Warum die Grünen künstlich in den Krisenmodus schalten

Neuanfang

: Die beiden Parteipräsidenten von Déi Gréng, Christian Kmiotek und Djuna Bernard, kündigen bei einer Pressekonferenz an, dass e
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 27.09.2019

Kontraste Freitag, 20. September, kurz vor Mittag. Rund 1 500 Jugendliche machen sich auf, Luxemburgs Innenstadt zu besetzen. Sie kommen aus Echternach, Mamer, Grevenmacher und Esch. Dass Bildungsminister Claude Meisch (DP) lange mit einem non excusé drohte, ist ihnen egal: „Who cares.“ Mit grünen Kampfstreifen an den Wangen und Parolen bewaffnet zieht die Masse vom Bahnhof in Richtung Kinnekswiss. „Den Amazon brennt, d‘ Politik déi pennt“, hallt es durch die Al Avenue. Wer die jugendlichen Protestler nach ihrer Referenzpartei fragt, erhält eine klare Antwort: „Déi Gréng.“ Keine perfekte Partei, aber immerhin stehen die Grünen ihren Idealen am nächsten, da sie den Ernst der Klimalage erkannt haben.

Wenige Minuten zuvor: Roberto Traversini tritt vor die Presse. Gesenkter Kopf, geduckte Haltung, ernste Miene. Noch bevor er sein erstes Wort ausspricht, ist bereits allen klar, was nun folgen wird: Rücktritt. Der grüne Lokalfürst von Differdingen, den manche aufgrund seines lustigen Gemüts mit Schauspieler Roberto Benigni vergleichen, ist über sein eigenes Fehlverhalten gestürzt: Machtmissbrauch, der Klassiker im Register des Politikervergehens. Traversini spricht von „Glaubwürdigkeit“ und von „politischer Vorbildfunktion“. Deshalb habe er sich zu diesem Schritt entschlossen. Was er nicht sagt: Wäre er nicht selbst zu diesem Entschluss gelangt, seine Partei hätte ihm den Rücktritt ausdrücklich nahegelegt.

Die Grünen sind gerade die Partei der Stunde und gelten gleichzeitig als das schwache Glied in der Regierung. Sie besetzen seit Jahren Themen, die sich hartnäckig dem politischen Alltag aufdrängen, sich nicht wegmoderieren oder abschütteln lassen: Klimawandel, Umweltschutz, Lebensqualität. Für viele lautet die Antwort auf die Probleme unserer Zeit: grün. Und so gewinnen sie konstant an Wählerstimmen, aber auch an Mitgliedern dazu. Im Jahr 2000 waren es 266 Mitglieder, mittlerweile sind es rund 1 000. Ein Aufstieg, der auf manche „Volksparteien“ bedrohlich wirkt.

Gleichzeitig ist 2019 nicht das Jahr der Grünen. Der unglückliche Briefwechsel zwischen Minister François Bausch und Generalstaatsanwältin Martine Solovieff, die katastrophale Kommunikation in der Datenbankaffäre und schließlich Traversinis Rücktritt. Von usure du pouvoir geht die Rede in der Politikblase, ein Verhalten, das man lange nur mit der spätrömischen Dekadenz des CSV-Staats assoziierte. Politisch konnte die Partei noch keines ihrer ökologischen Vorhaben in der Legislaturperiode umsetzen und gerät bereits jetzt unter Zugzwang. Und zu allem Überfluss muss sie in Zukunft ohne eine grüne Galionsfigur auskommen: Félix Braz wird nicht mehr als Minister zurückkehren. Nach Camille Gira, bereits der zweite Spitzenpolitiker, auf den die Grünen innerhalb kurzer Zeit verzichten müssen.

Krise Für François Bausch war deshalb klar, von einer „Krise“ zu sprechen. In einem Interview mit Radio 100,7 am vergangenen Montag platziert er das Wort gleich drei Mal, ohne dass er danach gefragt wird. Auch die Fraktionspräsidentin der Grünen, Josée Lorsché, spricht anschließend von „Notstand“ und „Krise“. Diese negative Rhetorik hat dennoch nicht wenige überrascht. Auch in der Partei. „Ich hätte das Wort nicht gewählt“, sagt Parteipräsidentin Djuna Bernard und schließt sich damit dem Urteil mancher Abgeordneter von Déi Gréng an. Denn trotz der emotionalen Herausforderungen sowie einer etwas ungelenken Politik gäbe es weder interne Grabenkämpfe, noch habe man mit einem Wählerschwund zu kämpfen. Kein Grund also, eine Krise heraufzubeschwören.

Bausch steht jedoch zu seiner Wortwahl. Er habe sich bewusst so ausgedrückt. „Ich wollte meine Partei aufrütteln“, sagt Bausch im Gespräch mit dem Land. Denn er sieht die Grünen an einem Scheidepunkt. Man habe bereits viel erreicht. Aber: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht wie Ikarus verglühen.“ Nicht übermütig werden, den Alltag nicht vergessen und vor allem sorgsam bei der Bearbeitung der einzelnen Dossiers vorgehen. „Wir machen alle Fehler, dürfen aber nicht nachlässig werden.“ Denn die Grünen stehen sowohl bei den Koalitionspartnern als auch bei den Oppositionsparteien unter Beobachtung. Ihr Aufstieg erregt nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Neid und Missgunst. Und die politischen Gegner schauen nun genauer hin, wie die moralische Besserwisser-Partei den politischen Alltag bewältigt, und spielen mit harten Bandagen.

