Luftfracht und Fluglärm

Jumbos, wollt ihr immer fliegen?

d'Lëtzebuerger Land vom 05.10.2012

Kann Luxemburg sich sein Nachtflugverbot nicht mehr leisten, wie Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) vergangene Woche meinte? So pauschal sagen die Akteure am Frachtbereich des Flughafens Findel das nicht. Aber ein wenig mehr „Flexibilität“ könnte „vielleicht den Airlines helfen“, erklärte die Chefin des Luxair-Cargozentrums, Hjoerdis Stahl, dem Lëtzebuerger Journal (28.09.2012).
Cargolux zum Beispiel: „Eine gewisse Lockerung wäre in unserem Sinne“, sagt Firmensprecherin Martine Scheuren dem Land. „Ausnahmegenehmigungen für Starts zwischen Mitternacht und 6 Uhr müssen wir anfragen.“ Obwohl „97 Prozent davon in den Zeitraum zwischen Mitternacht und ein Uhr“ fallen würden, erhielte Cargolux nur an die 60 Prozent genehmigt und jede müsse neu beantragt werden. Eine denkbare Lösung könnte sein, Nachtflug-Quoten pro Woche, Monat oder Quartal einzuführen. „Dann könnten wir auch mal einen Nachtflug planen.“
So etwas wäre wohl auch im Interesse von Panalpina: „In den letzten zwei Jahren mussten wir selten nachts in Luxemburg starten oder landen; das ergab sich aus dem regulären Flugplan“, lässt das Schweizer Logistikunternehmen wissen. Aber „gewisse Ausnahmeregelungen würden wir sicherlich begrüßen“, erklärt ihr Sprecher Sandro Hofer. Und für den neuen Boeing-Frachtjumbo 747-8, der leiser und effizienter ist als sein Vorgängermodell, könne man das Nachtflugverbot „zumindest punktuell aufheben“.
Doch das sind letzten Endes politische Fragen. Entgegengekommen ist der Staat den Fluggesellschaften bereits auf der Gebührenseite. Seit Anfang 2011 schon gilt ein „Volumen-Rabatt“ für die bei Starts und Landungen nachts fälligen Extragebühren und zum 1. Oktober 2011 wurde die Nachtfluggebühr für die 747-8 um 50 Prozent gekürzt. Am Curfew selber etwas zu ändern, das für alle Ab- und Anflüge zwischen 23 und 6 Uhr gilt und Cargolux ausnahmsweise bis Mitternacht ohne Extraanmeldung und Zusatzgebühr zu operieren erlaubt, wäre dagegen von anderem Kaliber. Weil das bei den Airlines klar ist, wird vorsichtig argumentiert und von Cargolux etwa betont: „Natürlich muss auch das Interesse der Anrainer an Lärmschutz berücksichtigt werden.“ Im Grunde aber wissen sie die Regierung schon jetzt zumindest ein wenig auf ihrer Seite. „Wir warten auf ein Zeichen der Regierung“, so Scheuren, die daran erinnert, dass Nachhaltigkeits- und Infrastrukturminister Claude Wiseler (CSV) angekündigt habe, „eine Art Runden Tisch“ über die Entwicklung des Flughafens einzuberufen.
Denn: Es geht nicht nur darum, den Fluggesellschaften zu helfen, die am Findel ihre Güter umschlagen und in dem krisenbedingt schwierigen internationalen Luftfrachtmarkt operieren, in dem es nach neusten Prognosen des Internationalen Luftfahrtverbands Iata im nächsten Jahr nur ein wenig Wachstum geben und die 600-Milliarden-Dollar-Industrie wohl lediglich 1,1 Prozent Gewinnmarge bieten werde. Nachtflüge seien „eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit“ für den Findel-Airport, macht man sich bei Panalpina Gedanken, die auch die Regierung beschäftigen dürften, die die Transport- und Logistikbranche stärken will. Ein unverändert weiter bestehendes Nachflugverbot werde „insbesondere neue Fracht-Carrier von Luxemburg fernhalten“, glaubt Panalpina-Sprecher Hofer. Und erinnert daran, dass sich die japanische Fracht-Airline Nippon Cargo auf ihrer Suche nach einem Europa-Hub vor ein paar Wochen für Hahn im Hunsrück entschied, wo rund um die Uhr geflogen werden darf.
Aber falls tatsächlich demnächst schon eine Nachtflugdiskussion angestoßen würde, geschähe das zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht einmal richtig klar ist, wie die schon bestehende Fluglärmbelastung gesenkt werden und in den Anrainer-Gemeinden die am stärksten geplagten Einwohner vor allem vor Nachtfluglärm geschützt werden sollen. Mehr als vier Jahre ist es her, dass der damalige Umweltminister Lucien Lux (LSAP) zur Umsetzung einer EU-Richtlinie die Öffentlichkeit über einen Aktionsplan gegen Umgebungslärm, darunter auch Fluglärm, konsultierte. Fast zwei Jahre liegt die endgültige Verabschiedung dieses Aktionsplans durch den Regierungsrat zurück und fast ein Jahr die Fertigstellung eines Gesetzentwurfs mit Ausführungsbestimmungen, durch die staatliche Beihilfen für Schallisolationen an besonders betroffenen Häusern eingeführt werden sollen.
