Bauschhaus Er verzieht das Gesicht. Die Sonne blendet, der Wind weht die weißen Haare nach hinten, das Sakko hängt schief. Aber er kämpft, blickt stoisch in die Kamera. „Ich weiß gar nicht, ob diese Antennen überhaupt noch benutzt werden“, sagt François Bausch, ohne den Blick von der Kamera abzuwenden. Im Hintergrund stehen die vier Reaktortürme von Cattenom, die an diesem Tag alle in Betrieb sind. Gleich daneben der Sendeturm Düdelingen, weiter westlich der Kirchturm von Arlon. Auf der anderen Seite, fast zum Greifen nahe: der Flughafen Findel. „Hier oben war ich, ehrlich gesagt, noch nie“, sagt der Vizepremier: „Schön hier.“
Als die Grünen im vergangenen Jahr teils selbstverschuldet, teils durch Schicksalsschläge in eine politische Krise fielen, sah François Bausch sich berufen, wieder das Zepter in die Hand zu nehmen. Das kam überraschend. Nach drei Jahrzehnten, in denen er die grüne Partei nach seiner Vorstellung wie Knete geformt hatte, bereitete sich Bausch eigentlich gedanklich bereits auf die Rente vor. Er hatte angekündigt, 2023 bei den Nationalwahlen nicht mehr kandidieren zu wollen, überließ bereits 2013 bei der ersten grünen Regierungsbeteiligung Félix Braz den Vortritt und hatte die Macht so verteilt, dass sein politisches Erbe gesichert war.
Doch das „Albtraumjahr“, wie Bausch 2019 bezeichnet, durchkreuzte diese goldene Exit-Strategie. Félix Braz konnte seine politische Karriere aufgrund von gesundheitlichen Problemen nicht weiterführen, Roberto Traversinis Gartenhäuschen verursachte einen Fallout, der auch Umweltministerin Carole Dieschbourg befleckte, Bauschs Protégée Sam Tanson war noch nicht bereit, die Führungsrolle zu übernehmen, und der grüne politische Nachwuchs hatte die Welpenzeit noch nicht hinter sich. Also sah der ewige Parteichef sich in der Pflicht, seine Partei wieder auf Kurs zu bringen.
Vereine und herrsche François Bausch macht dabei im Grunde nichts anders als in den vergangenen dreißig Jahren. Seit er als Abtrünniger der LSAP und Ex-Trotzkist im Juni 1986 in die Gréng Alternativ Partei (GAP) eingetreten ist, hat er versucht, die Partei unter seiner Führung zu einen. Gleich zu Beginn hat er sich mit seinem treuen Leutnant Abbes Jacoby mit der Gruppe „Tendenz Antonio Gramsci“ von Gilbert Grosbusch angelegt. Trotz seiner marxistischen Prägung konnte Bausch sich nicht mit dieser linksradikalen Splittergruppe identifizieren, die in langen Schriften ein linkes Utopia entwarf. Bausch war bereits zu diesem Zeitpunkt ein realistischer Pragmatiker ohne Revolutionsanspruch, aber auch ohne ökologischen Fundus. Oder wie die „Tendenz Gramsci“ Bausch und Jacoby damals bezeichnete: Als „reformerisch linksliberale orientierte Mitglieder, die eine Art grüngefärbte DP wollen“.
Doch Bausch setzte sich in diesem ersten Streit zwischen Realos und Fundis durch und verdrängte die Gramsci-Gruppe aus der Partei. Es war der Beginn eines lang andauernden Konfliktes zwischen den zwei Lagern, in dem am Ende die realistische Strömung, angeführt von François Bausch, nahezu stets triumphierte: etwa beim Konflikt um das Rotationsprinzip, gegen das sich der Neuabgeordnete Bausch 1989 wandte, oder beim Konflikt zwischen Gap und Glei, aus dem 1994 Déi Gréng hervorgingen, oder auch bei der inhaltlichen Prägung. Der selbstbewusste und überzeugende Politiker mit Asterixbart musste zwar einige kurzfristige Niederlagen hinnehmen, aber in der Longue durée konnte er die Geschicke mit seiner hartnäckigen Verbissenheit und Ausdauer für sich entscheiden. Spätestens seit er 1999 das Amt des Fraktionsvorsitzenden übernahm (das er erst 2013 beim Einzug in die Regierung abgab), war die Partei unter seiner Kontrolle eine Bauschpartei.
