Die feministische Künstlerin Deborah de Robertis dreht seit einem Jahrzehnt den männlichen Blick um. Ein Porträt

Anklage

d'Lëtzebuerger Land vom 21.06.2024

Im Limpertsberger Siegfried herrscht an diesem Morgen reges Treiben, die Kaffeemaschine surrt, die Musik ist laut. Hinten an einem Tisch am Fenster sitzt Deborah de Robertis, weißes T-Shirt, stahlblaue Augen mit Katzen-Eyeliner, gestreifter Rock. Am Hals trägt sie eine Kette samt „Evil eye“, ein Symbol, das vor bösen Blicken und unheilvollen Energien schützen soll. De Robertis versteht sich als Performance-Künstlerin und wurde vor zehn Jahren mit einer Aktion im Musée d’Orsay bekannt, als sie ihre Oberschenkel vor Gustave Courbets L’Origine du Monde (1866) spreizte und ihre Vulva entblößte. Dadurch kehrte sie den male gaze um, eignete sich also den männlichen Blick, der von dem Kanon-Kunstwerk ausgeht, an – und blickte zurück. Bravo, was für ein Mut, schrieben die einen. Was für ein Klamauk, reiner Exhibitionismus, schrieben die anderen.

Die 40-Jährige wuchs in den 90-er Jahren im gediegenen Limpertsberg als Tochter einer französischen Mutter und eines italienischen Vaters auf. Sie hat eine Zwillingsschwester. Über ihre Familie spricht sie ungern. Als Kind und Jugendliche habe sie vor allem mit anderen Luxemburgern mit Migrationshintergrund abgehangen, erzählt Deborah de Robertis. Sie sei damals in die Schublade „Tussi“ gesteckt worden, eine Bezeichnung, die sie als Mischung aus Sexismus und Rassismus versteht. Sie erinnert sich an ein Schlüsselerlebnis mit 16 Jahren: Ihre Noten waren nicht gut, die Pubertät in vollem Gange. Sie saß im Klassensaal, habe sich umgeschaut und gewusst, dass sie weg will. Dass sie etwas Eigenes erschaffen will, dass sie auf der Welt sei, um kreativ zu sein. Sie beschließt nach Arlon zu gehen, um dort die Sekundarschule mit einem Fokus auf Kunst abzuschließen. Als sie ihre Berufung findet, verbessern sich ihre Noten schlagartig. Es folgt ein Studium an der renommierten École de recherche graphique (ERG) in Brüssel. Sie sei die erste Generation in ihrer Familie, die studiert, sagt sie. Heute pendelt sie zwischen Paris und Brüssel. Im Ausland wird sich mehr mit ihrer Arbeit auseinandergesetzt als hier – nicht bloß, weil es dort eine Vielzahl an Universitäten und Möglichkeiten der Forschung gibt, sondern auch, weil sie dort wesentlich aktiver ist. Ihre Auftritte, sagt sie, würden monatelange Recherche- und Reflexionsarbeit voraussetzen; sie arbeite dauernd.

In den letzten zehn Jahren trat sie mehrmals in Museen wie dem Louvre und dem Musée d’Orsay in Erscheinung: etwa nackt vor Manets Olympia oder vor der Mona Lisa. 2019 setzte sie sich im Brüsseler Europaparlament als nackte Göttin Europa in Szene, mit einem Ball voller Schweineblut, blau bemalt mit fünf gelb gefärbten Performerinnen um sie herum. Während der Proteste um die Gilets jaunes ließ sie die französische Marianne symbolisch auf den Champs-Elysées aufleben, auch das in Zusammenarbeit mit anderen Frauen.Vor drei Jahren setzte sie sich im Rahmen einer antikolonialistischen Aktion mit dem Titel Le viol du pouvoir mit fünf Performerinnen auf der Pariser Place de Vauban auf den Sockel von Joseph Gallieni, einem französischen Kolonialherren. Auch hier hatte sie sich einen synthetischen schwangeren Bauch angeheftet; sie schnitt ihn auf, Blut floss über den Sockel. Bei einer Reihe ihrer Aktionen trägt sie eine Go-Pro-Kamera, die das Geschehen um sie aus ihrer Sicht aufnimmt; etwa wenn die Polizei einschreitet. Denn eines ihrer zentralen Anliegen sei die Umdeutung der Frau als Subjekt statt als passives Objekt, im Gegensatz zum Großteil der Kunstgeschichte. Neben der Abwesenheit von Künstlerinnen in der Szene gehe es ihr auch darum, die Kunstwelt als ein von Männern dominiertes, ausbeuterisches System zu entlarven, das Frauen bewusst benutzt, benachteiligt und marginalisiert, erklärt sie im Gespräch. Die Kritik der Institutionen ist ebenso zentral. Da sie nicht ausstellt, lebt sie vor allem durch die sozialen und traditionellen Medien. Durch ihre Aktionen, in denen ihr nackter Körper wiederholt die Hauptrolle spielt, gerät sie häufig und wenig überraschend mit dem Gesetz in Konflikt.