Womöglich könnten die neuen Regeln noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Doch dass dann Vorkehrungen geschaffen wären, vor deren Hintergrund eine Nachtflugdebatte geführt werden könnte, lässt sich kaum behaupten. So enthält die offiziell nach außen verkündete Fluglärmpolitik der Regierung einen Widerspruch: Während im Fluglärmkapitel des Aktionsplans steht, den Lärm an der Quelle zu senken, sei sinnvoller als teure Beihilfen zum Schallschutz, begründet die Regierung im Gesetzentwurf das neue Beihilfensystem, das den Staatshaushalt bis zum Jahr 2022 insgesamt sechs Millionen Euro kosten soll, damit, dass Maßnahmen wie eine „Optimierung der Start- und der Landesprozeduren“ der „besonders betroffenen“ Bevölkerung „in unmittelbarer Flug-hafennähe“ nicht viel brächten. Bei Cargolux wird das nicht unbedingt so gesehen: „Da gibt es Spielraum“, sagt Martine Scheuren, das hätten Studien mit Flugzeughersteller Boeing und dem Forschungszentrum Henri Tudor ergeben. Bisher jedoch sei dazu vonseiten der Regierung „noch nicht viel geschehen“.
Es stellt sich allerdings auch die Frage, wer mit der „besonders betroffenen Bevölkerung“ gemeint ist. Wie die Dinge liegen, sollen Schallschutzbeihilfen nur an Hausbesitzer ge-zahlt werden, deren Gebäude einem übers Jahr gemittelten 24-Stunden-Schallpegel von mehr als 70 Dezibel (A) oder einem gemittelten Acht-Stunden-Nachtschallpegel von über 60 Dezibel (A) ausgesetzt sind. In diesen Fällen soll es pro Einfamilienhaus bis zu 12 500 Euro und in Mehrfamilienhäusern pro Apartment bis zu 6 250 Euro Schallschutz-Investbeihilfe geben; darüberhinaus maximal 1 000 Euro pro Haus für Schallschutzberatung und bis zu 1 000 Euro für Baustellen-Überwachung, desgleichen jeweils maximal 1 500 Euro für Apartmenthäuser.
Aber damit wird tatsächlich nur denjenigen geholfen, die ganz nah am Flughafen leben. Zum Vergleich: Am Flughafen Frankfurt ist kein einziger Anrainer einem 24-Stunden-Schallpegel von mehr als 70 Dezibel (A) ausgesetzt; in Luxemburg sind es geschätzte 1 800. Ebenso muss nahe des drittgrößten Flughafens der EU kein Anrainer mehr als 60 Dezibel (A) Acht-Stunden-Nachtschall ertragen; im Einzugsbereich des Findel sind es 2 300 Personen. Das geht aus den „strategischen Lärmkarten“ hervor, die für die beiden Airports jeweils aufgestellt wurden, und dass die Lärmermittlung am Findel noch stets nach einer in Deutschland gebräuchlichen Methode erfolgte, erscheint dabei erwähnenswert. Wie auch der Umstand, dass die hessische Landesregierung den „Auslösewert“ für einen Anspruch auf  passiven Schallschutz vor einem Jahr auf 50 Dezibel (A) in der Nacht gesenkt hat. Ein Blick in die Luxemburger Lärmdaten von 2006 zeigt: Gälte das auch hier, könnten 25 000 Flughafen-Anrainer anspruchsberechtigt sein.
Was sich da äußert, ist ein Umstand, der sich an keinem Flughafen-Rundtisch so einfach wegdiskutieren lässt – die übermäßige Stadtnähe des Findel. Der frühere Hautpstadtbürgermeister Paul Helminger hatte schon Recht, als er vor Jahren eine Weile lang für die Umwandlung des Findel in einen „City-Airport“ politisch Reklame machte: Eigentlich ist der Luxembuger Flughafen gänzlich ungeeignet als Fracht-Airport. Wenn da nur die Arbeitsplätze nicht wären, die Gewerbesteuereinnahmen, und die Erlöse aus dem Cargo-Handling, ohne die die Luxair wohl schon längst nicht mehr die Fluglinie des kleinen Großherzogtums und dieses um ein nationales Symbol ärmer wäre.
Daran liegt es wohl auch, dass außer Fluglärmgegnern keiner so richtig Bescheid wissen will über den Lärm: Auf Messwerte und ihre Auswertung gehen die Fluglärmdaten und die Maßnahmen im Lärmschutz-Aktionsplan nicht zurück, sondern auf Berechnungen und Simulationen. Auch für das Update der Lärmkarten, das laut EU-Vorschrift alle fünf Jahre fällig ist und demnach Daten von 2011 verarbeiten muss, wird nur simuliert. Mit großen Veränderungen gegenüber 2006 werde nicht gerechnet, heißt es aus dem Nachhaltigkeitsministerium. Auch, weil die Zahl der Nachtflüge über die Jahre „relativ stabil“ bei um die 1 200 jährlich geblieben sei. Aber genau weiß man all das nicht.

Peter Feist
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