Es spricht dabei für ihn, dass seine einstigen Kontrahenten heute keine bösen Worte über ihn verlieren. Manche scherzen über sein Besserwissergehabe oder sein impulsives Gemüt, das auch in der Gegenwart noch zum Vorschein kommt. Etwa wenn er sich in Rage redet und Gilles Roth in der Chamber „groteske“ und „populistische Methoden“ unterstellt. Oder sie beschimpfen ihn als „totalen Praktiker“, er sei kein „homme de gauche“. Aber beide Vorwürfe haben Bausch nicht nahhaltig geschadet. So impulsiv der Politiker im ersten Augenblick reagieren mag, so schnell kann er wieder Fassung gewinnen und allzu grobe Schnitzer einräumen. Und sein Realo-Image als pragmatischer Macher hat ihm wahrscheinlich mehr Stimmen und Anerkennung eingebracht, als es ihm geschadet hat.
Die eigentliche Leistung liegt jedoch darin, dass er die Kunst der Streitführung beherrscht und keine verbannte Erde hinterlässt. Denn Bausch kämpfte mit harten Bandagen, legte sich mit Kontrahenten an, war jedoch nach Niederlagen nicht nachtragend und nach Siegen nicht allzu hochnäsig. Es gelang ihm meistens, die Verlier nicht zu vergraulen, sondern erneut zu integrieren.
Wille zur Macht Wer sich frühere Interviews von Bausch anschaut, wird dabei feststellen, dass er sein Programm in Richtung Regierungsbeteiligung bereits früh formulierte. Im Tageblatt sagt er 2003, dass die Grünen keine „Protestpartei“ mehr sein wollen, sondern eine „Gestaltungspartei“. Bausch hat seine Partei sukzessive nach deutschem Vorbild von Joschka Fischer immer weiter in die Mitte geführt. Und dazu gehörte auch das Entrümpeln allzu antikapitalistischer Ideen. Die Forderung nach Verstaatlichungen oder nach einer 35-Stunden-Woche bei gleichem Lohn sind heute nur noch vergilbte Relikte einer vergessenen Sturm-und-Drang-Zeit. In den Nullerjahren hat sich die Partei vielmehr, wie Kritiker es bereits in den 1980ern prophezeiten, der liberalen Partei angenähert. Die DP-Grüne-Koalition in Luxemburgstadt, in der François Bausch maßgeblich Architekt war, gilt als Blaupause für die spätere Gambia-Koalition.
Das eigentlich erstaunliche daran: Die Partei hat den Weg zur Mitte gefunden und gleichzeitig die alternative Zivilgesellschaft und ur-grüne Klientel nicht vergrault. Jenseits von Déi Gréng hat sich keine ökologische Alternative gegründet, die Verwandlung in eine gutbürgerliche Partei hat ihr nicht geschadet. Im Gegenteil: Die Stammwähler sind geblieben, neue urbane aber auch konservative Mittelschichten, die sonst wohl eher bei der CSV und der DP gelandet wären, sind hinzugekommen. Das drückt sich auch in Zahlen aus: Während Déi Gréng seit ihrer Gründung eine relativ konstante Wählerschaft von rund zehn Prozent bei Nationalwahlen genossen, wählen mittlerweile rund 15 Prozent die Grünen.