So auch bei ihrer letzten Aktion, die knapp über einen Monat zurückliegt. Anfang Mai taggte sie im Centre Pompidou in Metz mit zwei Performerinnen Courbets Werk L’Origine du Monde (durch eine Glasscheibe geschützt), ihr eigenes Bild Miroir du Monde, das während der Performance im Musée d’Orsay entstand, ebenso wie andere Reinterpretationen von Courbets Werk mit den Worten „Me Too“. (De Robertis erläutert, es habe sich um wasserlöslichen Marker gehandelt; das Musée d’Orsay schreibt, es könne unwideruflichen Schaden am Rahmen des Gemäldes nicht ausschließen.) Weitere Werke von Rosmarie Trockel und Louise Bourgeois wurden getaggt, ebenso wie Aktionshose: Genitalpanik der österreichischen Künstlerin Valie Export, eine Fotografie aus dem Jahr 1968, auf dem die Künstlerin mit einem Gewehr auf einem Stuhl sitzt, ihre Vulva sichtbar. Die Werke waren im Rahmen einer Ausstellung zu Lacan und der Psychoanalyse zu sehen. Im Zuge der gleichen Performance entwendete De Robertis auch die Häkelei Je pense donc je suce (1991) der Künstlerin Annette Messager.

Dabei ist die Vorgeschichte entscheidend. Zu Beginn hatten der Kurator der Ausstellung, Bernard Marcadé, und seine Frau und Ko-Kuratorin Marie-Laure Bernadac nicht geplant, Deborah de Robertis’ Werk auszustellen. Für Letztere war dies eine bewusste Entscheidung des Kurators. Nach einigem Hin und Her mit dem Museum und etwas, was Deborah de Robertis einen „bras de fer féministe“ nennt, wurde ihr der Platz gerechterweise zugestanden. Denn Deborah de Robertis und Bernard Marcadé kennen sich schon länger. Davon zeugt ein Video mit dem Titel On ne sépare pas la femme de l’artiste, das die Künstlerin zeitgleich mit der Performance veröffentlichte und das vor circa 15 Jahren gefilmt wurde. Darin zieht sie sich aus und filmt den Kurator, der angezogen auf einem Bett liegt. Er weiß, dass er gefilmt wird, stimmt zu. „Je veux que tu me suces“, sagt er. Auf das Gefilme angesprochen, entgegnet er, natürlich könne sie das benutzen, doch er „vertraue ihr“. „Ah mais tu penses que je ne vais pas m’en servir, que je filme pour mettre ça dans le tiroir?“, fragt Deborah de Robertis. „Mais qu’est-ce que tu vas faire de ce putain de film?“, fragt Bernard Marcadé. Dann hält de Robertis die Kamera auf Annette Messagers Häkelei, die über Marcadés Ehebett hängt. Marcadé ist deren Besitzer. Wo Sex, Macht und Kunst sich treffen.

In einem offenen Brief beschuldigt sie neben Bernard Macardé fünf weitere Männer der Szene des sexuellen Machtmissbrauchs und spricht von institutionalisierter Hypokrisie. Ähnlich wie die Frau in Courbets Werk, der der Kopf wortwörtlich fehlt, hätten diese Männer sich nicht für ihre Kunst, sondern für ihren Körper interessiert, sagt de Robertis. Jahrelang lag das Material für dieses Video wohl tatsächlich ungenutzt in der Schublade. Bis jetzt. Deborah de Robertis sagt, Messagers Häkelei gehöre ihr, sie habe sie sich nun wieder angeeignet; aufgrund von Bernard Marcadés Unterdrückung, „seiner Bitte nach Oralsex, als schulde ich ihm das“, wie sie auf Instagram schreibt. Jahrelang habe er von seiner Machtposition profitiert. Seit diesem Vorfall muss sie sich den Vorwurf des Opportunismus anhören. Ihn, und jenen einer Racheaktion weist sie von sich: Es gehe darum, eine radikale Geste zu finden, die den Dreck der Institutionen hinter dem sauberen Image einer hübschen Ausstellung anprangert. Am 29. Mai wurde Deborah de Robertis wegen Sachbeschädigung und Diebstahl angeklagt, die Ermittlungen laufen. Die rechtlichen Schritte empfindet sie als „völlig disproportional“. (Für ihre nackte Verkörperung der Jungfrau Maria vor der Pilgerstätte in Lourdes 2018 wurde sie zu 2 000 Euro Geldstrafe verurteilt; im Jahr davor waren es 35 Stunden gemeinnützige Arbeit.)

