen war die Agrar-Messe am Freitag ein willkommenes Spielfeld, um in Wahlkampfstimmung zu verfallen. Den Anschluss an ein Agrarpublikum suchte und fand vor allem CSV-Politikerin Martine Hansen, die auf ihr bekannte Herren mit karierten Hemden zuging, sich neben Ardenner-Pferden ablichten ließ sowie mit Gartenbau-Vereinsmitgliedern hinter einer Schubkarre voll Kartoffeln. CSV-Parteipräsident Claude Wiseler schlich den resoluten Schritten der ehemaligen LTA-Direktorin Hansen hinterher und versuchte sich mit der Foire Agricole vertraut zu machen. Unter die Lobbyverbände der Bio-Landwirtschaft mischte sich der grüne Abgeordnete François Benoy. Landwirtschaftsminister Claude Haagen (LSAP) und Energieminister Claude Turmes (déi gréng) weihten eine Socom-Photovoltaik-Anlage der Lëtzebuerger Mëllechbaueren ein; sie soll den Betrieben dazu verhelfen, energieautonomer zu werden. Beim offiziellen Einweihungsfoto drängte sich der CSV-Politiker Ali Kaes rechts ins Bild, im nördlichen Wahlbezirk darf er es nicht verpassen, aufzufallen. Dem eher diskreten DP-Politiker André Bauler wurde der Trubel kurzweilig zu viel; er verzog sich ins Zelt der Kleintierzüchter und las auf seinem Smartphone Nachrichten neben Kaninchen und Wachteln. An den Ausschankständen, die von Lokalvereinen zusammengebastelt wurden, zog der Erpeldinger Bürgermeister Claude Gleis vorbei; an den Tresen und Bierbänken versammelten sich potenzielle Wähler der Gemeindewahlen im Juni.
Als es gegen 18:30 Uhr ernst wurde, und der Schweizer Agrarforscher Urs Niggli begann über Ernährungssicherheit für die kommenden Dekaden zu sprechen, nahm Agrarminister Claude Haagen Platz. Für Forschung fehlte den Parlamentariern allerdings die Geduld, Zeit oder das Interesse. Eruiert wurde die Frage, wie im Jahr 2050 die zehn Milliarden Erdbewohner ernährt werden können. Das wird nicht einfach, stellte Niggli zu Beginn klar: Einem ohnehin kippenden Ökosystem müssten weitere 500 Millionen Hektar zur Lebensmittelproduktion abgerungen werden. Zudem streifte er in der Einleitung den Fleischkonsum, der zuvor bereits für Wirbel gesorgt hatte: Er nimmt global betrachtet rasant zu – allein in Asien hat er sich in den letzten 60 Jahren verfünfzehnfacht – die Futterproduktion kralle sich stets mehr Landbaufläche, erklärte der Schweizer Agrarforscher; die Zahlen deuten nicht auf eine nennenswerte Zunahme von fleischlosen Mittagstischen hin. Berechnungen würden allerdings zeigen, dass eine nachhaltige Landwirtschaft nur mit einem halbierten Schweine- und Geflügelkonsum realistisch sei.
Damit in 30 Jahren der Futtertrog der Menschheit noch gefüllt werden kann, bestehen unterschiedliche Lösungen. Laut Urs Niggli sollen erodierte Böden durch Humus-Aufbau regeneriert werden, indem auf Mischkulturen sowie Fruchtfolgen geachtet wird. Daneben müssten proteinhaltige Bohnen, Linsen und Lupinen aufgewertet werden – „darauf sollten sich auch die Spitzenköche einstellen“, meinte Niggli. Die digitalisierte Datenaufbereitung könne die Pflanzenzucht unterstützen sowie die Nützlichkeit teurer Betriebsmittel erfassen. Vermehrt sollten Getreide-Nebenprodukte als Futtermittel verwertet werden, und Algen könnten zu Lebensmitteln umgewandelt werden. Und ganz wichtig: Die Lebensmittelverschwendung müsste um 50 Prozent gedrückt werden.