Der Spagat zwischen grüner Globalisierungs- und Konsumkritik sowie Klima-, Natur- und Umweltschutz und knallharter Realpolitik, die diesen Idealen eigentlich zuwiderläuft, gelingt François Bausch deutlich am besten. Selbst als Minister für Verteidigung und Innere Sicherheit kommt er in der einstigen pazifistischen Partei nicht in Erklärungsnot. Die Ernennung seines Spitzenbeamten Gilles Feith zum neuen Generaldirektor der Luxair hat Bausch natürlich arrangiert, ihm aber nicht wirklich den Vorwurf der Machtkonzentration eingebracht. Und dass das beeindruckende Wachstum von Cargolux nicht gerade klimafreundlich ist, kann Bausch stets wegmoderieren. Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Partei geschlossen das Freihandelsabkommen Ceta mitgetragen hat. Bausch hält die Dämonisierung des Vertrags für übertrieben. „Eigentlich ist dieses Abkommen nicht sonderlich wichtig.“
Bauschpartei Wer die grüne Partei heute betrachtet, wird bei näherem Hinsehen immer den Namen Bausch finden: Die Liste der Mitglieder, die Bausch eigens angeheuert hat, ist lang. 2005 hat er die damals 28-jährige Sam Tanson bei einem Mittagessen überredet, Parteimitglied zu werden. Heute sagt er ganz offen: „Ich will, dass sie 2023 die Grünen in den Wahlkampf führt.“ Djuna Bernard ist ebenfalls durch sein aktives Werben Mitglied der Grünen und später auf seinen Zuspruch hin Parteipräsidentin geworden.
Meris Sehovic, der am 27. Juni beim digitalen Parteikongress zum neuen Ko-Parteivorsitzenden neben Djuna Bernard gewählt wird, hat ebenfalls über François Bausch den Weg zu den Grünen gefunden. Als junger Bachelor-Student der Politologie hat er 2012 ein Praktikum beim damaligen Fraktionspräsidenten gemacht: „Er hat mir sofort sehr viel Vertrauen geschenkt“, so Sehovic. Der Praktikant musste gleich den Haushaltsentwurf für den Abgeordneten analysieren, verfasste gar eine eigene Gesetzinitiative zu den Wahlkampfregeln, die Bausch 2012 im Parlament einbrachte. Und 2013 rief er Sehovic an und überzeugte ihn, Kandidat bei den Nationalwahlen zu werden.
Die Liste lässt sich beliebig weiterführen. So war auch die Entscheidung, Claude Turmes nach dem Ableben von Camille Gira als Minister aus dem Europaparlament nach Luxemburg zu holen, eine Idee, die neben Abbes Jacoby maßgeblich auf François Bausch zurückgeht.
Kurz: Egal von welcher Seite man Déi Gréng betrachtet – überall lauert der Name Bausch. Oder wie Djuna Bernard es noch vor kurzem dem Land gesagt hat: „Wenn man etwas in der Partei umsetzen will, geht es eigentlich nicht ohne die Unterstützung von François Bausch.“
Brutus? Die Frage, die sich bei einem derartigen Machtmenschen aufdrängt: Kann der 63-jährige Politiker, der sein Leben der Partei gewidmet hat, eigentlich loslassen? Klar ist, dass er 2023 noch einmal bei den Nationalwahlen antreten wird, allerdings unter keinen Umständen ein weiteres Ministermandat anstrebt. „Ich bin der Überzeugung, dass nach zehn Jahren als Minister Schluss sein muss“, so Bausch.
Doch angesichts der derzeitigen Krise, die Bausch als „gefährliches Gesellschaftsexperiment“ bezeichnet, könnte er sich womöglich dazu berufen fühlen, weiterzumachen. In Deutschland sinken die Umfragewerte der Grünen bereits deutlich – nicht auszuschließen, dass das Klimabewusstsein aufgrund der drohenden Wirtschaftskrise schwinden und auch der Popularität der Grünen schaden wird. Dann müsste die neue Generation den alten Politiker selbst verdrängen, sofern sie die Partei übernehmen will. Bausch-Zöglinge, die als Brutus infrage kommen, gibt es genug – aber ob auch jemand tatsächlich den gleichen Machttrieb hat wie François Bausch und zustechen würde, ist fraglich.