Valie Export wusste nicht Bescheid, dass ihr Kunstwerk getaggt werden würde. De Robertis schickte ihr am Morgen vor der Aktion eine E-Mail, um sie darüber zu informieren. Valie Export antwortete mit einem trockenen Statement: „Jedes Kunstwerk hat seine eigene Sprache, diese Sprache geben die Kunstschaffenden ihren Kunstwerken. Es ist eine autonome Sprache, eine eigenverantwortliche Sprache in die ohne Einverständnis des Kunstschaffenden nicht eingegriffen werden kann. Wird diese autonome Sprache durch einen, nicht von den Kunstschaffenden autorisierten Eingriff verletzt, ist es ein nicht gestatteter Eingriff, die Autonomie des Kunstwerks wird zerstört.“ Was bedeuten Deborah de Robertis Solidarität und Schwesterlichkeit mit anderen Künstlerinnen? Sie verteidigt sich. Eine vorherige Absprache sei bei solchen Aktionen unmöglich, es gehe hier nicht um Höflichkeit. Ist es nicht kontraproduktiv, die Werke von anderen Feministinnen zu beschädigt? „Ein Werk verletzt man nicht. Es handelt sich um eine symbolische Kunstgeste, sicherlich ist sie etwas punk.“ Ihre Aktion sei auch als radikaler Appell an die vorangegangene Generation von feministischen Kunstschaffenden zu verstehen. Sie sollen sich gegenüber einem übergriffigen Kurator positionieren, es sei gewissermaßen ein „Test“. Die Aktion sei in der Kontinuität eines Werkes zu verstehen, das immer wieder „die Grenzen auslotet“. „Die Institution hat bisher kein einziges Wort zur strukturellen Gewalt der Kunstwelt gesagt. Totales Schweigen.“ In den sozialen Medien (15 000 Follower) erfahre sie nicht nur Ablehnung, sondern auch viel Zuspruch der jungen Generation. Schwesterlichkeit liege darin, zwischen einem rassistischen, antisemitischen Tag und einer anprangernden Kunstaktion unterscheiden zu können, erklärt de Robertis. Den Diebstahl der Häkelei rechtfertigt sie als „klare Botschaft“ an den Kurator.

Für die meisten Menschen ist die Beschädigung eines Kunstwerks zurecht ein Sakrileg. Wenige Tage nach der Aktion schrieb Arthur Dreyfus in Libération: „Nicht das Talent zu haben, ein Antwort-Kunstwerk herzustellen, erlaubt es einem nicht, ein existierendes zu zerstören.“ Die Soziologin Anne Bessette erklärt den Aufschrei der Bevölkerung bei solchen Vorkommnissen in Œuvres d’art ou vandalismes? Légitimité et appropriations artistiques mit Émile Durkheim: „S’ils ont toujours été appréhendés comme une forme de vandalisme, c’est aussi parce que le contact physique avec les œuvres muséalisées est hautement proscrit – ou réservé aux initiés : la mise en musée marque le passage du domaine du profane à celui du sacré.“ Und weiter : „Les artistes-vandales qui décident de réinvestir ou de compléter une œuvre exposée dans un musée déclarent parfois avoir pensé que son auteur aurait compris leur démarche: c’est le cas (…) de Pierre Pinoncelli.“ Letzerer urinierte in ein Exemplar des legendären Pissoirs Fontaine von Marcel Duchamp, bevor er ihn mit einem Hammer beschädigte. Bessette unterscheidet in ihrem Essay auch zwischen Aktionen, die den Wert des Originalkunstwerks erhöhen und jenen, die das nicht tun. Dies sei auf die Position und den Stellenwert der Person, die die Aktion ausführt, zurückzuführen. Ob eine Aktion als Vandalismus gelesen werde, ist in der Kunstgeschichte also auch eine Sache von Relevanz und Geld. Die Idee, durch Zerstörung etwas Neues zu erschaffen, zieht sich durch diese Art der konzeptuellen Kunst. Das ändert jedoch wenig daran, dass ein Akt der Beschädigung einem Akt der Kreation untersteht. Und dass sich Selbstgerechtigkeit schlecht mit Gesellschaftskritik verträgt.