Einem grauhaarigen Mann aus dem Publikum gingen Nigglis Ansätze nicht weit genug und er warf während der Fragerunde einen gewagten Vorschlag in die Runde: „Das klingt vielleicht ein bisschen absurd. Aber könnte die Forschung nicht einen Weg finden, damit die Spezies Mensch Gras verdauen könnte?“. So könnten Grünland-Standorte wie Luxemburg effizient genutzt werden. Niggli meinte daraufhin, ob es hierzu komme, das überlasse er unserer Fantasie, aber dem Menschen einen Pansen anzuzüchten, scheine ihm schwierig. Luc Emering, DP-Gemeinderatsmitglied in Dippach, Biobauer und Präsident der Landjugend a Jongbauren wollte seinerseits wissen, wie man denn Landwirte von einer diversifizierten Landwirtschaft überzeugen könne, wenn die Buchhaltung verrate, dass sich die intensive Milchwirtschaft lohnt? „Das wird sich ändern“ meint Niggli, – „wenn die Preise für Kraftfutter steigen“. Er gebe Emering jedoch recht: „Die Wirtschaftlichkeit bestimmt stark das Handeln. Die Politik kann aber die richtigen Rahmenbedingungen schaffen“.
Nach dem Vortrag stieg Minister Claude Haagen auf die Vortragsbühne und meinte: „Wann ech elo soen, ech géif daat elo emsetzen, ech mengen, da géift der alleguerten ufänke mat laachen“. Der LSAP-Politiker baute wahrscheinlich darauf, dass sein Publikum die Mucken und Forderungen der Bauernzentrale kennt. Aktuell agitiert sie gegen das Vorhaben seines Ministeriums, Beihilfen verstärkt an Nachhaltigkeits-Kriterien zu binden. Zudem existiert eine rigide Pfadabhängigkeit, in die die Agrarinstitutionen im letzten Jahrhundert hineingewachsen sind, nicht zuletzt, weil die europäische Agrarpolitik im 20. Jahrhundert auf eine konsequente Industrialisierung der Produktion setzte, – Subventionen bekam wer seinen Stall vergrößerte und mehr Land pachtete, da blieb keine Zeit für Experimente mit Mischkulturen und Direktvermarktung.
Wer die Institutionen kennenlernen wollte, die mit dieser Entwicklung verwoben sind, konnte durch die Eingangsallee der Messe schlendern. Hier informierte die Bauernzentrale über ihr neues Logo: ein nichts-sagendes aus Kreisen geformtes Rohr wurde durch eine Pflanzengrafik ersetzt. Die CSV-nahe Berufsorganisation zählt die meisten Mitglieder und bringt die Wochenzeitung De Lëtzebuerger Bauer raus, die laut ILRES über 10 000 Leser/innen zählt. Nicht weit entfernt hatte die „Bauerenbank“ Raiffeisen ihren Stand. Nach einer Hungersnot gründete Friedrich Wilhelm Raiffeisen 1847 den „Verein für Selbstbeschaffung von Brod und Früchten“, der sich an die ländliche Bevölkerung adressierte. Der heutige Agrar-Player, der in Luxemburg 640 Mitarbeiter zählt, war damals eine rudimentär organisierte Genossenschaft zur Absicherung der Grundbedürfnisse. In Luxemburg ist die Raiffeisenbank Gesellschafter von der 1909 etablierten Genossenschaft „De Verband“, die derzeit nahezu das hiesige Monopol auf den Ein- und Verkauf von Futtermischungen und Getreide besitzt. Auf der gegenüberliegenden Seite warb die Luxlait für ihre Kekse, Buttermilch und Eissorten. Die 1894 gegründete Molkerei listet in ihrem letzten Jahresbericht 310 Mitarbeiter auf sowie einen Umsatz von 109 Millionen Euro und einen Gewinn von knapp 4 Millionen. Damit liegt der Umsatz von Luxlait über dem von Panelux. Die Femal – eine Dachorganisation, die die Interessen der Landmaschinenhändler und -Mechaniker verteidigt – nahm prominent in der Mitte des Geländes Raum ein; hier standen Traktoren mit Reifen, die einen Kopf größer sind als ein Durchschnittserwachsener, neben blauen und roten Rasenmähern.