Bausch hat seine Partei deshalb strategisch in den Krisenmodus manövriert, damit sie ihre Sinne und politischen Instinkte wieder schärft. Eine weitere Affäre Traversini kann sie sich nicht leisten. Denn frei nach Uli Hoeneß, dem Präsidenten des FC Bayern München: Nach oben kommen ist leicht, oben bleiben hingegen ist verdammt schwer.

Kox Im Hintergrund hat die Partei dabei unlängst die Weichen für die Zukunft gestellt. Denn so sehr man um das Schicksal von Félix Braz trauert und die Privatsphäre der Familie respektieren will, so klar war auch, dass irgendwann eine Entscheidung getroffen werden muss. Der politische Betrieb steht nicht still. Während einer kurzen Zeit war tatsächlich Roberto Traversini Teil der großen Lösung. Als Zweitgewählter im Südbezirk und mit reichlich Erfahrung als Bürgermeister der drittgrößten Stadt Luxemburgs galt sein Profil als vielversprechend für den Posten des Wohnungsbauministers. Sein Gartenhäuschen hat diese Pläne zerschlagen. Was nun mit Traversini geschehen wird, ist offiziell noch nicht entschieden. Gegen ihn wird ermittelt wegen Verdachts auf Veruntreuung öffentlicher Gelder, illegale Vorteilsannahme, Verschleierung sowie Verstoß gegen das Gesetz über kommunale Einrichtungen. Die Parteispitze spricht von Unschuldsvermutung und betont, die Arbeit der Staatsanwaltschaft abwarten zu wollen.

Aber im Hintergrund gilt es bereits als ausgemacht, dass Traversini wohl auch als Abgeordneter zurücktreten muss. Zu groß sei die Gefahr die schwache Mehrheit von 31 Sitzen im Parlament ins Wanken zu bringen, zu breit die Angriffsfläche, die ein zurückgetretener Bürgermeister der Opposition bieten würde, zu hoch das Risiko, aus einer lokalen, eine nationale Affäre zu machen. Das sagen sowohl Mitglieder von Déi Gréng als auch Abgeordnete der Koalitionsparteien.

Die Parteispitzen haben bereits eine andere Lösung gefunden. François Bausch, der eigentlich längst in die zweite Reihe verschwinden wollte, wird erneut die starke Figur in der Partei. Er wird neuer Vize-Premier und erhält einen Assistenten als beigeordneten Minister für die ungeliebten Ressorts Innere Sicherheit und Verteidigung. Nicht, weil er sich aus der Verantwortung stehlen will, so Bausch, sondern weil die Situation es erfordere. Seine Protegée Sam Tanson übernimmt das Justizministerium und stellt das Wohnungsbauministerium zur Verfügung. Wie es heißt, habe es mehrere Varianten gegeben, die neuen Posten zu besetzen – auch der Rückgriff auf externe Lösungen jenseits der Wahlliste von 2018 war im Gespräch wie zum Beispiel Tilly Metz. Doch die Pateistrategen haben sich auf Henri Kox geeinigt. Kox (geboren 1961) ist studierter Ingenieur und seit 2004 Mitglied der Abgeordnetenkammer. Er ist langjähriges Mitglied von Déi Gréng und galt schon mehrmals als Anwärter für einen Ministerposten, was er auch nie verschleiert hat. Er war maßgeblich an der Ausarbeitung des Naturschutzgesetzes in der vergangenen Legislaturperiode beteiligt und gilt als Fachmann im Bereich Wohnungsbau. Für ihn wird voraussichtlich die junge Chantal Gary ins Parlament rücken, die 2018 im Ostbezirk Drittgewählte der Grünen war. Damit wird die Partei voraussichtlich ohne Minister aus dem Südbezirk in die Wahlen 2023 gehen. Die Partei will das alles jedoch erst kommende Woche bekannt geben und am 3. Oktober bei einem Parteikongress über die Umgestaltung der Regierung abstimmen lassen. Doch auch das ist ein Vorteil des Krisenmodus: Im Notstand lassen sich Entscheidungen besser durchdrücken. „Never let a good crisis go to waste“, lautet das passende Bonmot von Winston Churchill dazu.

Kritik Die Partei steht dabei nicht nur in der Öffentlichkeit unter scharfer Beobachtung – auch intern gibt es seit einiger Zeit Kritiker. Dazu gehört Paul Polfer. Der Aktivist des Mouvement écologique ist langjähriges Mitglied der Grünen und vermisst den Dialog und Austausch. „Die Partei hat kein inhaltliches Leben mehr.“ Sie müsse es wieder mehr wagen, eigene grüne Positionen zu entwickeln jenseits von Koalitionsräson. Polfer spricht von „Nibelungentreue“ und erwartet, dass man selbstbewusst Ideen etwa zur CO2-Steuer oder der ökologischen Steuerreform in der Öffentlichkeit trägt und nicht erst nach den Verhandlungen mit dem Koalitionspartner, den Kompromiss als grüne Position verkauft. „Wir warten doch nur darauf“, so Polfer. François Bausch ist ähnlicher Auffassung: Die Partei müsse wieder stärker eigene Inhalte definieren und ein Eigenleben entwickeln. Es müsse eine Identität bar der Regierungsarbeit für die Grünen geben. Selbst wenn es zu atmosphärischen Störungen innerhalb der Koalition kommt. Es ist ein Persilschein für junge Mitglieder von Déi Gréng, ruhig Kritik und Ideen zu formulieren. Nach dem Motto: Traut euch!

Und damit öffnet Bausch auch beide Arme für die jugendlichen Demonstranten von Fridays for Future. Sie sind explizit erwünscht in der Partei, gerade weil sie es wagen, Kritik zu formulieren und leidenschaftlich für Inhalte kämpfen.

Pol Schock
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