Zweifellos reiht sich Deborah de Robertis in die feministische Aktionskunst der 70-er Jahre ein, neben Valie Export oder Orlan. Sie nutzten ihren Körper als radikales Ausdrucksmittel, um auf Sexismus aufmerksam zu machen. Auch besteht eine Verbindung zu den anonymen Guerrilla Girls aus den USA, die 1989 ironisch fragten: Do women have to be naked to get into the Met Museum? Auch das ukrainische Kollektiv Femen ist eine Referenz. Der Kunsthistoriker Quentin Duhal untersucht in seinem Essay Deborah de Robertis: l´impertinence contre le pouvoir den „subversiven Charakter ihrer Werke, die einen Bruch mit der moralischen Ordnung darstellen“. Die Performance vor Courbets Gemälde zeuge von einer gewissen Art Mut, ihr Intimstes zu offenbaren und in den Dienst ihrer Kunst zu stellen. „L’artiste semble faire de l’audace un impératif moral selon lequel elle se fait une responsabilité d’artiste d’examiner le conditionnement qui façonne le savoir“, schreibt Duhal. Die Provokation, die sie stetig nutzt, sei jedoch „weder werbewirksam noch finanziell interessant“ für die Kunstschaffende. Mit anderen Worten: Reich wird sie damit jedenfalls nicht.

Ein Portrait über de Robertis zu schreiben, ist eine Übung voller Fallstricke, da sie ständig in der Anklage verharrt. Benutzt man das Wort Einvernehmen im Bezug auf die Begegnungen, die sie mit den Männern der Kunstszene hatte, geht sie in die Defensive, zeigt sich schockiert. Das Gespräch zu öffnen über Nuancen bei Treffen zwischen Mann und Frau, die trotz des starken Machtgefälles existieren können, interessiert sie nicht. Ihre Methoden im Fall Pompidou findet sie gerechtfertigt. Der Zweck, die Intention heiligt die Mittel. Man wird den Eindruck nicht los, dass sie nichts weniger als die totale Affirmation ihrer Position erwartet – auch von anderen Frauen. Das vermittelt mitunter den Anschein, der Feminismus sei eine monolithische Bewegung. Dabei liegt sie mit ihrer Anklage der Kunstwelt ja richtig. Doch die Künstlerin behält gerne die Kontrolle über das Narrativ. Mit dem Blick und der Analyse von anderen tut sie sich schwer – insbesondere mit kritischen. Das führt zu Zerwürfnissen mit Weggefährten, etwa Kurator/innen und anderen Verantwortlichen der Kunstwelt. In Luxemburg hat sie sich durch diese Art des Miteinanders einige Türen verschlossen.

Ein Jahr nach der Performance im Musée d’Orsay beschloss das Casino Luxemburg, ihr eine monografische Ausstellung anzubieten. Im September 2015 sollte sie stattfinden, drei Monate vorher wurde sie abgesagt. De Robertis warf der Institution Zensur vor und dem Direktor Kevin Muhlen Frauenfeindlichkeit. Bettina Heldenstein, Kunsthistorikerin und Kuratorin, möchte nach fast zehn Jahren etwas richtigstellen: Kevin Muhlen sei kein Frauenfeind und Deborah de Robertis habe mit ihr als Kuratorin Probleme gehabt. Auch habe es sich keineswegs um Zensur gehandelt. De Robertis᾽Arbeit sei drei Monate vor der Ausstellung nicht fertig gewesen. „Im Nachhinein war es zu früh, ihre Arbeit zu zeigen.“ Vielleicht eigne sie sich auch nicht, um in Institutionen gezeigt zu werden – was völlig in Ordnung sei. Heldenstein versteht de Robertis eher als Aktivistin.

In der Abtei Neumünster bot die Direktorin Ainhoa Achutegui der Künstlerin eine einmonatige Residenz an, die sie im Sommer 2023 wahrnahm und für die sie sich mit Jean Eustaches Film Une sale Histoire (1977) auseinandersetzte. Auch diese Zusammenarbeit sei kompliziert gewesen, vernimmt man aus dem Kulturmilieu. Gegen Ende wollte Deborah de Robertis mehr, als ihr angeboten worden war, nämlich eine Ausstellung. Vom Land kontaktiert, wollte Ainhoa Achutegui sich nicht mehr zur Angelegenheit äußern. 2019 hatte sie in einem langen Essay im Forum das Werk von de Robertis analysiert, kommentiert und ihre Unterstützung für die Künstlerin dargebracht.

Im Gespräch erinnert sich Deborah de Robertis an Aussagen, die sie in ihrem Werdegang gehört hat. Etwa, dass ihr Lehrer an der Sekundarschule sie lobte: Das verdient es, woanders ausgestellt zu werden. Oder an die Worte einer Luxemburgerin, die sich über sie lustig machte und ihr einen Mangel an kämpferischem Geist unterstellte. „Es ist immer gleich: Zu Beginn sind alle Feuer und Flamme für meine Arbeit. Dann plötzlich kommt etwas dazwischen und die Projekte kommen nicht zustande, werden abgesagt.“

Sarah Pepin
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