Dennoch ist die Foire Agricole keine Fachmesse, sondern ein „Event für Konsumenten und Familien“, wie De Lëtzebuerger Bauer schrieb. Vor allem die Mittelschicht mit Platz im Garten konnte fündig werden: Die neuesten Grillkamine und Gartensaunen wurden auf den Deichwiesen ausgestellt. Zum Fünf-Gitter-Grill braucht es das passende Fleisch: Das konnten Hungrige bei der Delikatessen-Metzgerei Niessen bestellen; und über Riesling und Rivaner erfuhr man an mindestens fünf Ständen. Um Aufmerksamkeit für die lokale Gemüse-Produktion zu gewinnen, stellte der „Haff Muller-Lemmer“ eine Kiste Kopf-Salate hin. Allerdings wirkte diese mickrig neben den stolzen Winzern, die ihre aufwendig designten Flaschen präsentierten. Zumindest wird so eine Tatsache des hiesigen Landbaus veranschaulicht: Für die über 70 000 Hektoliter Wein – das entspricht nahezu drei olympischen Schwimmbädern –, die an der Mosel jährlich entstehen, werden 11 000 Tonnen Trauben geerntet. Die Salat-Ernte kommt nur auf 735 Tonnen. Sogar der Kartoffelanbau verbucht nicht mal ein Prozent der landwirtschaftlichen Fläche für sich. Aber immerhin wird vermehrt Freilandgemüse angebaut; die Weißkohl-Produktion hat sich in der letzten Dekade gar verzehnfacht. Neben der konventionnellen Landwirtschaft hielten ebenfalls die Umweltorganisationen die Messebesucher mit Infomaterial über den Grünspecht, den Borkenkäfer und den Uhu munter. Avantgarde war der „Fësch-Haff“: Das Start-up setzt auf das Aquaponik-Verfahren, bei dem die Aufzucht von Wassertieren an die Gemüse-Kultivierung gekoppelt wird und über Fischausscheidungen der Stickstoffdünger gewonnen wird.
Würde sich die Messe nur an Landwirt/innen richten, wären letztes Wochenende nicht 45 000 Menschen in Ettelbrück eingefallen. Erhebungen über Landbautätige sprachen 2019 von 1 285 vollzeitbeschäftigten Männern und 422 Frauen; vor mehr als 30 Jahren waren es mehr als doppelt so viele Männer aber etwa gleich viele Frauen. Sie wirtschaften auf knapp 2 000 unterschiedlichen landwirtschaftlichen Betrieben, allein ein Viertel hiervon liegt zusammengenommen im Kanton Clervaux und Redingen. Mehr als ein Viertel der Betriebe ist auf die Milchkuh-Haltung ausgerichtet, dicht gefolgt von Betrieben, die sich auf Mast-Rinder spezialisiert haben.
Vergangenen Monat wollten die DP-Abgeordneten Gilles Baum und Gusty Graas in einer parlamentarischen Anfrage erfahren, ob sich die Milchproduktion noch lohne. Der Landwirtschaftsminister antwortete diese Woche, über die Hälfte der unverarbeiteten Kuhmilch werde exportiert und der Preis von konventioneller Milch liege dabei auf einem Rekordhoch von 0,49 Euro/Liter. Ob das reicht, um die gestiegenen Kosten zu decken, würde sich aber erst am Ende des Geschäftsjahres zeigen. Derzeit ist Bio-Milch ähnlich teuer; womöglich drücken die Ausgaben für synthetischen Dünger und Kraftfutter die Milchpreise auf konventionellen Höfen in die Höhe.
In einem RTL-Background Anfang April erwähnte der Bauernzentrale-Präsident Christian Vester, die Kosten für die Stickstoff-Düngemittel hätten sich vervierfacht und der Bio-Bauer Luc Emering ergänzte, die Heizöl-Preise seien ebenfalls gestiegen. „Mee wann een eng Kreeslaafwirtschaft opgebaut huet, an sou mann wéi méiglech Fudder importéiert, dann ass ee scho manner betraff“, analysierte das DP-Gemeinderatmitglied. Zu Beginn der Pandemie hätte die Direktvermarktung einen Aufschwung erlebt, doch „déi aal Gewuneschten si rem do“, meinte Vester, – der Konsument sei den lokalen Produzenten nicht treu geblieben. Gegen hohe Öl- und Gaspreise könne Luxemburg nicht viel ausrichten, „awer fotovoltaik Anlagen op de Ställ, de Geméisubau vereinfache – do kënne mer eppes maachen“, nennt Emering als Optionen. Und Landwirtschaftsminister Claude Haagen zeigte sich im Background etwas handlungswilliger als auf der Foire Agricole: „Eng Diversifikatioun vun de Produite muss méiglech sinn – dat gesi mer elo am Krich.“