Luxemburgensia

Petinger Triptychon

d'Lëtzebuerger Land vom 02.08.2019

Die Geschichte dreier ungleicher Brüder erzählt Claudine Muno in ihrem neuen Roman Sou wéi et net war. Simon, Louis und Olli „Panda“ Hoffmann entstammen dem Petinger Kleinbürgertum, dem sie, trotz wiederholter Fluchtversuche, nie ganz entkommen. Die Erzählerin verfolgt ihre Lebensläufe von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter und verzeichnet Rückschläge, Enttäuschungen und kleine Erfolge. Der Beginn des dreiteiligen Textes spielt sich größtenteils im Elternhaus der Familie Hoffmann ab. Geschickt nutzt der Roman unterschiedliche Perspektiven, um die Figuren sich gegenseitig charakterisieren zu lassen.

Allen voran dient dazu der mittlere Bruder, der unscheinbare und etwas blasse Louis, der in vielerlei Hinsicht zwischen dem jüngeren, durchtriebenen Panda und dem älteren, streberhaften Simon steht. Louis’ Beobachtungen erwecken den Eindruck, dass die Kinder sich mehr schlecht als recht selbst erziehen, während Mutter Olga alle möglichen Gelegenheitsjobs übernimmt, nachdem der Vater sich nur gelegentlich blicken lässt. In dem tristen Milieu, das Muno mit der üblichen sprachlichen Bissigkeit schildert, besteht Vaterschaft aber vielleicht auch lediglich darin, „e Som an d’Äerd ze planzen an en dann a regelméissegen Ofstänn mat engem iwwerfällege Machtwuert ze nëtzen“.

Die elterliche Nichteinmischungspolitik müsste spätestens enden, als Panda, obwohl er „onzer-
stéierbar, wéi Tupperware“ wirkt, beim Spielen mit Feuerwerkskörpern sich selbst und einen Mitschüler schwer verletzt. Hilfe kommt allerdings letztlich von Simon. Der Vater von dessen Nachhilfeschüler Robert ist nämlich Anwalt. Was die Eltern nicht mitbekommen, die Brüder aber sehr wohl, ist, dass Simon zusammen mit Robert auch seine eigene (Homo-)Sexualität entdeckt. Er möchte sich von der Familie losreißen, in Straßburg studieren und Ingenieur werden, aber dann kommt alles anders. Der frühe Krebstod des Vaters zwingt Simon, berufliche Ambitionen und privates Glück hintanzustellen und sich um die Brüder zu kümmern.

Im zweiten, längsten und besten Teil von Sou wéi et net war lebt Simon in einer Scheinehe mit einer alten Schulfreundin, Louis’ Flamme Nina, und müht sich als Ersatzlehrer in einer katholischen Mädchenschule ab. Es bringe nur Unglück, heißt es an einer Stelle, den einmal eingeschlagenen Lebensweg an der Freiheit zu messen, die man mit Achtzehn noch hatte. Simon solle „probéie-
ren, dynamesch ze wierken a wéi wann hien d’Liewen nach virun sech hätt“, so seine Ehefrau. Hier mutiert Claudine Munos Roman zur bitterbösen, quasi-naturalistischen Milieustudie, zur Anklage kleinbürgerlicher Mittelmäßigkeit und zur Klage über die Macht der sozialen Herkunft. Vom vollends naturalistischen Experiment trennt den Roman weiterhin Munos Spiel mit Perspektiven, das beständige Wissen, dass man in den Köpfen der Figuren feststeckt und die Dinge nie „sou wéi et war“ erfährt.

Mit einer Mischung aus Feingefühl und Ironie berichtet die Erzählerin, wie Simon mit seinen Schülerinnen Häusermodelle baut und gegen den Starrsinn der Schwestern ankämpft. Sehr schön wird auch die Beziehung zu einem älteren Lehrer gehandhabt, der sich vom besserwisserischen Nörgler in Simons Fast-Liebhaber verwandelt, als Simon ihn nach einem Herzanfall zu pflegen beginnt. Wirkliches Lebens- und Liebesglück – „kleng an haart wéi eng Jick, sou präzis definéiert, dass hie seng Hand kéint ausstrecken, fir dono ze gräifen“ – findet der Held aber dann doch erst fernab der Heimat.

Nachdem der Mittelteil fast ausschließlich Simons Werdegang porträtiert und seine Sicht der Dinge wiedergibt, vereint der letzte Teil dann wieder alle drei Brüder zu einem Gruppenbild im Elternhaus. Panda hat es als Radiomoderator inzwischen zu Luxemburger B-Prominenz geschafft, Louis ist Frisör geworden und immer noch unglücklich in Simons Ex-Frau Nina verliebt. Den drei Hoffmanns bleibt am Ende vor allem die Bilanz ihrer Enttäuschungen – „a Couchen eng iwwert déi aner geluecht huet an déck an onduerchdrénglech wéi Houf“ – sowie die Einsicht, dass sie mehr vom Vater geerbt haben, als ihnen recht ist.

Munos Roman wirft einen düsteren, wenn nicht gar fatalistischen Blick auf die Planbarkeit des Lebens, auf den schnell schrumpfenden eigenen Handlungsraum und die verhängnisvolle Verstrickung ins soziale Umfeld. „Hie gëtt dat, wat e gëtt, an dat, wat hie gëtt, dat ass en dann“, lautet ein frühes Fazit der Mutter mit Bezug auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Söhne. Sou wéi et net war ist sicherlich nicht von bahnbrechender Originalität, kann dank seiner einfühlsamen Figurenzeichnung, seiner klaren Konstruktion und den immer wieder überraschenden Sprachbildern aber durchweg überzeugen.

Claudine Muno: Sou wéi et net war. Roman. Op der Lay, Ehlerange 2019; ISBN 978-2-87967-237-3; 204 S., 16,90 Euro

Jeff Thoss
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